■ Interview mit Daniel Cohn-Bendit, grüner Europaabgeordneter, zur Verantwortung der 68er Generation für die Entstehung der RAF: Die RAF wollte nicht diskutieren
taz: Sie haben als einer der bekanntesten Exponenten der Studentenbewegung, später als einer der Köpfe der Zeitschrift „Pflasterstrand“ und dann als prominenter Grüner die linke Geschichte in der Bundesrepublik mitgeprägt. Eine der traumatischsten Situationen für diese Linke war der Deutsche Herbst 77. In einem Gespräch mit der taz hat jetzt Stefan Wisniewski, Mitglied der RAF und an der Schleyer-Entführung beteiligt, der Linken vorgeworfen, sie wäre im Herbst 77 einfach abgetaucht, hätte keinen Versuch gemacht, auf die Konfrontation RAF–Staat Einfluß zu nehmen. Stimmt das, hätte die Linke etwas anderes tun können?
Daniel Cohn-Bendit: Theoretisch hätte man immer etwas anderes tun können, besonders, wenn alles schiefgelaufen ist. Ich will deshalb unser Verhalten damals nicht einfach platt verteidigen. Ich glaube allerdings, daß Stefan Wisniewski heute nicht mehr sehen will, daß die RAF damals die Ebene der Auseinandersetzung diktiert hat. Einmal war Kritik völlig unerwünscht, und dann haben sie gefordert, jetzt müßt ihr aber was sagen. So ging das natürlich nicht. Vor 1977 hat es ja etliche Auseinandersetzungen gegeben, in denen unterschiedliche Kräfte verlangt haben: Hört auf mit dem Wahnsinn, das hat keinen Sinn. Die RAF war aber so im Clinch mit dem Staat, wegen Haft und Haftbedingungen, daß sie eh nichts hören wollte. Als 77 die Zuspitzung kam, waren wir alle machtlose Idioten. Der Staat und die RAF hatten sich gefunden und führten auf der Bühne eine Auseinandersetzung vor, bei der wir nur noch zuschauen konnten.
Wisniewski behauptet ja gerade, die Zuspitzung von 1977 sei gekommen, weil der größte Teil der Linken die Gefangenen aus der RAF, die ja schließlich auch aus der Protestbewegung stammten, auch noch nach dem Tod von Holger Meins und Ulrike Meinhof ignoriert hat.
Das ist eine Geschichtsblindheit. In Frankfurt fand nach dem Tod von Ulrike Meinhof eine sehr harte Demonstration statt, wo Steine und Molotowcocktails flogen und viele verhaftet wurden. Im Anschluß waren die meisten über das Ausmaß der Gewalt erschrocken. Aber das hat die RAF nicht interessiert, weil ihr Maßstab immer ihre Definition von Militanz war. Wer dieser Militanz nicht gleichkommt, dem hören wir nicht zu. Deswegen waren die Auseinandersetzungen auch so fruchtlos. Die RAF war für eine solche Diskussion einfach nicht zu haben, auch wenn einzelne Leute in ihrer Erinnerung das heute anders sehen.
Wenn nicht 1977, hätte es nicht früher eine Möglichkeit gegeben, einzugreifen?
Der Fehler der Linken, ich meine, der Fehler meiner Generation liegt tatsächlich zehn Jahre früher.
Wisniewski legt ja nahe, daß die RAF in gewisser Weise die konsequenteste Fortsetzung der 68er Revolte war.
Nicht die konsequenteste, aber eine real mögliche. Wenn man sich heute beispielsweise noch einmal die Rede von Rudi Dutsche auf dem Vietnamkongreß 1968 anhört, dann wird klar, daß dieser antiimperialistische Diskurs ein möglicher Zugang zu der Wahnsinnspolitik der RAF war. Es gab eben verschiedene Möglichkeiten, mit diesen antiimperialistischen Theorien umzugehen. Die Intellektuellen haben den Antiimperialismus metaphysisch überhöht, sind in der Praxis aber höchstens demonstrieren gegangen. Es gab andere, die die Theorie naiv eins zu eins übersetzt haben: Es brennt in Vietnam, laßt deshalb Berlin brennen. Aber die ursprüngliche Verantwortung, da stimme ich zu, liegt in der sehr emphatischen, sehr undifferenzierten antiimperialistischen Demagogie der Studentenbewegung.
Darauf beruft Stefan Wisniewski sich ja auch.
Zu Recht. Es gab ja darüber hinaus diese Theorie des neuen Faschismus. Die Theorie des neuen Faschismus legitimierte jedes Handeln gegen diesen Staat. Dafür trägt die traditionelle Linke natürlich die Verantwortung. Dazu kam noch die Verantwortung großer Intellektueller wie Sartre. Man wird wahrscheinlich nie die verheerende Wirkung von Sartres Vorwort zu Franz Fanons „Die Verdammten dieser Erde“ ganz ermessen können. Fanon legimiert die Gewalt der einen Welt gegen die andere, und Sartre legitimiert als ideeller Gesamtmasochist die Gewalt gegen uns. Das hatte eine verheerende Wirkung.
Worum es heute gehen muß, ist doch, welche Konsequenzen ziehen wir jetzt daraus. Soll Gewalt als letzte Konsequenz des Widerstands geächtet werden, damit niemand mehr etwas mißverstehen kann?
Erstens, man kann eine Gewaltdebatte nicht abstrakt führen. Die letzte Gewaltdebatte, die wir hatten, war die Bosniendebatte. Wenn man fragt, ist Gewalt gegen Totalitarismus per se abzulehnen, würde ich sagen, nein. Es ist natürlich eine theoretisch komplizierte Frage. Das schlimmste Beispiel im Moment ist Algerien. Aus dem blutigen Kolonialkrieg der Franzosen wurde ein blutiger Vertreibungskrieg der FLN gegen die Algerienfranzosen. Seitdem wurde die Gewaltspirale in Algerien praktisch nicht mehr unterbrochen. Deshalb: Jeder, der sagt, Gewalt ist als Widerstandsform legitim, muß wissen, wie er seine eigene Gewalt kontrolliert. Wie kann man die Gewalt wieder zurückholen? Jeder, der politisch radikale Positionen vertritt, muß wissen, daß die Situation sich auch verändern kann. Das haben wir damals nicht gesehen, daß die bürgerliche Gesellschaft ja auch veränderungsfähig ist. Wir haben nur die Mißstände gesehen...
Die ja auch da waren...
Ja, aber nicht statisch. Wie sich ja übrigens auch die Menschen radikal verändern können. Bei eurem Gespräch mit Stefan Wisniewski ist interessant, was er zu Schleyer sagt. Schleyer war ja, als die RAF ihn 1977 entführte, ein ganz anderer Mensch als 1943 in Prag. Das müssen wir sehen, und das muß der bürgerliche Staat auch sehen. Wer vor 20 Jahren RAF war, kann heute ein ganz anderer Mensch sein. Dieser Staat muß auch verstehen, das Menschen sich radikal ändern können, im Guten wie im Bösen.
Heißt das für Sie, Haftentlassung für RAF-Gefangene, die jetzt, wie Stefan Wisniewski, seit 20 Jahren sitzen?
Absolut. In dieser Frage bin ich sowieso ein hoffnungsloser Liberaler. Meiner Meinung nach darf niemand länger als 15 Jahre im Knast sitzen. Das stimmt für Wisniewski, aber es stimmt auch für Leute wie den Altnazi Heß, der über 40 Jahre festgehalten wurde. Jürgen Gottschlich
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