Interview mit Bush-Kritiker Seymour Hersh: "Bush glaubt an das, was er sagt!"
Er wird gefürchtet und verehrt für seinen investigativen Journalismus: Seymour Hersh. Er hat das Massaker von My Lai enhüllt und Folter in Abu Ghraib aufgedeckt. Und er sagt, dass Bush Iran angreifen will.
taz: Herr Hersh, Anfang des Jahres haben Sie berichtet, es gebe US-amerikanische Pläne für einen Angriff auf den Iran. Waren Sie zu alarmistisch?
Seymour Hersh: Ich habe nicht geschrieben, dass es in jedem Fall einen Angriff auf den Iran geben wird. Aber es ist eine verdammt ernste Angelegenheit. Eines ist sicher: Präsident George W. Bush ist davon überzeugt, eine Mission zu erfüllen - weil er mit Gott redet oder wieso auch immer. Er glaubt, den Auftrag zu haben, gegen den Iran vorgehen zu müssen. Bush denkt gar nicht daran, mit dem Iran zu verhandeln.
Seymour Hersh, 70, ist der bekannteste investigative Journalist der USA. Er wurde in Chicago geboren, studierte Geschichte und arbeitete ab Anfang der Sechzigerjahre für verschiedene Nachrichtenagenturen. 1966 ging er als Pentagon-Korrespondent für Associated Press nach Washington. International bekannt wurde er 1969, als er ein Massaker von US-amerikanischen Soldaten in dem vietnamesischen Dorf My Lai aufdeckte. Später arbeitete er für die New York Times. Im Mai 2004 machte Hersh im Magazin New Yorker die Folterung irakischer Gefangener im US-Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad öffentlich. Anfang dieses Jahres schrieb er über die Pläne des US-Verteidigungs- ministeriums für einen Krieg gegen den Iran. In dieser Woche erhielt Seymour Hersh den alle drei Jahre zu vergebenden Demokratiepreis der Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik (siehe Link).
Es klingt gerade so, als hätten Sie neue Informationen über Pläne für einen Angriff?
Ja, die gibt es. Ein Angriff auf Iran ist immer noch auf der Agenda des Präsidenten. Heute erscheint im New Yorker dazu ein Stück von mir.
Aber alle warnen doch vor einem Angriff auf den Iran, selbst Militärs. Kann man Bushs Drohungen ernst nehmen?
Wissen Sie, die Lage wäre besser, wenn dem Präsidenten bewusst wäre, dass seine Rhetorik nicht mit den Fakten übereinstimmt. Bush glaubt an das, was er sagt. Das macht mir am meisten Angst. Er ist ein wahrhaftiger Radikaler, ein wahrhaftiger Revolutionär. Hier ist ein Mann, der nicht überzeugt werden kann, der seine Politik nicht ändern kann, der seinem Glauben verschrieben ist. Und dieser Mann ist ganz nebenbei der Präsident des mächtigsten Staates der Erde. Das ist sehr beängstigend.
Aber ist die These von Bush als Missionar nicht zu einfach? Es gibt doch ganz reale Interessen Amerikas in der Region - Öl zum Beispiel.
Natürlich ist Öl relevant, natürlich ist Hilfe für Israel relevant. Aber ich meine, dass der Präsident glaubt, er mache den Mittleren Osten für alle sicherer. In gewissem Sinne ist das Herz des Präsidenten rein. Er träumte davon, im Irak ein paar Bomben abzuwerfen, ein paar Soldaten zu stationieren, ein paar amerikanische Flaggen aufzustellen. Saddam würde stürzen und die Demokratie wie Wasser durch den Mittleren Osten strömen. Das war seine Fantasie. Ich bin davon überzeugt, dass er dies tatsächlich geglaubt hat.
Und das soll auch für die Leute um ihn herum gelten?
Ich habe einmal gedacht, Richard Cheney, Donald Rumsfeld und Condoleezza Rice seien Realisten. Und ich glaube, sie waren es tatsächlich einmal. Aber der Präsident hat sie zu den Neokonservativen hinübergezogen, weil er nun mal der Präsident ist.
