piwik no script img

Interview mit Katrin Sass"Nach Strich und Faden verarscht"

In "Lulu & Jimi" spielt Katrin Sass erstmals ein echtes Scheusal. Ein Gespräch über die DDR, das Leben, die Karriere - und die Kunst, Chancen zu verpassen.

Einfach nur fies: Katrin Sass als Mutter Gertud in Oskar Roehlers "Lulu & Jimi". Bild: x-verleih
Interview von David Denk

taz: Frau Sass, in Oskar Roehlers neuem Film "Lulu & Jimi" spielen Sie eine Rabenmutter, beinahe eine Hexe. Wie ist Herr Roehler darauf gekommen, Sie dermaßen gegen Ihren Typ zu besetzen?

Das ist Sass

Katrin Sass, geboren 1956, war eine der populärsten Schauspielerinnen der DDR und wurde durch "Good Bye, Lenin!" (2003) auch im Westen Deutschlands bekannt. Nach einer Ausbildung zur Facharbeiterin für Fernsprechverkehr, "meine Armeezeit" (Sass), und ihrer Schauspielausbildung in Rostock spielte Sass Theater in Halle und Leipzig und debütierte 1979 in Heiner Carows Film "Bis dass der

Tod euch scheidet". 1982 gewann sie für ihre Rolle in "Bürgschaft für ein Jahr" den Silbernen Bären der Berlinale. Nach der Wende wurde sie 1993 "Polizeiruf"-Kommissarin, musste den Dienst 1998 aber wegen eines Alkoholproblems quittieren. Katrin Sass war bis 2007 mit dem Regisseur Siegfried Kühn verheiratet und lebt in Berlin.

Katrin Sass: Das war verrückt, er hat sich diese Inszenierung der "Dreigroschenoper" angeguckt …

… von Klaus Maria Brandauer im Berliner Admiralspalast vor zweieinhalb Jahren, in der Sie die Mrs. Peachum spielten …

… das war ja keine tolle Inszenierung, aber da hat er wohl gemerkt, dass ich auch böse sein kann und mich zum Casting eingeladen. Das hat er natürlich nicht so genannt.

Wie dann?

"Komm doch einfach mal bei mir im Büro vorbei", hat er gesagt. Das war sehr geschickt von ihm. Castings sind so was Grauenvolles. Und das weiß er als Regisseur natürlich. Als er mich dann bat, eine bereitliegende Perücke aufzusetzen und ein bisschen betrunken rumzulallen, wurde mir dann bewusst, dass er mich nicht einfach nur mal so kennenlernen wollte.

Ein bisschen naiv war diese Annahme schon von Ihnen, oder?

Natürlich. Natürlich. Jetzt im Nachhinein wird mir erst klar, wie grandios er das gemacht hat.

Was glauben Sie, Frau Sass, warum ist Ihre Figur so böse?

Das weiß ich nicht genau - und ich glaube, es ist auch nicht wichtig, die Gründe zu kennen. Ich finde es jedenfalls wunderbar, endlich mal einen richtigen Drachen zu spielen, mit dem der Zuschauer keine Spur Mitleid hat, dessen Bösartigkeit zu keiner Zeit relativiert wird. Es gibt keinen weichen Kern, nur raue Schale.

Mein Eindruck ist, dass es viel damit zu tun hat, dass sie mit der Jugend und Schönheit ihrer Tochter Lulu nicht klarkommt, weil sie das mit ihrem eigenen Altern konfrontiert.

Das spielt sicherlich eine Rolle.

Waren Sie auch schon mal neidisch auf die Schönheit einer Jüngeren?

Nein, ganz im Gegenteil. Ich möchte mit jungen Schauspielerinnen heutzutage nun wirklich nicht tauschen. Diese Freiheit, nach der ich mich damals in der DDR immer gesehnt habe, kann ja auch eine Bürde sein. Heute werden junge Frauen, die ein schönes Gesicht haben, von der Straße geholt, dürfen ein paarmal ihren Text aufsagen, und mit Ende 20 ist die erhoffte Karriere schon wieder vorbei. Wie schnell es zu Ende sein kann, ist den meisten nicht mal bewusst.

