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Interview mit Piratenanwältin"Habenichtse vor Gericht"

In Hamburg hat heute der Prozess gegen zehn somalische Piraten begonnen, die ein deutsches Frachtschiff überfallen haben. Anwältin Heinecke sieht einen "minder schweren Fall".

Ende einer Kaperfahrt: Einer der somalischen Piraten, die ein deutsches Containerschiff gekapert hatten, wird von niederländischen Marinesoldaten in Djibouti von Bord gebracht. Bild: dpa / niederländisches verteidigungsministerium
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Frau Heinecke, Sie vertreten einen der zehn Somalier. Mit welchen Strafen müssen die Angeklagten rechnen?

Gabriele Heinecke: Die Männer sind angeklagt wegen erpresserischem Menschenraub und gemeinschaftlichem Angriff auf den Seeverkehr. Auf beide Delikte steht eine Mindeststrafe von fünf Jahren. Für den Fall, dass die zehn verurteilt werden, muss man sicher über einen minder schweren Fall nachdenken, das wäre dann eine Mindeststrafe von einem Jahr.

Gabriele Heinecke

ist Fachanwältin für Straf- und Arbeitsrecht in Hamburg. Sie vertritt einen der zehn Somalier.

Was ist daran "minder schwer", wenn bewaffnete Piraten ein Frachtschiff angreifen?

Haben Sie die Bilder nach der Festnahme gesehen? Das waren ausgemergelte klapperdürre Gestalten. Diese Männer wissen, was Hunger ist. Somalia ist ein geschundenes kaputtes Land. Wer seine Familie nicht satt bekommt, wem jede ärztliche Versorgung fehlt, wer keine Perspektive mehr sieht, kann den Zwang verspüren, jede Arbeit anzunehmen, auch die auf dem Meer beim Kapern von Schiffen.

Die Piraten bekommen doch regelmäßig Lösegelder in Millionenhöhe, gehört Hunger da nicht der Vergangenheit an?

Mag sein, dass es den Hintermännern und den Clans, die das Geschäft kontrollieren, inzwischen ganz gut geht. Das gilt aber nicht für das Fußvolk, für die Leute, die die gefährliche Arbeit mit hohem Risiko machen müssen. Es gibt in Somalia eine drastische Kluft zwischen Reichen und Armen. Die Angeklagten von Hamburg gehören eindeutig zu den Armen.

Kein einziger von ihnen gehört zu den Rädelsführern?

Das sagt schon der gesunde Menschenverstand, dass die Profiteure sich nicht in die kleinen Boote setzen, um auf offener See ein großes Containerschiff zu entern - mit hohem Risiko, dabei verletzt oder festgenommen zu werden. Die Hintermänner könnte man vielleicht auf den Mutterschiffen vermuten, die hinzu kommen, wenn die Drecksarbeit gemacht ist. Noch wahrscheinlicher ist, dass die wirklich Verantwortlichen ganz im Hintergrund bleiben. In Hamburg stehen die Habenichtse vor Gericht.

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25 Kommentare

 / 
  • V
    vic

    @ von @Faltbrot:

     

    ...und leider sitzen nicht die Clanchefs mit Villa, Yachten, Hummer-SUV vor Gericht, sondern deren hungerleidende Handlanger. Jederzeit austauschbar, übrigends.

    Einen Job als Pirat zu bekommen, ist an der Küste ein Privileg.

  • F
    @Faltbrot

    leider bekommen aber nicht die Manager oder Aufsichtsräte dieser Fischereikonzerne oder Ölmultis die Gewehre an den Kopf gesetzt sondern die Matrosen (meist aus Russland, Sri Lanka, den Philippinen usw.)

  • F
    Faltbrot

    "MACHT KAPUTT WAS EUCH KAPUTT MACHT ",

    Das da ein Pirat eher an einen Tanker oder Containerschiff kommt als an irgentwelche Fischrereikonzerne die Ihnen die Existens zerstört haben ist leider so.Nur ein Beispiel,wärend hier die Tiefkühltruhen überquellen woanders menschen verrecken.Wo fragt da jemand nach Gerechtigkeit.

  • M
    MissKittenheel

    @Amos:

    "fringsen" - fand nicht mit Maschienengewehren und Panzerfäusten statt.

  • V
    vic

    Die Menschen, die in diesen Ländern (noch) leben und sich NICHT Piraten anschließen dürfen, haben schlicht nichts zu essen für sich und ihre Familien.

