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taz FUTURZWEI

Jonathan Franzen im FUTURZWEI-Gespräch Worüber niemand sprechen will

Die Begrenzung der Erderhitzung auf zwei Grad ist längst Illusion, sagt der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen. Was schlägt er vor?

»Ich bin allergisch gegen Ideologien jeder Art«: Schriftsteller Jonathan Franzen Foto: Foto: Mark Mahaney

taz FUTURZWEI | Auf der Westseite der kalifornischen Universitätsstadt Santa Cruz liegt das Homeless Garden Project, eine Non-Profit-Biofarm, die Obdachlose ausbildet und unterstützt. Jonathan Franzen unterstützt dieses Projekt, das er auch in seinem großen Klimaessay Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? erwähnt, weshalb er sich zum taz FUTURZWEI-Gespräch dort treffen will. Gerade steigt er aus einem alten Toyota Camry Hybrid aus, ein großer Mann mit einem, fast möchte man sagen, menschenfreundlichen Lächeln. Um den Hals trägt er ein Fernglas: Franzen ist ein passionierter Vogelbeobachter. Wir gehen in die Gärtnerei und setzen uns auf eine Bierbank zwischen die Pflanzenfelder. Franzens These lautet, dass die Erderhitzung nicht mehr auf zwei Grad zu begrenzen sei und wir deshalb schleunigst ein hoffnungsloses Ziel aufgeben sollten und uns stattdessen ernsthaft auf die Dinge konzentrieren, die wir noch ändern können.

»WAS PASSIERT, WENN WIR UNS DARAUF EINIGEN, DASS DAS EH NICHT MEHR HINZUKRIEGEN IST?«

Jonathan Franzen

taz FUTURZWEI: Jonathan Franzen, seit Ihrem Klimaessay sind vier Jahre vergangen, die Emissionen steigen weiter, wir tun faktisch viel zu wenig, aber rhetorisch immer noch so, als seien wir auf dem Weg, das Paris-Abkommen – möglichst 1,5, mindestens unter zwei Grad – einzuhalten. Wie sehen Sie inzwischen die Lage?

Jonathan Franzen: Das ist für mich ein Problem des Klimaaktivismus. Auf der einen Seite muss man das düsterste drohende Szenario entwerfen, auf der anderen Seite muss man sagen: Wir haben noch etwas Zeit. Einer meiner beiden besten Freunde aus dem College ist Geologiephysiker an der Columbia, wie auch seine Frau. Wie die miteinander reden, hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was offiziell gesagt wird.

Was ist denn offizieller Sprech?

Naja, fahrt mehr Fahrrad, dann wird das schon, und so ein Unsinn.

Wann haben Sie sich selbst denn eingestanden, dass die Klimakatastrophe nicht mehr zur verhindern ist?

Nach der Lektüre von Fachliteratur und basierend auf meinem Vertrauen in die Experten, mit denen ich gesprochen habe, vor allem aber auch durch viele Gespräche mit dem Umweltwissenschaftler Dale Jamieson und dessen Buch Reason in a Dark Time machte mich dieses schreckliche Spannungsfeld zwischen der Klimarealität und dem, was als Realität beschrieben wurde, total sauer. Das war unehrlich, selbstverständlich in den meisten Fällen gut gemeint, aber manchmal auch nur, um den eigenen Job zu retten. Dadurch existiert eben auch eine weniger sympathische, selbsterhaltende Kultur in diesen Instituten und NGOs, die einem erzählen, dass es noch nicht zu spät ist und wir das Klimaproblem immer noch lösen können.

Die Sorge ist, dass gar nichts mehr geht, wenn das Zwei-Grad-Ziel aufgegeben würde.

Ich sag ja, im Großen und Ganzen ist es gut gemeint im Sinne von: Wenn wir sagen, wie schlecht es wirklich steht, dann sagen die Leute: Na, wenn es so schlimm steht, warum sollen wir dann jetzt noch groß was tun? Aber ich persönlich werde einfach sauer, wenn man nicht die Wahrheit sagt, das liegt einfach in meiner Natur.

I see.

There you go.

Ich muss gestehen, dass ich ein »Green New Deal«-Typ bin, also auf grünes Wachstum setze, also eine Entkopplung des Wachstums von CO 2 -Emissionen und Ressourcenverbrauch. Weniger aus Überzeugung, mehr aus Verzweiflung. Weil ich tatsächlich denke: Wenn wir den Green New Deal nicht haben, dann haben wir nichts, was eine Mehrheit der Staaten und Leute zum Handeln bewegen könnte, um die Folgen des Klimawandels abzumildern.