Haben Sie mit Ihrer Filmtochter Jennifer Decker, die die "Lulu" spielt, darüber gesprochen?

Hätte ich gern, aber wir haben uns leider kaum verstanden, da Sie ja Französin ist und ich die Sprache nicht spreche. Aber mein Eindruck war, dass sie sehr selbstbewusst ist - wie viele Kolleginnen in ihrem Alter.

Wie erklären Sie sich das?

Ich habe dafür keine Erklärung.

Sie wiederum wurden zu Beginn Ihrer Karriere kleingehalten. Stimmt es, dass Sie nach Ihrem Silbernen Bären für "Bürgschaft für ein Jahr" bei der Berlinale 1982 zwei Jahre lang keinen einzigen Drehtag hatten, weil behauptet wurde, sie wären schwanger?

Ja, so war das. Gott sei Dank habe ich das erst viel später erfahren. Ich habe wirklich gedacht, was für ein Zufall, da kriegst du im Westen einen Preis und wirst im Osten nicht mehr besetzt.

Sind Sie überhaupt nicht misstrauisch geworden?

Nein, eigentlich nicht. Nur der sehr kühle Empfang beim Filmminister kam mir seltsam vor. Wir tranken ein Glas Sekt, er klopfte mir väterlich auf die Schulter, sagte "So, und jetzt schön aufm Teppich bleiben" und schickte mich wieder nach Halle ans Theater. Aber man wird in dieses Land reingeboren, wird groß mit der Mauer und stellt das alles nicht in Frage. Wenn man gewusst hätte, wie man nach Strich und Faden verarscht wird, hätte man das Leben in der DDR nicht ausgehalten. Mein damaliger Mann zum Beispiel …

der Regisseur und Drehbuchautor Siegfried Kühn …

… hat damals sehr viel für den Papierkorb geschrieben, viel für den Keller gedreht und das wie andere auch immer persönlich genommen. Uns war gar nicht klar, dass das Beschäftigungstherapie war. Wer arbeitet, muckt nicht auf. Die haben das schon sehr geschickt gemacht, dass man immer an sich selbst gezweifelt hat und nicht am Staat.

Sind Sie aus heutiger Perspektive glücklich darüber, dass Sie so naiv waren oder bereuen Sie Ihre Gutgläubigkeit?

Eher glücklich. Andererseits ärgere ich mich heute darüber, dass ich bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig …

wo Sie damals am Theater waren ...

… keine aktivere Rolle gespielt habe. Ich war da nur Zaungast, weil ich mich nicht in den Vordergrund drängeln, mich nicht einfach so an diese Clique dranhängen wollte. Trotzdem war die Wende die aufregendste Zeit in meinem Leben. Da habe ich auch zum ersten Mal bewusst die DDR-Nachrichten verfolgt.

Wie bitte?

Vorher gabs doch keinen Grund dafür. Da lief doch immer der gleiche Propagandamist. Dass die Mutter in "Good Bye, Lenin!" gar nicht merkt, dass man ihr alte "Aktuelle Kamera"-Beiträge unterjubelt, ist ja überhaupt nicht so abwegig, wie es für Westdeutsche vielleicht klingt. Als ich den Film vor kurzem nachts noch mal im Fernsehen gesehen habe, musste ich darüber sehr lachen. Dieses Detail hatte ich schon vergessen.

"Good Bye, Lenin!" von Wolfgang Becker hat Ihr mit Michael Kliers "Heidi M." eingeläutetes Comeback vollendet. Und schon wieder blieben die Rollenangebote aus. Woran lag das diesmal?

Wenn ich das wüsste! "Good Bye, Lenin!" wurde ein Welterfolg, und ich hatte erst mal eine längere Pause. Ich erinnere mich an die französische Premiere, da waren die Leute ganz erstaunt, dass ich überhaupt Zeit für sie hatte. Irgendwann habe ich dann in einem Interview auch über meine Zwangspause gesprochen und wurde dafür ganz schön angegriffen.