    Woran das liegt, ist bekannt.

    Vielleicht beziehen wir diesen Umstand in unsere Kopf-ab-Urteile ein.

  • A
    Alsterpirat

    Und ich dachte bei der Überschrift erst,

    hier macht die Musikindustrie wieder mal eine handvoll studentischer Musikfreunde finanziell fertig (mit Streitwerten rund um ein Reihenhaus, wie üblich).

     

    Wie man sich irren kann... Arr...

  • H
    Hollerup

    Ich wusste bislang nicht, dass Armut auch mildernde Umstände bei Verbrechen verlangt, für die andere die volle Härte des Gesetz zu spüren bekommen.

  • SY
    smukster ypc

    Zustimmung @ Katharina - wie ueblich werden solche Fragen wohl nicht gestellt werden. Der Kontext darf nicht interessieren, sonst muesste nach den wirklich Verantwortlichen gesucht werden.

    Dabei stand das sogar schon im Focus (ja, selbst da!) recht offen und klar drin.

     

    @broxx - ein Krimineller verwirkt also seine Menschenrechte? In der Tat - sehr duenn, die Decke.

  • EB
    ein bürger2

    Armut legitimiert nicht Verbrechen

    - jedenfalls nicht gegen unbeteiligzte Menschen.

    Die Annahme eines minder schwerer Falles halte ich für gutes Brüllen der Anwältin - das ist ihr job -. Sachlich ist die Annahme aber nicht gerechtfertigt. Der Angriff auf völlig fremde Menschen, die mit der Situation in Somalia so gänzlich nichts zu tun haben ist ein schweres Verbrechen und bleibt es. Die zwei Deutschen, die Russen, Ukrainer und Srilankaner haben mit der Situation in Somalia nichts zu tun.

    Einen Angriff auf ihre Freiheit die Bedrohung und die Gefährdung ihrer körperklichen Unversehrtheit als minder schwer einzuordnen, weil es den Angreifern selbst so schlecht geht ist ja wohl vollkommener quatsch. Ich möchte gern wissen, ob die Anwältin die gleiche Einschätzuung vornehmen würde, wenn sie selbst oder eine ihr nahe stehende Person betroffene der Straftaten gewesen wäre - sicher nicht.

    Irgendwie Menschenverachtend zu meinen die Angreifer dürften so agieren, weil es Ihnen selbst so schlecht geht.

    Wenn es den Menschen schlecht geht sollten sie die Verursacher dieser Situation bekämpfen. Krieg, Bürgerkrieg, Korruption, Diktatur und die Herrschaft von Clans und Warlords ist die Ursaache für die schlechten Zustände in Somalia.

    Sicher gibt es auch wirtschaftliche Umstände die von außen auf Somalia wirken und die zu kritisieren sind.

    Angriffe auf Menschen auf Frachtern weit weg von der somalischen Küste und den hausgemachten somalischen Problemen werden die Situation nicht verbessern.

    Das erpresste Geld verfestigt eher die bestehenden Verhältmnisse.

    Ich möchte auch, dass es den Somalis besser geht.

    Verbesserung werden sie aber nicht mit solchen Mitteln erreichen.

     

     

     

    es gibt viele Ursachen, für die schlechte Situation der Menschen in Somalia.

  • P
    Piratenschnecke

    Arrrr.....die Hanselstadt Hamburg.

  • W
    Wegmitdemsuezkanal

    Schlichtweg imperialistische Diktatur die HIER an den Pranger zu stellen, während vor allem Merkel weiterhin nicht nach Kunduz ausgeliefert wird und sich schon am nächsten geplanten Massenmord aufstachelt.

    Viel schlimmer sind der Müll, den die Pötte durch die Gegend schippern und der Diesel, den sie dabei trotz Klimachaos weiterhin verbrennen dürfen.

  • D
    DannyL

    @PiratenPack:

     

    Richtig! Elende Sauzucht, diese! Sollen die gefälligst arbeiten gehen, wenn sie Hunger haben!

     

    Ach nee, geht ja nicht. Na dann müssen die wohl in Deutschland Asyl beantragen.

     

    Ach nee, hier will die ja niemand.

     

    Also wirklich, so ignorante Menschen wie Sie sind schuld, dass solche Zustände, wie sie dort herrschen, überhaupt erst möglich sind.

