Interview mit Zeichnerin Anna Haifisch: „Katastrophen sind lustiger als Erfolg“
Anna Haifisch kreiert seit Jahren das Bild einer hungernden und leidenden Künstlerin. Die Leipziger Comic-Zeichnerin erklärt ihren Bohème-Lifestyle.
taz.die tageszeitung: Frau Haifisch, seit zwei Jahren zeichnen Sie in „The Artist“ das Leben eines unglücklichen Künstlers. Darin gibt es viele Überschneidungen zu Ihrem eigenen Leben: Beruf, Wohnort, Bekanntschaften. Ihre Hauptfigur erscheint dem Betrachter wie ein Alter Ego. Warum ist diese Figur ausgerechnet ein Vogel?
Anna Haifisch: Ich sehe ja auch ein bisschen aus wie ein Vogel. Anders als der „Artist“ habe ich zwar mehr als vier Haare, meine Physiognomie ist allerdings ziemlich schnabelmäßig. Außerdem sind Vögel sehr fragil und kommen recht schwächlich daher.
Was macht Ihr Alter Ego so schwach?
Der Artist ist nicht wirklich in der Lage, mit den Herausforderungen der Kunstwelt klarzukommen. Er ist vielleicht von vornherein von recht sensibler Gestalt. Die Sachen, denen er ausgeliefert ist, schwächen ihn enorm: sein Wille nach Erfolg und sein Nicht-in-der-Lage-Sein, dieses Bedürfnis auch nur halbwegs zu bedienen.
Der Mythos lautet, dass große Kunst nur entstehen kann, wenn der Künstler leidet.
Ja, ja, der bittere Geschmack der Armut. Ich finde das fragwürdig. Dieses altväterliche Denken, dass Kunst nur aus Leid kommt, dass man selber etwas durchmachen muss, um es zeichnen zu können. Diese Idee bediene ich mit meiner Figur natürlich total. Ich spiele damit. Vor allem, weil Desaster und Katastrophen einfach lustiger sind als ständiger Erfolg. Die Geschichte wäre dann vielleicht auch nicht so stark. Man muss als Künstler aber nicht leiden.
Und wenn Sie auf Ihr eigenes Leben schauen?
Ich bin nicht reich, aber ich lebe schon einen kleinen Bohème-Lifestyle. Ich kann aufstehen, wann ich will, und arbeiten, wann ich will. Das ist doch relativ luxuriös.
1986 in Leipzig geboren, schreibt und zeichnet seit 2015 für Vice die wöchentliche Comicserie „The Artist“. Gesammelt und gedruckt ist die Reihe in zwei Bänden bei Reprodukt erschienen.
Was braucht es statt des Leids, um es auf dem Kunstmarkt zu schaffen?
Eigentlich bin ich ja eher Beobachterin als wirklich Teil des Kunstmarkts. Es gibt immer mal Ausstellungen, wo meine Arbeiten auftauchen. Das liegt aber nur daran, dass Comics gerade en vogue sind. Um die Frage zu beantworten: Ein bisschen Glück gehört immer dazu und jede Menge Zeit, würde ich sagen.
Und vermögende Eltern?
Und vermögende Eltern! Oder zumindest einen Vorschuss. (lacht) Also tatsächlich irgendetwas, das einem die Zeit gibt, um Arbeiten zu produzieren.
Wie ist es mit Ihren Eltern? Wie stehen die zu Ihrer Berufswahl?
Die sind ganz zufrieden, haben jedoch eigentlich nichts mit Kunst zu tun. Mein Vater ist in der Krankenpflege, und meine Mutter arbeitet beim Augenarzt, also auch ein Pflegeberuf. Die sind Beobachter, wohlwollende Beobachter. Wahrscheinlich gibt es niemanden, der meinen Namen so häufig googlet wie die beiden.
Der Artist besucht in einer Geschichte seine Familie und fällt in Ohnmacht, weil Eltern seinen Tumblr-Account lesen und ein Bild von ihm für ihr renoviertes Bad wollen. Ist Ihnen das Interesse ihrer Eltern peinlich?
Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.
