Interview: "Die Radikalen brauchen Attac"

Es schade Attac nicht, sich von Gewalt zu distanzieren, urteilt Bewegungsforscher Ansgar Klein. Denn die radikalen Organisationen könnten es sich nicht leisten, Attac zu ignorieren.

taz: Herr Klein, waren die G-8-Proteste der Anfang vom Ende der deutschen globalisierungskritischen Bewegung?

Ansgar Klein: Nein, wie kommen Sie denn darauf?

Beim EU-Gipfel in Göteborg 2001 ruinierten Krawalle das Bild der schwedischen Bewegung in der Öffentlichkeit

Das wird nach Heiligendamm nicht der Fall sein. Schon ein, zwei Tage nach den Ausschreitungen bestimmten die friedlichen Demonstranten die Bilder. Und weil viele Medien an den offiziellen Gipfel hohe inhaltliche Erwartungen stellten, wurden die Protestler mit ihren Anliegen ebenfalls wahrgenommen.

Vertreter von Attac meinten, endlich habe auch die deutsche Bewegung gezeigt, dass sie fähig ist, die Massen auf die Straßen zu bringen. Ist das korrekt?

Die Bewegung hat gezeigt, dass es auch nach den großen Ereignissen der 90er wie dem WTO-Protest in Seattle noch möglich ist, viele Menschen auf die Straße zu bringen. Unter den 50.000 Demonstranten waren ja auch viele aus dem Ausland. Die Bewegungen sollten für ihren Erfolg nicht das Kriterium der Massendemo anlegen. Das ist ein Phänomen der Vergangenheit. Außerdem verstellt es den Blick auf ihre Erfolge.

Was meinen Sie damit?

Nach den großen Massendemonstrationen der Friedensbewegung in den 80er-Jahren haben Bewegungsakteure und Öffentlichkeit immer nur auf neue Rekordmarken gewartet. Als die ausblieben, hieß es, die Bewegungen seien tot. Dabei wurden viele Themen weiterhin sehr professionell bearbeitet. Allerdings eher durch Bewegungsorganisationen und NGOs und oft über Kampagnen; die Aktionen von Greenpeace sind da ein gutes Beispiel. Das ist auch eine zeitgemäße Form. Es wäre falsch, wenn die Globalisierungskritiker nun den Massenaufmarsch wieder zum Bezugspunkt ihrer Arbeit machen würden.

Das Protestbündnis rechnet es sich weiter als Erfolg an, dass noch nie so viele Gruppen miteinander vernetzt gewesen seien wie heute.

Auch das ist ein wenig übertrieben, zumindest was die Situation in Deutschland anbetrifft. Hier unterscheidet sich das Spektrum der Proteste in Rostock in der Breite bis auf eine bedeutende Ausnahme nicht von dem der Friedensbewegung der 80er-Jahre. Auch die Probleme mit dem so genannten Schwarzen Block gab es schon. Das Einzige, was die Bewegung heute wirklich unterscheidet, ist, dass sie international sehr viel besser vernetzt ist. Sie hat eine neue Phase trans- und internationaler Netzwerke eingeleitet.

Einige Mitglieder von Attac haben sich deutlich von den Steinewerfern distanziert. Verliert das Netzwerk seine Vermittlerposition zwischen Gemäßigten und Radikalen?

Nein. Attac hat ohnehin eine große Glaubwürdigkeit in der so genannten Mitte der Gesellschaft. Durch diese Distanzierung hat sich das noch einmal verstärkt. Die radikalen Organisationen haben diese Glaubwürdigkeit nicht. Wenn sie ihre Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit vortragen wollen, brauchen sie breit aufgestellte Organisationen wie Attac. Sie können es sich gar nicht leisten, das Netzwerk zu ignorieren.

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