Naja. Was wir haben, ist der Status quo. Wir haben ja zwei Krisen: die des Klimas und die der Biodiversität. Ich bin nicht der Einzige, der das Gefühl hat, dass die Biodiversitätskrise ignoriert wird, weil so getan wird, als gäbe es nur ein Thema und das sei das Klima. Es sind aber zwei. Wenn Sie Green New Deal sagen, was bedeutete dann Roosevelts New Deal für die USA? Ein massiver Anstieg an Größe und Umfang der Regierung, umfangreiche Programme und daraus entstanden einige ganz gute Dinge.

Aber?

Aber ich traue der Regierung nicht, denn ich weiß, wie der Hase läuft.

Wie denn?

Die Regierung, die Unternehmen und die Gewerkschaften in Kalifornien hassen Solarmodule auf Dächern. Ich frage Sie: Was würde hier denn mehr Sinn machen als Solardächer? Okay, schwierig für Arme, die die finanzielle Vorleistung nicht aufbringen können. Das müsste man also fördern, sodass es für alle funktioniert. Aber die Energieunternehmen wollen das nicht. Sie sagen: Moment mal, die Leute wollen das Produkt selbst herstellen, das wir verkaufen? Das ist aber gar nicht gut. Die wollen die Produktionsmittel kontrollieren, das bedeutet also gigantische Installationen. Im Moment sind Solarinstallateure in der Regel keine Gewerkschaftsmitglieder, weshalb die Gewerkschaften die Großprojekte in der südkalifornischen Mojave-Wüste lieben, weil das neue Jobs garantiert.

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Was ist mit der Politik?

Politisch steht die Biden-Regierung unter immensem Druck, dass schnell was passiert, und deshalb klüngeln Regierung und mächtige Gewerkschaften und die noch mächtigeren Energieunternehmen zusammen, um Umweltrestriktionen zu umgehen. Das empfinde ich als Zumutung, weil Leute ihre Energie lokal produzieren und irgendwann auch selbst verteilen und in manchen Fällen speichern könnten.

Kein gutes Wort?

Naja, ich schätze die These hinter dem Green New Deal. Dass dieser nicht zwangsläufig politisch auf verlorenem Posten steht, denn die Transformation zu erneuerbarer Energie sollte eine Menge neuer Arbeitsplätze schaffen, und zwar gute mittelständische Arbeitsplätze. So gewinnt man hier Wahlen.

»When I hear climate, I think jobs« – einen besseren Slogan als Joe Biden wird man schwer finden, um postfossile Wirtschaft mehrheitsfähig zu machen.

Der Slogan ist gut, aber nicht, wie er umgesetzt wird. Es ist nicht zu fassen, dass die grünen Organisationen auch gegen Solardächer sind, was sie damit rechtfertigen, dass diese nur für die Mittelschicht bezahlbar seien. Die Energieunternehmen sind ganz und gar nicht arm und total glücklich mit dieser Politik. Weil sie die Armen viel mehr lieben als ich? Das glaube ich nicht.

Die öffentliche Diskussion wird im Moment meist populistisch und an den großen Fragen vorbeigeführt. Wie entsteht eine Kultur, in der ernsthaft über die zentralen Probleme geredet wird?

Also für diese Art Perspektivblick bin ich nicht zuständig, schon gar nicht für positive Visionen.

That‘s a shame.

Für die immer katastrophaleren Klimaschocks kann ich ziemlich sicher neue Gefahren vorhersagen und auch, dass das Kommende die gegenwärtige Flüchtlingskrise aussehen lassen wird wie die gute alte Zeit.

Wir werden aktiv gegen Klimaflüchtlinge, aber nicht, um Solarmodule aufzustellen und andere Grundlagen dafür zu schaffen, dass Menschen nicht fliehen müssen?

Also, ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber wozu soll man in Kalifornien Kohle verbrennen, um Energie zu erzeugen, wenn es so viel Sonne gibt?

Das ist die herrschende Kultur und Machtstruktur, an die wir uns gewöhnt haben.

