Interview zu Frauen in Afghanistan: "Frauen haben keine Alliierten"
Die Soziologin Deniz Kandiyoti erklärt die Schwächen der Frauenbewegung in Afghanistan - und warum die gut gemeinten UN-Programme wenig bringen.
taz: Frau Kandiyoti, eine leitende Staatsanwältin in Afghanistan hat neulich die Gender-Programme der Regierung als herausgeworfenes Geld bezeichnet. Was läuft da schief?
Deniz Kandiyoti: Diese Programme etwa von der UN-Frauenorganisation Unifem sind tatsächlich ein kompletter Fehlgriff. Unifem versucht, Gender Mainstreaming in die maßgeblichen Ministerien in Kabul zu tragen, indem sie die dortigen Beamten für die Probleme der Frauen sensibilisiert. Die Ministerien wollen das Geld der UN, deshalb haben sie das Vokabular gelernt. Aber ihre Sensibilität hilft wenig, weil sie im Land nichts zu sagen haben. Man hat die Programme evaluiert. Das Ergebnis war lächerlich.
Was kommt von den Unifem-Geldern an?
Es gibt Alphabetisierungsprogramme und Mikrokredite für Frauen. Das ist aber schon wieder ein Problem. Große Geldgeber wie USAID möchten eine Marktwirtschaft entwickeln, also wollen sie das Unternehmertum von Frauen fördern. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) förderte zum Beispiel Frauenbäckereien, in denen Witwen arbeiteten. Zuerst wurden ihnen Mehl und andere Ressourcen gestellt. Dann wollte man "Hilfe zur Selbsthilfe" leisten: Die Frauen sollten ihre Zutaten selbst kaufen. Aber Frauen können in Afghanistan nicht einfach auf den Markt gehen. Es ist zu gefährlich. Einige haben also Männer dafür bezahlt, einige haben ihre Söhne eingespannt. Und es endete damit, dass diese Bäckereien von Männern geführt wurden. Ähnliches passiert mit Mikrokrediten.
Was wäre die Alternative gewesen? Hilfe zur Selbsthilfe hat ja ihre guten Gründe.
Ja, aber man kann sie eben nicht überall einfach anwenden. Man kann nicht Marktprinzipien für Frauen einführen, wenn der Markt selbst Frauen gar nicht zulässt. Man muss Frauen staatlich unterstützen. Es gibt dazu keine Alternative.
Afghanistans Regierung hat aufgrund internationaler Proteste ein schiitisches Ehegesetz mit Ausgangsverbot und Sexpflicht für Frauen gestoppt. Wie konnte das überhaupt entstehen, wenn die Regierung angeblich für Frauenrechte sensibilisiert ist?
Man wollte mit diesem Gesetz nicht explizit die Frauen ärgern, sondern Pluralismus zeigen, also dass jede Minderheit eigene Gesetze bekommen kann. Das tat man quasi zufällig auf dem Rücken der Frauen. Heraus kam, dass Frauen verpflichtet wären, mit ihren Männern zu schlafen. Danach hätten sie diese wegen Vergewaltigung anzeigen sollen. Denn es hätte dann Gesetze für beides gegeben.
Gibt es eine afghanische Frauenbewegung außerhalb des Parlaments, die solche Themen skandalisiert?
Ja, es gibt ein paar Nichtregierungsorganisationen. Sie protestieren, wenn etwa eine Steinigung ansteht. Aber sie sind marginalisiert, und sie finden keine solidarischen Männer. Sie haben keine Alliierten. Dagegen sind Attacken auf ihre Mädchenschulen oder das Erschießen weiblicher Politiker eine normale Art geworden, die Regierungspolitik zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund sind Gender-Trainings in Ministerien lächerlich.
Wer sich in Afghanistan für Frauenrechte einsetzt, wird von den Fundamentalisten als "verwestlicht" attackiert. Kann also nur mit Kopftuch und Koran für Frauenrechte gekämpft werden?
"Verwestlichung" ist heute kein scharfer Vorwurf mehr. Die Moraldebatten entzünden sich nicht mehr an freizügigen Westlerinnen, sondern an indischen Filmen, welche die romantische Liebe feiern. Die jungen Leute wollen auch heiraten, wen sie lieben. Sie orientieren sich nicht an Hollywood, sondern an Bollywood. Diese Modernität ist ihnen näher als die des Westens.
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