Warum? Weil es als unprofessionell gilt, zuzugeben, dass man nichts zu tun hat?

Ja, man sagt ja eigentlich, dass man an diversen Projekten arbeitet, Details aber noch nicht verraten darf und diesen ganzen Quark. Ich dachte mir aber: Alle kennen diese Situation. Dafür muss man sich doch nicht schämen - zumindest nicht nach einem Erfolg wie "Good Bye, Lenin!".

Gab es auch positive Reaktionen?

Ja, vor allem von männlichen Kollegen, die mir bestätigt haben, dass ein Preis für die Karriere nicht unbedingt förderlich ist. Offenbar haben viele gedacht, dass ich entweder gar nicht mehr in Deutschland drehen würde oder zumindest für Fernsehproduktionen nicht mehr bezahlbar wäre. Bei meiner Agentur angefragt haben aber nur die wenigsten. Dann hätten sie schon gemerkt, dass ich durch "Good Bye, Lenin!" nicht teurer geworden bin, na gut, vielleicht ein bisschen.

Nun sind Sie ja mit "Lulu & Jimi" mal wieder im Kino zu sehen und stehen wieder sehr stark in der Öffentlichkeit - was Sie eigentlich immer eher zu vermeiden versuchen. Warum?

Neulich stand ich in meinem Häuschen und beobachtete die Leute draußen auf dem See beim Schlittschuhlaufen. Da fiel mir ein schöner Satz ein: Der rote Teppich muss für dich immer ein dünnes Eis sein. Ich mag Öffentlichkeit nur, wenn sie kein Selbstzweck ist, es etwas mit meiner Arbeit zu tun hat. Zu jedem Event zu rennen, nur um meine Nase zu zeigen, finde ich abartig.

Also sind Sie auch für Homestorys nicht zu haben?

Das habe ich ja dummerweise alles gemacht, als ich 1993 "Polizeiruf"-Kommissarin wurde. Mein damaliger Mann hat mich sogar aufs Pferd gesetzt, obwohl ich gar nicht reite. Ich bin davon ausgegangen, dass das in der neuen Welt so sein muss, diese Unbedarftheit haben gewisse Medien natürlich schamlos ausgenutzt.

Und wie ist die Erkenntnis gereift, dass das nicht Ihr Weg ist?

Weil mir mehr und mehr schlecht wurde dabei. Es ist kein schönes Gefühl, beim Frühstück irgendwelche Märchen über sich zu lesen. Wenn einem das ein paarmal passiert ist, wird man vorsichtig und überlegt sich besser, mit wem man redet und mit wem eben nicht. In Ruhe gelassen wird man trotzdem nicht. Dass manche Kollegen sogar ihre Trennung vermarkten, finde ich ekelhaft.

Können Sie Ihrer Prominenz auch positive Seiten abgewinnen?

Natürlich ist das ein tolles Gefühl, einen Film vorzustellen, auf den man stolz ist. Ich versuche mich aber immer darauf zu besinnen, dass wir nicht der Nabel der Welt sind und dass wir uns nicht besondere Dinge erlauben können, nur weil wir in der Öffentlichkeit stehen. Meine Schwester zum Beispiel ist Kindergärtnerin und schon Tage vorher ganz aufgeregt, wenn ich sie auf eine Premiere einlade. Solche Reaktionen machen mir immer wieder bewusst, wie privilegiert wir Schauspieler sind. Ich finde diesen Beruf traumhaft schön.

Sie gehen also auch mal gern mal auf eine Promiparty?

Na klar. Dafür muss ich aber in der richtigen Stimmung sein. Und ich will es nicht zum Alltag werden lassen, nicht für selbstverständlich halten. Vor zehn Jahren war ich ganz unten, jetzt geht es mir so gut wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich glaube, dass mich kaum noch was umhauen kann, aber es ist immer besser, noch ein zweites Standbein zu haben, damit man nicht umfällt, wenn es den Beruf mal nicht mehr geben sollte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!