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Interview mit Tahrir-Aktivist"Schlimmer als im Januar"

Bei den Protesten in Kairo sind die Opferzahlen viel höher, als es die Regierung behauptet, sagt ein Tahrir-Aktivist. Seine Forderung: Das Militär muss umgehend die Macht abgeben.

Mit Gewalt gegen den Protest: Ein verletzter Demonstrant auf dem Weg zum Krankenwagen. Bild: dpa
Interview von Juliane Schumacher

taz: Die Regierung ist zurückgetreten. Warum verlassen die Protestierenden den Platz nicht?

Hassan Bilal*: Die neue Regierung wird weitermachen wie die alte. Die Regierung hat keinerlei Macht, sie kann nichts entscheiden ohne Zustimmung des Militärrates. Immer wenn es Proteste gab, ob im Februar oder im Juli, tauschte der Militärrat das Kabinett aus - an der Politik änderte das nichts.

Was fordern die Protestierenden?

Der Militärrat muss die Macht abgeben, so bald wie möglich.

Das will er im Juni.

Wer sagt uns, dass das stimmt? Wir haben das Gefühl, die spielen mit uns. Sie erzählen irgendetwas, damit wir den Platz verlassen. Wer garantiert uns, dass es dieses Mal anders ist? Wir sind nach Mubaraks Rücktritt zu früh nach Hause gegangen, bei den Protesten im Februar und im Juli.

Hätte eine Regierung unter al-Baradei Ihr Vertrauen?

Die Parteien, die mit dem Militär über die Bildung einer neuen Regierung verhandeln, vertreten nicht die Demonstranten auf dem Tahrirplatz. Wir trauen den Politikern und Parteien nicht. Sie alle haben die Revolution im Stich gelassen und in den letzten Monaten die Spiele des Militärrats mitgespielt.

Die Parteien und Parlamentskandidaten haben nicht an den Protesten teilgenommen. Am Montag sind nach Gesprächen mit dem Militär die liberalen Kandidaten Ayman Nour, Amr Hamzawy und andere zum Tahrir gezogen, um sich zwischen die Protestierenden und die Polizei zu stellen. Die Protestierenden haben sie rausgeworfen.

Was wäre ein Grund, den Protest zu beenden?

Das Militär muss die Macht abgeben und sich aus der Politik zurückziehen, jetzt sofort. Die Wahlen, die Ausarbeitung der Verfassung muss ein ziviler Übergangsrat organisieren. Und die Angriffe müssen aufhören! Auf dem Tahrirplatz findet ein Massaker statt, die Opferzahlen sind viel viel höher, als die Regierung sagt.

Die Polizei schießt Demonstrierenden die Augen aus, stürmt Krankenlager und verhaftet Ärzte. Sie schießen mit scharfer Munition und benutzen ein neues, viel gefährlicheres Gas. Allein heute sind in der Mohammed-Mahmoud-Straße am Tahrirplatz mindestens sechs Menschen getötet worden, niemand weiß, was in Städten wie Suez los ist. Die Situation ist schlimmer als im Januar.

* Name geändert. Bilal ist 23, lebt in Kairo und ist seit Januar auf dem Tahrirplatz dabei

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