Interview: "Der Ausweis ist nur begrenzt aussagekräftig"
Der neue Energie-Ausweis orientiert sich am Verbrauch und nicht am Bedarf, kritisiert Holger Krawinkel von der Bundesverbraucherzentrale. Kommunen sollten ihren Gebäudebestand auf Sanierungspotenzial untersuchen. Interview
taz: Herr Krawinkel, in diesem Jahr kommt nun endlich der von Verbraucherschützern seit langem geforderte Energieausweis für Gebäude. Sind Sie zufrieden?
HOLGER KRAWINKEL, 51, ist Fachbereichsleiter für Bau und Energie bei der Bundesverbraucherzentrale.
Holger Krawinkel: Nein. Wir hätten uns statt des verbrauchsorientierten eine klare Entscheidung für einen bedarfsorientierten Energieausweis gewünscht. Dieser ist ab Oktober 2008 nur für vor 1978 gebaute Gebäude mit weniger als fünf Wohneinheiten vorgeschrieben. Aber angesichts der stark gestiegenen Energiepreise und der Anforderungen des Klimaschutzes ist der bedarfsorientierte Energieausweis für alle Gebäude notwendig. Nur er liefert die Daten, in welchem energetischen Zustand sich die Gebäudehülle befindet.
Was ist der Unterschied?
Der verbrauchsorientierte Energieausweis liefert den Hauseigentümern kein belastbares Material über den Sanierungsbedarf und ob sich eine Sanierung der Hausdämmung rechnet. Der Ausweis in seiner jetzt gesetzlich vorgesehenen Form orientiert sich am Energieverbrauch des jeweiligen Nutzers. Da kann es zu erheblichen Abweichungen zum normalen Bedarf kommen, zum Beispiel durch längere Abwesenheit des Mieters im Winter, langes Lüften oder hohe Raumtemperaturen.
Das heißt?
Der Ausweis ist damit für einen potenziellen Nachmieter oder Käufer nur begrenzt aussagekräftig. Die Werte können eine geringe Plausibilität aufweisen und dienen dann dem zukünftigen Mieter kaum als Orientierung.
Warum entschied sich die Politik für den verbrauchsorientierten Ausweis?
Es gab im Vorfeld der "Neuen Energieeinsparverordnung" mehrere Anhörungen im Bundestag. Verbraucherschützer, Architekten, Ingenieure und Handwerker plädierten alle für den bedarfsorientierten Energieausweis, nur die Immobilienverbände und die Wohnungswirtschaft waren dagegen. Sie fürchten die Transparenz. Denn angesichts der steigenden Öl- und Gaspreise und eines relativ entspannten Wohnungsmarkts werden die Energiekosten für Mieter und Käufer zu einem ganz wichtigen Entscheidungskriterium.
Welche Politiker haben da geschlafen?
Im Bundesbauministerium erkannte man nicht die Dimension der Fragestellung. Dabei war schon vor einem Jahr absehbar, dass das vor kurzem vom Bundeskabinett beschlossene "Integrierte Klima- und Energieprogramm" kommen wird. Ich hätte von Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee wesentlich mehr Durchsetzungsvermögen erwartet. Er hat sich zu sehr von der Wohnungswirtschaft beeinflussen lassen. Erst auf Intervention von Verbraucherverbänden und Umweltminister Sigmar Gabriel wird nun wenigstens für einen Teil der Gebäude der bedarfsorientierte Ausweis vorgeschrieben.
Was würden Sie anders machen?
Ich würde durch die Kommunen den gesamten Gebäudebestand flächendeckend auf das Sanierungspotenzial und die Versorgung mit Fernwärme beziehungsweise erneuerbaren Energien untersuchen lassen. Nur dadurch kann man zu einer einzel- und volkswirtschaftlich optimalen Reduzierung des Energiebedarfs kommen.
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