  • F
    Frank

    Es ist immer wieder beeindruckend, mit welcher Treffsicherheit die Oeffentlichkeit „boese“ Gewalt und andererseits „gute“ Gewalt unterscheiden kann.

    Piraten sind bewaffnet. Frueher ernaehrten diese Piraten sich und ihre Familien von Fischfang, Landwirtschaft und Handwerk. Heute steht diesen Menschen, und das sind Millionen, weder Land noch Wasser zur Verfuegung. Der Entzug der Voraussetzungen ihrer Existenzsicherung geschieht zum Teil durch direkte militaerische Intervention und durch vertragliche Vereinbarungen mit dem Eigentuemer der jeweiligen Ländereien. Vertragspartner sind hier die „Staatsmaenner“ der Entwicklungsstaaten und auslaendische Regierungen, Geschaeftsleute der Industrienationen.

    Die Folge ist ein Nebeneinander von mittelalterlichen Produktionsmethoden (Fischerboot mit Wurfnetz oder Angel) und Fangflotten. Die Landwirtschaft findet nur noch dort statt, wo auslaendische Paechter kein Interesse an einer Verwertung haben. Fruchtbare Regionen werden, alles vertraglich moeglich, der Nutzung der einheimischen Bevoelkerung entzogen. Modernste Agrartechnik wird per Schiff oder Flugzeug transportiert. Teile der ehemaligen Nutzer werden zu ortsueblichen Tarifen in diesen Geschaeftsbereichen eingestellt.

    Zum Schluss verbleibt die ueberwiegende Mehrheit der Bevoelkerung mittellos, ohne jede Grundlage von Mitteln zu Versorgung oder Reproduktion.

    Praktisch ist das Ueberleben dieser Millionen von der Bereitschaft anderer abhaengig, die Mittel der Existenzerhaltung zu spenden (Red Nose Day, Brot fuer die Welt, usw usw).

    Das ist alles, laut Definition der Handelspartner, keine Gewalt.

     

    Jetzt zu den Piraten.

    Als Vertragspartner besitzen diese Menschen nichts was die „Verwalter“ und Besitzer von Land und

    Boden interessieren wuerde. Mit diesem „Abfall“ der Entwicklung ist kein Geschaeft zu machen. Die „Masse“ dieses „Abfalls“ wird spaetestens dann zum Problem, wenn auch nur Teile davon beschliessen nicht einfach in der Sonne auf den Tod zu warten.

    Das ist dann die Sorte Gewalt welche dann als „Kontrollbedarf“ in den Zielstaaten des abranstortierten, produzierten Reichtums diskutiert wird. Da werden dann die Methoden diskutiert, wie man dem Problem Herr wird. Gebildet wird der Einsatz von „Begleitschutz“ erwogen, das Volk haette den Abfall vor Ort ins Wasser geworfen.

    Im Prinzip ist man sich also einig. Diese „Menschen“ stoeren „uns“ wie Fliegen. Patsch, und fertig.

  • L
    Lixix

    @Broxx und Piratenpack:

     

    eine solch undifferenzierte Meinung gehört nicht ins Internet. Vielleicht bei einem Stammtisch der FDP oder Schillpartei, aber bitte, bitte behaltet so etwas für Euch, wenn ihr nicht in der Lage seid, Euch zu informieren und verschiedene Standpunkte zu erwägen.

     

    PS: Und bitte steckt Eure Fackeln und Heugabeln wieder weg, die Zeiten des Lynchmob und der Selbstjustiz sind vorbei.

     

    Danke.

  • RR
    Robert R

    @broxx:

     

    Es ist nun mal immer so, dass Verbrecher Rechte anderer Menschen missachten - meist auch Menschenrechte. Trotzdem gelten diese Rechte auch für Verbrecher.

     

    Die Alternative die Du hier vorschlägst, wäre "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Das galt hierzulande eigentlich seit der Aufklärung sinnvoller Weise abgeschaft - sonst könnten wir auch die Scharia (oder das Alte Testament) als Rechtsgrundlage einführen, wäre auch kein Unterschied.

     

    Noch ein weiterer Schritt zurück als die Scharia wäre das Recht des Stärkeren - das gilt derzeit vor allem, wenn "der Westen" als die Stärkeren auf andere Kulturen trifft. Siehe den Beitrag von Katharina.

