Interview zum Sparpaket: "Kürzungen interpretieren"
Vielleicht muss die Bundesagentur für Arbeit gar nicht so viel kürzen, wenn die Wirtschaft besser läuft und die Erwerbslosenzahlen sinken, hofft Vorstand Heinrich Alt.
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taz: Herr Alt, laut "Sparpaket" der Regierung sollen bei der Bundesagentur für Arbeit allein im kommenden Jahr 1,5 Milliarden Euro gekürzt werden. Wie soll das gehen?
Heinrich Alt: Die erfreuliche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wird sicher die Sparanstrengungen beeinflussen. Für die Kurzarbeit und für die Gewährung von Arbeitslosengeld I werden wir voraussichtlich weniger Geld brauchen als bisher gedacht.
Das Minus im Haushalt der Bundesagentur wird aber nicht verschwinden.
Richtig. Wir werden auch für 2011 einen Haushalt auflegen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Defizit aufweist. Die Frage ist, wie die Sparauflagen der Bundesregierung aussehen - und ob der Defizitausgleich als Zuschuss gewährt wird, wie in diesem Jahr, oder, wie im Gesetz vorgesehen, als Darlehen.
Wo würden Sie kürzen, wenn die Regierung dies verlangt?
Darüber haben wir im Vorstand der Bundesagentur noch nicht gesprochen. Bei Kürzungen muss man auch immer sehen: Wie ist das zu interpretieren? Wir haben zum Beispiel eine sogenannte Aktivierungsquote in der Grundsicherung. Danach wollen wir 25 Prozent der Menschen, die hilfebedürftig und erwerbsfähig sind, in sinnvoller Form aktivieren, etwa durch Weiterbildungen oder Arbeitsgelegenheiten. Wenn ich nun rückläufige Arbeitslosenzahlen erwarte und dann nach dieser Quote einen Haushalt berechne, kommen auch geringere Ausgaben heraus.
Stichwort Hartz IV: Einige Sozialpolitiker, besonders der FDP, fordern feste Mietpauschalen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Auch Sie sind dafür. Wie hoch sollen die denn sein?
Über ein Viertel der Widersprüche und Klagen im Bereich des Arbeitslosengeldes II betrifft Mieten und Wohnnebenkosten. Man könnte den Menschen eine Wahlmöglichkeit lassen zwischen einer Pauschale, die regional nach dem Mietspiegel festgelegt wird, oder der konkreten "Spitzabrechnung". Ich glaube, dass sich 90 Prozent für eine Pauschale entscheiden würden, weil sie dann mehr Gestaltungsfreiheit hätten.
So viel Gestaltungsfreiheit gibt es dann auch wieder nicht, wenn man beispielsweise über 350 Euro Mietpauschale frei verfügen könnte.
Es gibt viele Menschen, die mit diesem Geld auskommen müssen, zum Beispiel Studenten oder Rentner. Da fragt keiner: Wie leben die eigentlich? Ein privates Beispiel: Ich habe zwei erwerbstätige Töchter mit abgeschlossenem Studium und ordentlichem Job, die leben beide auf weniger Quadratmetern, als ihnen nach Hartz IV zumutbar wäre. Die sagen, wenn ich preiswert wohne, habe ich mehr Geld für anderes zur Verfügung.
Wer heute etwa in der Altenpflege einen Job annimmt, verdient mitunter nur 200 Euro mehr, als ein ALG-II-Bezieher bekommt. Die FDP will deswegen Niedrigverdienern mehr ergänzende Hartz-IV-Leistungen gewähren, um die Jobmotivation zu erhöhen. Sinnvoll?
Eins muss man dabei beachten: Erweitert man die Hinzuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger, haben in der Folge auch mehr Niedrigverdiener Anspruch auf eine Aufstockung durch diese Leistung. Wenn wir eine Regelung hätten, die um 50, 60, 70 Euro mehr Zuverdienst im Monat belässt, hätten wir schon 1,5 Millionen Menschen mehr im aufstockenden Hartz IV. Ich persönlich kann das nicht befürworten. Der Transferbezug sollte immer die Ausnahme sein. Außerdem entlassen wir die Arbeitgeber damit aus der Verantwortung, für existenzsichernde Löhne zu sorgen.
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