Interview mit Andrej Holm: "Eine Ohrfeige für die Bundesanwaltschaft"
Der Soziologe Andrej Holm, der als Andrej H. unfreiwillig berühmt wurde, verlangt seine volle Rehabilitierung.
taz: Herr Holm, sind Sie erleichtert?
Andrej Holm: Ja.
Haben Sie damit gerechnet, dass der Bundesgerichtshof den Haftbefehl nicht nur ausgesetzt lässt, sondern sogar aufhebt?
Die Anwälte waren optimistisch, weil sie die Aktenlage kennen. Der BGH hat nun bestätigt, dass die Vorwürfe Konstrukte sind, wilde Thesen.
Für den Ermittlungsrichter am BGH, der den Haftbefehl gegen Sie am 1. August ausgestellt hat, reichten diese "Konstrukte und Thesen" allerdings aus.
Deshalb war nicht unbedingt damit zu rechnen, dass der 3. Strafsenat den Haftbefehl nun komplett aufheben würde. Aber wir gingen davon aus, dass die Haftverschonung bestätigt wird. Dagegen hatte ja die Bundesanwaltschaft Beschwerde eingelegt. So, wie es nun gekommen ist, ist es eine schallende Ohrfeige für die Bundesanwaltschaft. Der BGH hat klargemacht, dass man alleine mit Spekulationen keinen dringenden Tatverdacht und damit einen Haftbefehl begründen kann.
Welche Rolle spielte der öffentliche Druck? Es gab ja selten bei einem 129a-Verfahren so große internationale Proteste.
Wie mir meine Anwälte versichern, ist mein Fall der erste, bei dem ein Beschuldigter, der wegen 129a in Untersuchungshaft kommt, noch vor Prozessbeginn wieder rauskommt. Zumindest für die Haftverschonung vom 21. August ist der Protest hier in Deutschland, aber auch international von großer Bedeutung gewesen. Es haben sich ja nicht nur Wissenschaftler zu Wort gemeldet. Auch bei der Generalbundesanwältin kamen tausende Briefe an.
Der internationale Protest richtete sich gegen die Festnahme des Soziologen Andrej Holm. In seiner gestrigen Entscheidung bescheinigt Ihnen der BGH aber auch eine "Einbindung in die linksextremistische Szene".
Die Unterstützer haben sicher meine Arbeit als Stadtsoziologe in den Vordergrund gestellt. Auf der anderen Seite war immer klar, dass es auch darum geht, dass ich als Linker in sozialen Basisbewegungen aktiv bin. Das ist Teil meiner Überzeugung, die auch meinen Kollegen aus der Wissenschaft bekannt ist. In den Stellungnahmen ist aber auch explizit darauf hingewiesen worden, dass es kein Verbrechen ist, wenn die Wissenschaft sich mit sozialen Bewegungen verbündet; wenn wir also den Elfenbeinturm der Theorien verlassen und uns in die Protestbewegungen einmischen. Die Unterstützungsbewegung war damit auch eine Unterstützung für die kritische Wissenschaft.
An Ihrem Namen bleibt trotz allem der Vorwurf des Terrorismusverdachts. Was heißt das für Ihren weiteren Werdegang als Soziologen, der ja auch von öffentlichen Aufträgen abhängig ist?
Wenn man meinen Namen jetzt im Internet eingibt, tauchen vor meiner fachlichen Expertise zwei Seiten Fallbeschreibung Andrej H. auf. Das ist natürlich für jeden künftigen Auftraggeber eine Hürde, die es zu überwinden gilt. Wir werden nun mit der Forderung Druck machen, das Verfahren einzustellen. Wir werden darüber hinaus dazu beitragen, den Verlauf des Verfahrens in dem notwendigen Maße, auch für die Öffentlichkeit, zu dokumentieren, um zur endgültigen Rehabilitierung zu gelangen.
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