Interview mit türkischem Dramaturgen: "Humor und Integration sind unvereinbar"
Anatolier und Aliens sind Seelenverwandte, meint der Dramaturg Tuncay Kulaoglu. Die These belegt er mit Ausschnitten aus türkischen Sci-Fi-Filmen.
taz: Herr Kulaoglu, Sie haben eine Seelenverwandtschaft zwischen Anatoliern und Aliens entdeckt?
Tuncay Kulaoglu: Ja.
Tuncay Kulaoglu, 43, hat Film- und Theaterprojekte entwickelt und umgesetzt. Seit 2008 arbeitet er am Ballhaus Naunynstraße.
Sein Videovortrag "Aliens from Anatolia" findet am heutigen Freitag um 20 Uhr im Ballhaus Naunynstraße (Naunynstraße 27) statt. Der Eintritt ist frei.
Vor Kulaoglus Vortrag wird im Ballhaus Naunynstraße erstmals der Platinfarbene Bär für die Meinungsfreiheit verliehen. Der von einer Gruppe israelischer und palästinensischer Filmemacher geschaffene Preis geht an den israelisch-arabischen Filmemacher und Schauspieler Mohammad Bakri ("Jenin, Jenin", 2002). Bakris neuer Film Zahara wird gezeigt.
Preisverleihung und Filmvorführung im Ballhaus Naunynstraße, 17 Uhr, Eintritt frei.
Worin besteht diese Seelenverwandtschaft, und wie sind Sie ihr auf die Spur gekommen?
Sowohl Aliens alsl auch Anatolier wandern gern. Diese Gemeinsamkeit ist mir beim Anschauen alter türkischer Science-Fiction-Filme aufgefallen. Dabei konnte ich auch feststellen, dass beide die gleichen Probleme bei ihren Wanderungen haben.
Was sind das für Probleme?
Das sind zum einen die Reaktionen und Widerstände, mit denen sie vonseiten der Ureinwohner konfrontiert werden. Sie sind immer ein Dorn im Auge der eingeborenen Bevölkerung. Das beginnt beim Aussehen: Anatolier tragen Schnurrbärte oder Kopftücher, Aliens sind oft schleimige, amorphe Gestalten. In der Aufnahmegesellschaft sind beide damit ein Störfaktor. Das führt oft zu Magengeschwüren. Und dann gibt es natürlich Probleme bei der Integration.
Welcher Art?
Nun, die Neuzuwanderer müssen natürlich erst einmal die fremden Kulturen kennenlernen, in denen sie sich niedergelassen haben, einfach mal checken, wie es auf dem neuen Planeten so abgeht. Und das dauert natürlich, bis man die Traditionen und Gewohnheiten der Ureinwohner begriffen hat. Das führt zu Komplikationen mit der einheimischen Bevölkerung.
Deren Reaktionen auf Aliens und Anatolier ähneln sich auch?
Ja, da gibt es überhaupt keinen Unterschied. Ob Anatolier in Almanya ankommen oder irgendwelche Aliens in einer anderen Galaxie, das Prinzip bleibt gleich.
Wie läuft das ab?
Zuerst ist da ein Staunen bei den Einheimischen. Man bekommt solche Fremden ja zum ersten Mal zu Gesicht. Das ist sehr exotisch: andere Sprache, anderes Aussehen, eine völlig andere Lebensweise, andere Talente und Begabungen natürlich auch. Wenn der Schock der ersten Begegnung vergangen ist und die Einheimischen merken, die Neuankömmlinge bleiben für immer hier, fühlen sie sich in ihrem eigenen Zuhause gestört.
Warum das?
Das sind Verteilungskämpfe: Die Eingesessenen merken, dass die Neuen von ihrem Kuchen etwas abhaben wollen. Da kommt es dann auch schon mal zu unschönen Szenen: Pogrome, Häuser werden in Brand gesetzt, Menschen abgefackelt, Aliens werden wegionisiert und zu Staub gemacht. Die technischen Mittel sind unterschiedlich, aber die Reaktionen sind gleich.
Gibt es denn auch positive Beispiele für friedliches Zusammenleben?
Ja, wem Anpassung gelingt, der wird oft toleriert oder gar als kulturelle Bereicherung getätschelt.
Könnte es bei den Bemühungen von Aufnahmegesellschaften und Wanderern, miteinander klarzukommen, eventuell hilfreich sein, auch mal zu lachen?
Alles ein bisschen lockerer zu betrachten wäre nicht schlecht. Aber Humor und Integration sind unvereinbare Dinge, zumal in Deutschland. Dafür sind die Probleme zu ernst. In anderen Galaxien gibt es aber Beispiele dafür, dass es auch anders geht.
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