Werden sich die Dinge ändern, wenn Bush nicht mehr im Amt ist?
Die Demokraten machen derzeit den schlimmsten Fehler, den man machen kann. Sie lassen sich in der Irak-Debatte auf Zahlenspiele ein. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die Republikaner die Wahlen wieder gewinnen.
Trotz des Desasters im Irak?
Sie müssen nur feierlich verkünden, dass der Krieg gut läuft. Zwischen der Realität im Irak und dem, was die Republikaner sagen, hat es noch nie einen Zusammenhang gegeben. Also werden sie weiter erzählen, was sie wollen. Sie können verkünden, dass die Truppen im nächsten Sommer auf eine Stärke von 70.000 Soldaten reduziert werden. Das wäre eine stärkere Reduzierung als jene, die die Demokraten zu fordern wagen.
Die Operation "Surge", zu Deutsch Stromstoß, die neueste Offensive der US-Streitkräfte, wird bereits als großer Erfolg gefeiert.
Was bedeutet dieser Erfolg? Mehr als 100.000 Schiiten haben die Provinz Anbar verlassen. Und wo sind sie heute? Sie leben in den Slums von Bagdad. "Surge" funktioniert? Ja, ethnische Säuberungen funktionieren! Und das wird ihre Lösung für den Irak sein.
Die Mehrzahl ihrer Quellen scheinen aus dem Militärapparat zu stammen.
Aus dem Militär und aus den Geheimdiensten. Ich kenne Leute, die mir Dinge erzählen, und habe Quellen, die andere nicht haben.
Auch diese Quellen können ihre eigenen Ziele verfolgen. Wie verhindern Sie, dass man Sie dazu benutzt, um bestimmte Informationen zu lancieren?
Das ist in der Tat immer ein Problem für Journalisten. Ein Weg, dies zu verhindern: Man kennt die Leute seit zwanzig Jahren. Ich treibe mich schon eine ganze Weile in Washington herum.
Und wenn jemand etwas anbietet?
Wenn Leute anrufen und sagen, sie müssten mit mir sprechen, sage ich: natürlich gerne, können wir machen. Aber wenn sie mir Informationen geben, benutze ich sie fast nie. Wenn mir jemand eine Information gibt, gebe ich das nicht gleich in Druck. Ich gehe damit zu anderen Leuten und versuche, mehr darüber herauszufinden. Mit anderen Worten: Ich bin nie passiv. Ich bin derjenige, der die Story in der Hand hat.
Warum kommen die Leute überhaupt zu Ihnen?
Soll ich versuchen, diese Leute psychoanalytisch zu deuten? Das wäre verrückt.
Aber man denkt doch darüber nach, warum diese Leute Risiken eingehen, um Ihnen Informationen zuzuspielen.
Ich habe ein positives Menschenbild. Die meisten Leute, auch im Militär, wollen ihren Job richtig machen. Im Irak und in Afghanistan ist es fast unmöglich, das Richtige zu tun. Und ab einem gewissen Punkt kann man sich selbst nicht mehr ertragen. Die Leute müssen einen Weg finden, um damit klarzukommen, was sie angerichtet haben. Und das Schöne an einer freien Presse ist: Wir sind da! Wenn ihr eure Sünden loswerden wollt, sind wir da, um euch die Beichte abzunehmen!
Ihr Name steht für seriöse Recherche. Ist diese Art Journalismus zu einem Luxus geworden?
Ja, weil er teuer ist. Ich schreibe vier Geschichten im Jahr. Ich reise viel. Meine Recherchen kosten viel Geld. Und es funktioniert nicht immer. Ein- oder zweimal im Jahr verbringe ich Zeit mit einer Sache, die zu nichts führt.
Billig war investigativer Journalismus nie. Was ist heute anders?