Nochmal: Ich bewerbe mich nicht um ein politisches Amt, und mein Publikum erwartet von mir auch nicht, gesagt zu bekommen, was es tun soll. Meine Stärke liegt vielmehr darin, die Situation zu erfassen, in der wir uns befinden. Ich pflege eine bestimmte Form von intuitiver politischer Analyse, etwa den Vormarsch nationalistischer Populisten, die den Leuten erzählen, dass ihnen die Einwanderer die Butter vom Brot nehmen. Das geht Hand in Hand mit den Rechten, von denen die meisten sehr genau über die Klimakrise Bescheid wissen und die ihre eigenen schrecklichen Gründe haben, so zu tun, als seien das alles Falschmeldungen. Und die in einer allgemeinverständlichen Sprache den Leuten erzählen, alles sei außer Kontrolle geraten, die Infrastrukturen brächen zusammen und Millionen und Abermillionen wollen in ihr Land rein ... haben Sie den Vogel gesehen?

JONATHAN FRANZEN

Der Mann: Schriftsteller und Essayist. Wurde weltberühmt durch seinen dritten Roman Die Korrekturen (2001), der Kritiker und Massenmarkt versöhnte (knapp drei Millionen verkaufte Exemplare).

Geboren 1959 in einem Vorort von Chicago, Illinois, aufgewachsen in St. Louis, Missouri, lebt in Santa Cruz, Kalifornien. Während des Studiums Auslandsjahr an der FU Berlin.

Das Werk: The Twenty-Seventh City (Die 27ste Stadt), Strong Motion (Schweres Beben), The Corrections (Die Korrekturen), Freedom (Freiheit), Purity (Unschuld), Crossroads

Der Essay What If We Stopped Pretending? erschien zuerst im September 2019 in The New Yorker.

Deutsch: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können (Rowohlt 2020)

Hab ich verpasst.

Jetzt ist er da hinten, dieser gelbe.

Wie kann man verhindern, dass jeder die Klimakrise für seine Zwecke instrumentalisiert?

Wie gesagt, ich mache solche Vorhersagen nicht. Aber wenn Sie mir die Pistole auf die Brust setzen und mich fragen, was ich will: Ich will ein ehrliches Gespräch mit allen Interessenvertretern. Es wäre auch interessant, was AOC zu sagen hat ...

... die Abgeordnete des Repräsentantenhauses, Alexandria Ocasio-Cortez, Gesicht der links-emanzipatorischen Milieus ...

... zum Beispiel zu Einwanderung, wenn in 15 Jahren große Teile der lateinamerikanischen Länder in Äquatornähe unbewohnbar sind. Die Leute wollen darüber nicht reden und sagen deshalb ganz schnell: Deshalb brauchen wir den Green New Deal.

Geht das gegen mich?

Können wir mal aufhören so zu tun, als ob Dinge plötzlich wie durch ein Wunder besser werden, und zugeben, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die Dinge ganz schnell viel schlechter werden? Was machen wir dann? Was ist als US-Bürger politisch und moralisch zu tun, wenn dieses Land noch einigermaßen klarkommt, aber ein großer Teil der Welt nicht mehr? Das ist eine Frage, über die niemand sprechen will. Die Rechte tut so, als hätten wir nur ein, zwei schlechte Sommer. Und die Linke tut so, als würde man das Problem los, wenn man nur schön Fahrrad fährt und mehr Bäume pflanzt.

Und Sie setzen auf ein ehrliches Gespräch aller Interessenvertreter?

Wenn wir diese Repräsentanten für zwei Wochen in einen Raum bekämen, dann wäre ich auf das Ergebnis gespannt. Die bittere Realität ist nicht nur das wachsende Klimaproblem, sondern die Erschöpfung von Ressourcen und ein ökonomisches Modell, das auf einer weiteren Ausschöpfung von Ressourcen beruht. Darüber will niemand sprechen. Und dann gibt es noch zwei, drei, die sagen: Und was ist mit der Natur?

Sie, zum Beispiel. Sie haben erfolgreiche Klimapolitik interessanterweise genau in dem Jahr abgeschrieben, als bei mir und vielen neue Hoffnung aufkam: 2015 als das völkerrechtliche Übereinkommen von Paris getroffen wurde. Wie das?

Das war das Jahr, in dem ich Dale Jamiesons Buch las. Danach wollte ich mehr wissen und begann damals auch mit Wissenschaftlern zu sprechen. Ich hörte von so vielen aus der Naturschutzszene, dass die Ressourcen zu Ende gingen und alles nur noch Klima, Klima, Klima sei. Und man konnte ja bei genauer Lektüre des Pariser Abkommens sehen, dass das hübsche Worte waren. Aber entscheidend war Dales Buch, das in fünf Aspekten beschreibt, dass der Klimawandel ein Problem ist, das Menschen nicht lösen können.