  • J
    Juju

    Statt diese zu verurteile, sollten wir besser diese arme Menschen samt Familien hier aufnehmen, immerhin braucht Deutschland Migranten und diese haben zumindest bewiesen, dass sie mutig sind.

     

    Liebe Bürger nicht nur der Islam, aber auch das Piratentum gehört jetzt zu Deutschland! Wir brauchen endlich eine Willkommenskultur in diesem Land.

  • J
    Jens

    Es ist ungeheuer schade, dass Kommentare vorwiegend zu einer Ansammlung kurzsichtiger Affektäußerungen geworden sind. Und wenn sich im Kommentarfeld der taz nur noch auf diesem youtube-Niveau bewegt wird, erzeugt das vor allem ein Gefühl von Einsamkeit.

     

    Dass man das menschenrechtliche Verfahren mit einem Angeklagten nicht an dessen geistigem / sozialem Horizont messen darf, sollte eigentlich Konsens sein. Dieser Gedanke ignoriert Not, Bildungslosigkeit und soziale Herkunft des Angeklagten.

     

    In solch harrschem Ton über Somalias Einwohner zu sprechen, ohne sich das Geringste um sie zu scheren und mit ihnen zu beschäftigen, zeugt leider außerdem tatsächlich von dieser "neuen Härte", die gerade im Westen aufkeimt.

    Wenn man schon über Recht und Moral nachdenkt, sollte man sich eher fragen, inwieweit es legitim ist, dass westliche Schiffe dort unten fischen, ohne die dortigen Länder davon profitieren zu lassen. Ein somalisches Fischerboot in der Nordsee wäre wirtschaftlich mit Europa verknüpft.

  • W
    Wurstpanzer

    Wenn johnny depp nen pirat ist, finden das alle cool. bei echten piraten sind dann aber alle geschockt, oder wie?

    erst stehlen wir wohlstandsmenschen den somalischen fischern ihre lebensgrundlage und dann siehts auch noch so aus, als wären sie die schwerverbrecher.

    die reedereien haben einfach die bessere pr-maschinerie.

     

    natürlich ist es scheiße menschen zu entführen und deren tod in kauf zu nehmen. keine frage.

    die frage ist: sollten wir nicht die ursachen bekämpfen, anstelle der symptome?

  • PW
    Patrizia Wegner-Keskin

    Genoss_in Gabriele Heinecke definiert Piraterie als „gefährliche Arbeit mit hohem Risiko“.

    Arbeit ist bekanntlich ein Menschenrecht und kein Verbrechen. Das sollte auch den Kommentator_innen hier bekannt sein. Eine Verurteilung dieser um ihr Überleben kämpfenden Menschen durch die repressiven Staatsorgane der BRD wäre ein Verbrechen!

  • A
    Amos

    Gegen den kapitalistischen Imperialismus sind die Piraten doch Waisenkinder! Wer stehlen muss zum Überleben der "fringst" und stiehlt nur im verzeihlichem Maße. Wer arme bestiehlt kommt glimpflich davon; wer aber die Reichen bestiehlt...

  • K
    Katharina

    Im Prinzip trägt die Überfischung durch westliche "Fischfabriken" an der somalischen Küste die Hauptschuld an der Entstehung von Piratenbanden in Somalia. Die Menschen können sich nicht mehr über ihren traditionellen Beruf ernähren und so bleibt Piraterie ihre einzige Perspektive. Da müsste man ansetzen!!!

  • P
    PiratenPack

    Ich weiß die wollten doch nur Spielen und hatten eine schwierige Kindeheit!

     

     

    Das sind Schwerverberecher die sehr brutal sind!

  • B
    broxx

    @Aufklärung

    Blödsinn! Wenn so´n Pirat an Bord kommt dann kannste ja mal mit dem über Menschenrechte reden. Hihi, der legt dich um! Von daher, komm doch jetzt nicht mit Menschenrechten, oder ist Piraterie inzwischen ein Menschenrecht bei uns?

  • A
    Aufklärung

    @broxx: Und mit ihnen Rechtsstattlichkeit und Menschenrechte.

    Tja, dünn ist die Zivilisationsdecke in diesem Land geworden, seit dem Sarrazynische Schriften Anklang finden und die Bundeswehr für Wirtschaftsinteressen in die Schlacht Ziet.

  • B
    broxx

    Minder schwerer Fall-is ja witzig! Die hätte man vor Ort ins Wasser geworfen und gut wäre es!