Sie haben Anregungen, Kritik oder Wünsche an die Zukunftswerkstatt der taz? Schreiben Sie an: neuland@taz.de. Das Team der taz.leipzig erreichen sie unter leipzig@taz.de
Nö. Es wäre natürlich ungünstig, wenn sie meine Arbeiten verachten oder nicht verstehen würden. Ansonsten bin ich alt genug. Die Zeit ist vorbei, wo einem die eigenen Eltern peinlich sein müssen.
Sie haben an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert. Was waren dort die ersten Schritte?
Im ersten Jahr dort dachte ich noch: Ich will Holzschnitte machen. Düsteres Zeug. Viel habe ich letztens erst weggeschmissen, als ich es versehentlich gefunden habe. Das sind die Sachen, die mir wirklich peinlich sind! Richtig widerlicher Kram.
Zum Beispiel?
Irgendwann habe ich versucht, „Der Zauberberg“ von Thomas Mann zu illustrieren. Eigentlich kein schlimmes Vorhaben. Allerdings war das finster, verschroben und stilistisch ein ganz fieser Abklatsch vom Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner. Die von der Hochschule haben mir damals schnell gesagt, dass das nichts sei. Man selbst braucht aber immer erst eine Weile, um das zu sehen.
Was kam nach den Holzschnitten?
Ich war in einer Klasse für Illustrationen, da hat sich das mit den Comics langsam angebahnt. Ich habe immer Comics gelesen, hatte aber nie Bock, selber welche zu machen. Richtig Fahrt aufgenommen hat das erst, als ich für eineinhalb Jahre nach New York gezogen bin. In Amerika gibt es einfach viel wilderes Zeug als in Europa. Ich habe da in einer Siebdruckwerkstatt gearbeitet und bei James Turek gewohnt, der auch Comics zeichnet und jetzt in Leipzig lebt. Erst in dieser Zeit habe ich angefangen, das ernster zu nehmen.
Wenn man nach Comics und Leipzig sucht, findet man nicht viel. Gibt es das abseits von Ihnen überhaupt: eine Leipziger Comicszene?
Ja, schon. Also nicht so richtig. Wir haben 2013 den „Millionaires Club“ gegründet. Das ist unser Comic- und Grafikfestival, das wir jedes Jahr zur Leipziger Buchmesse organisieren. Da sind wir zu acht. Drei von uns sind Comiczeichner: Max Baitinger, James Turek aus den USA und ich. Wir wohnen auch alle in der Stadt, sind bei bekannten Verlagen und halbwegs etabliert. Man kann jedoch schon sagen, dass die Szene eher jung ist.
Was passiert beim Millionaires Club?
Es gibt eine Messe, eine Hand voll Ausstellungen drum herum, Workshops, Lesungen und eine riesengroße Party. That’s it. Das Festival ist noch relativ klein. Was uns wichtig ist, ist, Künstler oder Kollektive einzuladen, die noch nicht so richtig bekannt sind. Oder die im Ausland bekannt sind, aber noch nicht in Deutschland. Der Fokus liegt da weniger auf Mainstreamsachen. Wir können nicht alles abdecken, wollen wir aber auch gar nicht.
Man wird Sie also niemals bei Marvel Comics sehen, wie Sie Captain America zeichnen?
Ich kenne mich damit auch nicht aus. Superheldencomics haben ja auch einen ganz bestimmten Stil. Den zu simulieren, da würde ich mich lächerlich machen. Captain America wäre bei mir wahrscheinlich ziemlich schlabberig unterwegs, weniger patriotisch und mit Selbstzweifeln geplagt. Vielleicht am Ende seiner Karriere.
„The Artist“ steht aktuell auf Halt. Der letzte Comic erschien im Dezember. Kürzlich haben Sie einen zweiten Sammelband veröffentlicht. Welche Pläne gibt es für die Zukunft Ihres Alter Egos?
Das ist schwierig zu sagen, wegen des gleichbleibenden Themas: Man schwebt wie ein Geier über dem verröchelten Tier und muss da noch irgendwas rauspicken. Das macht mir Sorgen. Ich brauche noch mehr Ideen, ehe ich neue Geschichten aufschreiben kann. Lieber höre ich auf, bevor ich es später verkacke. Vielleicht setze ich mich im Winter wieder ran.
Wegen der deprimierenden Stimmung und den vielen dunklen Stunden?
Weil ich wegen der Deadlines dann eh nicht mehr rauskann. Aber die schlechte Stimmung hilft bestimmt auch.
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