Weil es keine Weltgesellschaft gibt, die kollektiv handeln könnte?

Ja. Aber auch aus kognitiven und ökonomischen Gründen. Es ist das eine, zu sagen, dass Kapitalismus schlimm ist, aber es gibt keinen unmittelbaren Ersatz.

Wir haben immer noch Kommunismus.

Genau, Kommunisten, diese Freunde der Umwelt.

Die aktuelle taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI N°27: Verbrauchte Ziele

Das 1,5 Grad-Ziel ist verloren, das 2 Grad-Ziel wohl auch. Braucht es einen Strategiewechsel und wie sieht der aus?

Wir machen Ernst IV, Schwerpunkt: Klimaziele

Mit Lea Bonasera, Kirsten Fehrs, Dana Giesecke, Jonathan Franzen, Anders Levermann, Wolf Lotter, Belit Onay, Katja Riemann – und natürlich Harald Welzer.

Zur neuen Ausgabe

Die Ironie trifft es, ist aber etwas billig.

Mag sein, aber China kehrt auf eine Weise zum Hardcore-Kommunismus zurück, entwickelt kontinuierlich Kohlekraftwerke, zeigt außerdem ideologisch gefärbte Unfähigkeit, mit den plötzlich auftretenden ökonomischen Problemen umzugehen. Aber klar, wir können immer auch auf den Kommunismus zurückgreifen.

Let‘s not do it.

Let‘s not do it. Ich bin allergisch gegen Ideologien jeder Art.

Die sind überall.

Ich weiß, die kommen in allen möglichen Ausführungen, und mir gefällt keine davon. Um aber auf Ihre Frage zurückzukommen, was wir kulturell tun können, ich weiß nicht, ob ich Ihnen hier wirklich helfen kann, Peter.

Ihr Essay „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ hat mich mehrfach durchgeschüttelt, aber nichtsdestotrotz führe ich nach Ende der Lektüre stets mein gewohntes Leben und Denken weiter.

Das wird bei Dale erklärt, warum das auch Vorteile hat: weil wir ein Leben und Beziehungen zu führen haben und es Dinge gibt, die wir lieben, die uns wichtig sind – und das ist auch gut. Das geht den meisten Leuten so. Die jungen Aktivisten kritisieren die Boomer oder eigentlich so ziemlich jeden außer sich selbst, dass sie nicht 24/7 daran denken, was zu tun ist, um den Planeten zu retten. Daran wollen die meisten nicht denken. Sie denken: Ich sollte vielleicht mehr mit meinem Sohn lesen, irgendwie liest der nicht.

Was ein echtes Problem ist.

Ja, aber eben ein anderes Problem. Oder ich fange an, darüber nachzudenken, dass wir vielleicht kein Rindfleisch mehr essen sollten. Das sind diese kleinen Sachen, die im täglichen Leben auftauchen und die sind wichtig. Wir würden gern in Zeiten leben, in denen es nur um diese Dinge geht, aber leider ist das nicht so. Und trotzdem wollen wir, dass es nur darum geht.

Wir haben eine neue Obsession in Deutschland: Frührente. Aber nicht um die Welt zu retten, sondern um endlich – das ist das treibende Gefühl des Mittelklassen-Individualismus – Zeit für uns selbst zu haben, um das eigene Leben durch noch mehr Ausstellungen, Theater, Bücher anzureichern ...

Oder endlich dieses Jahr in Italien zu verbringen.

Genau.

Es gibt die persönliche Ebene der kleinen Dinge, die einen Menschen bewegen und es gibt das große Ganze. Aber dazwischen gibt es noch etwas, was genau vor deinen Augen ist. Bei den schrecklichen Waldbränden haben wir vor drei Jahren hier in der Stadt etwa 1.500 Gebäude verloren. Daraufhin kam erst Trump und behauptete, das sei keine Folge des Klimawandels, sondern des schlechten Managements des Staates Kalifornien, was ziemlich dumm war, da er als Präsident zuständig für die Bundeswälder war, in denen die meisten Feuer brannten. Doch es wurde noch schlimmer, als Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom ankam und meinte: Der Klimawandel kommt und es wird schrecklich, wenn wir nichts dagegen tun, deshalb werden wir hier in Kalifornien bis 2035 nur noch Elektroautos haben.

