Interview mit bespitzeltem Grünen-Politiker: "Einer Demokratie nicht mehr würdig"
Ins Blaue hinein hat der niedersächsische Grünen-Politiker Jan Wienken beim Verfassungsschutz angefragt, ob man dort Daten über ihn speichert - und Spannendes erfahren.
taz: Herr Wienken, können Sie noch entspannt telefonieren?
Jan Wienken: Ja. Ich gehe nicht davon aus, dass ich das Ziel größerer Beobachtung bin. Indizien für geheimdienstliche Methoden wie Eingriffe in den Post- oder Briefverkehr habe ich nicht.
Warum haben Sie überhaupt gefragt, ob der Verfassungsschutz Sie beobachtet?
Das war eigentlich mehr ins Blaue hinein. Nachdem bekannt wurde, dass in Hannover Aktionen von Hausbesetzern überwacht wurden, an denen auch Mitglieder der Grünen Jugend beteiligt waren, wollte ich wissen, ob es eine Akte zu mir gibt.
Nicht aus schlechtem Gewissen?
25, ist Landtagskandidat und Parteiratsmitglied der Grünen Niedersachsen, Ex-Landessprecher der Grünen Jugend und studiert in Göttingen Politik und Soziologie.
Das brauche ich nicht zu haben. Für die Grüne Jugend mache ich auch Vernetzungsarbeit mit anderen Organisationen, zum Beispiel beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Möglicherweise bin ich dabei mit Leuten zusammengekommen, die überwacht werden. Es wäre aber spannend zu wissen, was der Verfassungsschutz sonst noch speichert – einer der mir vorgelegten Datensätze entspricht schon mal nicht der Wahrheit. Bei einer Solidaritäts-Kundgebung für die kurdische Freiheitsbewegung 2011 war ich nicht, da war ich bei einer Parteiveranstaltung.
Der Verfassungsschutz hat Ihnen nur einen Teil dessen mitgeteilt, was gegen Sie vorliegt. Wollen Sie den Rest einklagen?
Erst mal warte ich den weiteren parlamentarischen Verlauf ab.
Befürchten Sie Schaden für Ihre politische Arbeit?
Es ist ein starkes Stück, wenn der Verfassungsschutz parteipolitisch aktive Menschen beobachtet. Wenn das in der politischen Arena dann auch noch als Vorverurteilung gegen die Beobachteten verwendet wird, wie es Innenminister Schünemann gerne mit der Linkspartei macht, ist das einer Demokratie nicht mehr würdig. Aus meinem Umfeld habe ich bislang aber nur solidarische und positive Reaktionen bekommen, auch weil ich den Fall öffentlich gemacht habe.
Grübeln Sie, wer über Sie plaudern könnte?
Ich gehe nicht davon aus, dass es im Umfeld der Grünen Jugend V-Leute gibt. In Göttingen, wo ich studiere, gilt die Überwachung der linken Szene aber traditionell als eng. Möglicherweise habe ich dort schon mal unwissentlich mit V-Leuten gesprochen. Konsequenzen für mein Verhalten ziehe ich daraus aber nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind