Observationsgrund Hausbesetzung: Grüne unter Aufsicht
Der Verfassungsschutz beobachtet einen grünen Kommunalpolitiker und Landtagsmitarbeiter in Hannover - und nicht nur ihn.
HANNOVER taz | Der niedersächsische Verfassungsschutz befasst sich ausführlich mit den Grünen. Wie Steffen Mallast, Bezirksratsherr der Grünen in Hannover-Linden, jetzt bekannt gemacht hat, werden er und ein weiteres Parteimitglied vom Inlandsgeheimdienst beobachtet. Mallast ist Mitarbeiter des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, Christian Meyer. Ende Juli war bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz den Grünen-Politiker Jan Wienken, einen Landtagskandidaten und Mitglied im Landesparteirat, ausgeforscht hat.
Die Grünen kündigten an, die Überwachung des Landtagsmitarbeiters Mallast zum Thema im Ältestenrat zu machen. „Es zeugt von einem bedenklich verrutschten Grundrechtsverständnis des Geheimdiensts, wenn Hausbesetzungen und Proteste gegen Mietpreiserhöhungen schon als Begründung für Verfassungsfeindlichkeit herhalten müssen“, kritisierte Fraktionsvize Meyer.
Verfassungsschutz-Präsident Hans-Werner Wargel verteidigte seine Behörde. Sie komme bloß ihrem Auftrag nach und beobachte extremistische Bestrebungen. Weder die Grünen noch die Grüne Jugend stünden als solche unter Beobachtung. Es gebe aber Anhaltspunkte, dass die beiden Parteimitglieder der linksextremistischen autonomen Szene angehörten.
Wie auch sein Parteifreund hatte Mallast vor einem Jahr eine leer stehende ehemalige Polizeiwache besetzt. Der Bezirkspolitiker wollte auf steigende Mieten aufmerksam machen und den Abriss des inzwischen denkmalgeschützten Gebäudes verhindern. Es kam zur Räumung des Gebäudes durch die Polizei. „Warum wird eine Hausbesetzung, die friedlich war und eher eine politische Botschaft war, vom Verfassungsschutz überwacht?“, fragt sich Mallast.
Der Verfassungsschutz in Niedersachsen versteht sich als "Dienstleistungsunternehmen zu Fragen der inneren Sicherheit für Staat und Gesellschaft".
Als Linksextrem versteht er Leute, die den demokratischen Rechtsstaat durch eine herrschaftsfreie Gesellschaft ersetzen wollen und die die westliche Wirtschaftsordnung als Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ablehnen.
Auskünfte erteilt die Behörde zu den Daten in der Akte einer Person, nicht zur Herkunft der Daten. Die Auskunft kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, der Interessen Dritter oder des Quellenschutzes verweigert werden.
Der Bezirkspolitiker hatte von sich aus beim Verfassungsschutz angefragt, ob es eine Akte über ihn gebe. Aufgeschreckt hatte ihn die Überwachung Wienkens. Dem grünen Landtagskandidaten hatte der Verfassungsschutz „linksextremistische Aktivitäten“ vorgeworfen, aber nicht näher spezifiziert. Stattdessen schildert die Behörde weitere Erkenntnisse zur Person: einen Platzverweis, der Wienken erteilt worden sei, und die Teilnahme an zwei Protestaktionen. Eine davon bestreitet Wienken.
Mallast will jetzt prüfen, ob ein Anwalt seine Akte einsehen und ob er die Daten löschen lassen kann. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz findet er besonders problematisch, weil er in seiner Tätigkeit als Mandatsträger und Landtagsmitarbeiter mit vertraulichen Unterlagen zu tun habe.
Der Stadtverbandsvorsitzende der Grünen, Tobias Leverenz, zeigte sich überrascht über den Diensteifer der Verfassungsschützer. „Der ganze Laden wird immer skurriler“, findet er. Jetzt habe er selbst eine Anfrage gestellt. „Ich engagiere mich gegen Nazis“, sagt er. Es sei damit zu rechnen, dass das schon reiche. Aus Solidarität mit Wienken hätten fast 100 Mitglieder der Jusos und der Grünen Jugend Anfragen an das Landesamt für Verfassungsschutz gerichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?