»ES GIBT ZWEI ARTEN VON LINKEN: DIE ALTMODISCHEN LYNDON-JOHNSON-LINKEN UND DIE SANTA-CRUZ-LINKEN.«

Jonathan Franzen

Was ist daran schlimm?

Warum sprach er nicht das eigentliche Problem an? Warum sprach er nicht davon, dass es künftig ein besseres Forstmanagement braucht, dass Programme aufgelegt werden müssen, um solche katastrophalen Brände zu vermeiden und die Menschen hier besser davor zu schützen? Das ist teuer, klar, aber es ist auch sehr teuer, aus Kalifornien in 15 Jahren ein hundertprozentiges Elektroautoland zu machen.

Warum tat er es nicht?

Das interessiert ihn nicht, weil er mit dem Klimawandel punkten will und die Waldbrände politisch benutzt, um diese Agenda voranzubringen. Und dann will er auch nicht zugeben, dass wir wirklich ein Problem mit dem Forstmanagement haben, weil Trump das ja gesagt hatte. Es stimmt selbstverständlich, dass Klimawandel diese Feuer noch begünstigt, aber das ist nicht das einzige Problem. Warum reden wir nicht über das, was wir jetzt in der Gegenwart brauchen? Eine bessere Forstwirtschaft.

Vermutlich, weil man damit keine Wahlen gewinnen und eines Tages Präsident werden kann?

Ich weiß es nicht. Wir hatten vor Newsom einen Gouverneur namens Jerry Brown. Ein großartiger Mann, problematisch, aber auch großartig. Ich würde gern glauben, dass Jerry Brown das Managementproblem nicht ignoriert hätte.

Wie kommen Sie darauf?

Er wurde Politiker, weil sein Vater Politiker war, okay. Aber er war auch immer einer, der dachte: Ich muss nicht nur politischen Bullshit machen.

Ihr Punkt ist jedenfalls, vom Abstrakten ins Konkrete zu kommen und die Gegenwart real zu gestalten, statt globale und abstrakte Ziele als Handlungsersatz zu verschärfen?

Es gibt das Globale und das Lokale. Unser Leben besteht zum Großteil aus Letzterem, und ich denke, dass hier die wichtigsten Dinge stattfinden, über die wir nachdenken sollten. Wie ich sagte: Solarmodule auf dem Dach sind zumindest in Kalifornien einfach sinnvoll. Der einzige Grund, warum man es nicht will: Es ist politisch schwieriger umzusetzen. Was auch der Grund ist, warum ich kein Politiker bin.

Es ist bei unsereins kulturell eingeübter, darüber zu reden, was Politiker tun müssten, als selbst zu handeln.

Stimmt. Das ist der Grund dafür, dass ich Sie hierher in das Homeless Garden Project gebeten habe: Das ist ein lokales Projekt und das schätze ich an Darrie Ganzhorn, der Leiterin hier: Sie redet nicht nur, sondern sorgt genau an diesem Ort, an dem wir jetzt sitzen, für eine Veränderung.

Wird das als politisch links verstanden?

Es gibt zwei Arten von Linken: die altmodischen Lyndon-Johnson-Linken, die sagen, wir brauchen ein Regierungsprogramm und müssen Billiarden dafür ausgeben. Und die Santa-Cruz-Linken, die finden, dass alles lokal passieren sollte.

Das ist konkret, aber als Weltverbesserungstheoretiker kommt uns so ein lokales Gartenprojekt einfach mickrig vor.

Mag sein, aber es gibt nun mal keine globale Community. Nordkorea gehört zu keiner Community, zu der ich gehöre. China ehrlicherweise auch nicht. Man muss kleiner werden, wenn man eine Community sucht, in der die Leute sich wirklich gegenseitig respektieren und versuchen, die Vision eines besseren Ortes zu leben.

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Womit ich intellektuell beim Fokussieren auf das Lokale nicht klarkomme: Menschen, die sich auf eine überschaubare geografische Heimat beziehen, kritisieren wir Weltbürger gern als nationalistisch und selbstbezogen.

Das ist nicht selbstbezogen. Anders herum: Wem ich überhaupt nicht traue, sind Leute, die die ganze Menschheit lieben. Die ständig sagen: Ich liebe den, ich liebe den und den liebe ich auch.

Sie sagen, nicht nur die Rechte lügt, wenn sie den Klimawandel leugnet, sondern auch die Linke, wenn sie behauptet, dass das Problem noch zu lösen sei. Klimaaktivisten haben Sie dafür gehasst.