Als ich 1972 zur New York Times kam, für die ich über Watergate und den Vietnamkrieg berichtete, wäre die Zeitung peinlich berührt gewesen, wenn sie einen großen Gewinn gemacht hätte. Die Zeitung war im Besitz einer Familie. Natürlich sollte die Zeitung ein wenig Dividende abwerfen, aber sie sollte keinen großen Gewinn machen. Das hat sich komplett geändert.
Sie sind auf die ganz großen Skandale spezialisiert. Laufen Sie damit nicht Gefahr, dass diese extremen Fälle als Ausnahmen in einem funktionierenden System dargestellt werden?
Natürlich. Es gibt immer das Problem, dass jemand sagt: Dieser Vorfall war ein Ausrutscher. Und natürlich war Abu Ghraib ein Ausrutscher - und der bestand darin, dass so viele Fotos gemacht wurden. Ich kann Ihnen versichern, dass dies nicht die einzige Gefangenen waren, die so behandelt wurden. Sexuelle Erniedrigung ist überall in diesem Krieg Praxis.
Immer noch?
Es gibt weiterhin Misshandlungen. Wir führen Krieg kein bisschen besser als alle anderen. Das haben wir Amerikaner mit dem My-Lai-Massaker in Vietnam lernen müssen. Krieg ist keine schöne Angelegenheit.
In Deutschland halten viele den Irakkrieg für eine Katastrophe, den Einsatz in Afghanistan aber für erfolgreich.
Das ist ein Fehler. Afghanistan wird bald verloren sein.
Was macht Sie so sicher?
Weil ich mit Leuten gesprochen habe, die mir sagen, dass das Land in einem sehr viel schlimmeren Zustand ist, als irgendjemand zugeben will. Die Taliban machen enorme Gewinne. Sie werden die Macht übernehmen, vielleicht in Verbindung mit der Nordallianz, vielleicht alleine. Das Problem ist nicht, dass die Leute in Afghanistan die Taliban wieder an der Macht sehen wollen. Es liegt vielmehr daran, dass wir uns dort durch Bombardements und Gewalt viele Feinde gemacht haben.
In Deutschland spricht man davon, die Bundeswehr noch 20 Jahre in Afghanistan zu lassen.
Es mag sein, dass die Soldaten dort noch 20 Jahre bleiben. Dann aber in einem Gefängnis der Taliban. Afghanistan ist im Chaos. Wir verlieren den Krieg. Daran gibt es keinen Zweifel. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Afghanistan zusammenbrechen wird.
Einige US-Zeitungen haben eingestanden, vor dem Irakkrieg versagt zu haben, und sich bei ihren Lesern entschuldigt. Haben sie mit Blick auf den Iran daraus gelernt?
Nein, natürlich nicht. Schon jetzt agieren sie kein bisschen anders als vor Beginn des Irakkrieges. Meinen Sie etwa, dass Journalisten, Regierende oder das Militär aus Fehlern in der Vergangenheit lernen? Wollen Sie sagen, dass es die Fähigkeit gibt, aus Fehlern zu lernen? Die Geschichte ist voller Beispiele, die zeigen, dass sie nicht daraus lernen. Dieselben Fehler werden immer wieder gemacht. Traurig, nicht wahr?
Nicht gerade motivierend für einen, dessen Job es ist, solche Fehler aufzudecken.
Ich tue etwas, das für viele Leute in Amerika und rund um die Welt sehr wichtig und nützlich ist. Aber ich hege nicht die Illusion, dass das, was ich schreibe, irgendetwas ändern wird.
Und was lässt Sie weitermachen?
Das, was ich tue, macht mich sehr glücklich. Ich bin ein Journalist. Ich habe Storys, die niemand anders bekommt. Ich werde dafür respektiert, geehrt und beneidet. Zeitung zu machen ist vielleicht das dreckigste und zickigste Geschäft, das es gibt. Ein bisschen wie Hollywood. Wenn du die Topzicke bist, ist das nicht schlecht.
NTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ
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