Naja, drei Tage lang auf Social Media. Aber ja, manche Leute haben das als bedrohlich empfunden und mich ganz schnell als privilegierten weißen Mann gelabelt.

Das ist eine identitäre Denkreduzierung und außerdem in Ihrem Fall richtig.

Ja, es ist richtig. Aber insgesamt habe ich immens positive Reaktionen bekommen, und bekomme sie immer noch. Wissen Sie eigentlich, dass ich den Essay, über den wir reden, ursprünglich als Rede geschrieben habe, die ich an diesem Ort hier gehalten habe?

Nee.

Zehn Meter von wo wir sitzen, stellen sie jedes Jahr ein Zelt auf und machen ein Fundraising-Dinner, wirklich gutes Bio-Essen. Darry fragte regelmäßig, ob ich dafür eine Rede halten könne und irgendwann sagte ich zu und schrieb diesen Essay. Und hinterher kamen die Leute und sagten: Danke, dass Sie das gesagt haben. Die Leute sind nicht dumm. Wenn man ihnen im Jahr 2000 sagt, dass wir noch zehn Jahre haben und dann 2010 erneut und 2020 ein weiteres Mal, dann werden sie nachdenklich.

Sie rechnen nach?

Ja. Hatten wir im Jahr 2000 noch dreißig Jahre oder haben wir jetzt eben keine zehn Jahre mehr, um alles zu ändern – was denn nun? Das ist das Problem, wenn man nicht die Wahrheit sagt. Es macht die Leute erst skeptisch und dann zynisch. Obwohl du ihnen die Lüge eigentlich erzählst, um sie zum Handeln zu bringen, fällt dir die Unehrlichkeit auf die Füße und führt dazu, dass die Wahrscheinlichkeit noch geringer wird, dass sie handeln.

»DAS IST DAS PROBLEM, WENN MAN NICHT DIE WAHRHEIT SAGT.«

Jonathan Franzen

Sie vergleichen das mit einer Religion, bei der die Botschaft lautet: Hört auf zu sündigen und wir vermeiden alle die Hölle. Aufklärung ernst nehmen, hieße zu sagen, es gibt keine Hölle, aber auch kein Paradies. Wir kommen mit Ratio voran, im Deutschen: Vernunft?

(Franzen wechselt ins Deutsche.)

Wir hätten das Gespräch auch auf Deutsch führen können.

Darauf hatte ich eigentlich gehofft.

Für ein Interview wie dieses aber lieber doch nicht.

(Wechselt ins Englische zurück.)

Es gibt Vernunft, und dann gibt es ein Wort, für das ich keine genaue deutsche Übersetzung kenne: kindness.

Nettigkeit, Freundlichkeit, Zugewandtheit, Sanftheit, Hilfsbereitschaft, Fürsorglichkeit?

Das trifft es alles nicht genau.

Was ist Ihr Punkt?

Selbst wenn man zu dem Schluss kommt, das Problem nicht lösen zu können, kann man doch versuchen, kind zu sein, die Leute gut und respektvoll zu behandeln und denen zu helfen, die Hilfe brauchen, wenn es in der eigenen Macht liegt. Das betrifft die menschliche Community, die Tierwelt, die Natur.

In „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ sagen Sie: Wir müssen Hoffnung neu definieren. Ist das jetzt Ihr Weg?

Seit ich den Essay schrieb, denke ich über kindness nach, weil es die Antithese ist zu dem, was auf Social Media passiert: Dort regiert das Gegenteil. Wassili Grossman hat sein Buch Leben und Schicksal nach den schlimmsten Jahren Europas geschrieben: dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus. Er hat alles erlebt und alles überlebt. Kommunismus, ein Alptraum, Faschismus, ein noch größerer Alptraum.

Was war seine Erkenntnis?

Grossman hatte keine politische Lösung, deshalb schrieb er dieses gewaltige Buch, dessen Kern lautet: Was können wir tun? Wir können versuchen, kind zueinander zu sein.

Wohlwollend nachsichtig?

Das klingt verrückt und etwas christlich, aber das würde ich auf die Liste der Dinge nehmen, die wir immer noch tun können: kind miteinander umzugehen.

Gütig?

Viel Glück mit der Übersetzung.

Dieser Beitrag ist im Dezember 2023 in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°27 erschienen. Lesen Sie weiter – Sie erhalten taz FUTURZWEI jetzt im taz Shop.