Interview Wirtschaftswissenschaftler Flassbeck: "Ein unglaubliches Gebräu"
Heiner Flassbeck warnt vor den Gefahren einer Deflation und fordert von der Politik, viel Geld ins System zu pumpen - und das möglichst schnell.
taz: Herr Flassbeck, wie dramatisch wird der Abschwung?
Heiner Flassbeck: Die Lage ist unglaublich ernst. Im nächsten Jahr wird die deutsche Wirtschaft erheblich schrumpfen. Zwei Prozent wären keine Überraschung, aber auch ein Minus von vier Prozent ist möglich.
HEINER FLASSBECK, 57, ist Chefvolkswirt der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung und Professor an der Hamburger Uni für Wirtschaft und Politik.
So stark ist die deutsche Wirtschaft noch nie eingebrochen. Selbst nach dem Ölpreisschock wurde 1975 nur ein Minus von 0,9 Prozent verzeichnet. Sind Sie nicht zu pessimistisch?
Dies hier ist keine normale Rezession, sondern ein globaler Einbruch. Die deutsche Politik hat das noch immer nicht begriffen. Die Kanzlerin hofft darauf, dass der Export bald wieder anspringt, weil sich andere Länder erholen. Das wird jedoch nicht so schnell passieren. Es platzt ja nicht nur eine Hypothekenblase in den Vereinigten Staaten. Gleichzeitig bricht die Spekulation an den Aktienmärkten, bei den Rohstoffen und den Währungen zusammen. Das mischt sich zu einem unglaublichen Gebräu.
Die Bundesbank ist da optimistischer: Für 2010 sieht sie schon wieder ein Wachstum von 1,2 Prozent für die deutsche Wirtschaft voraus.
Das ist völliger Quatsch und unverantwortlicher Optimismus. Kein Mensch weiß, wie lange diese Krise dauern wird. Aber es spricht nichts dafür, dass sie im nächsten Jahr vorbei ist. Die Amerikaner wissen das - deswegen greifen sie jetzt auch so massiv ein. Wenn wir nicht auch schnell reagieren, droht jahrelange Deflation und Stagnation.
Was raten Sie also der Bundesregierung?
Sie müsste sofort ein Konjunkturprogramm auflegen, das zwei Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht - das wären 50 Milliarden Euro jährlich. Davon sollte ein großer Teil in öffentliche Investitionen für Schulen oder Klimaschutz fließen.
Bildungsministerin Annette Schavan hat vorgeschlagen, jeder Schule einen Scheck für Renovierungen zu überreichen.
Diese Idee ist völlig richtig. Mann muss sie aber ergänzen, indem der Konsum kurzfristig angekurbelt wird. Meine Vorstellung wäre: Man muss jenen etwas zurückgeben, die in den letzten Jahren geblutet haben. Das heißt: Hartz IV aufstocken, einen Mindestlohn einführen und Geringverdiener entlasten.
Die Bundesregierung ist anderer Ansicht: In Deutschland hingen rund 40 Prozent der Wirtschaftsleistung vom Export ab. Da würde es nicht viel bringen, den Binnenkonsum anzukurbeln.
Deutschland muss von seinem hohen Exportanteil runter. Diese globalen Ungleichgewichte sind doch eine Ursache der Krise. Und wenn jetzt alle Länder Konjunkturprogramme starten, dann ist dieses Argument sowieso blöd. Wir profitieren doch auch von den Programmen der anderen.
Aber warum sollte Deutschland nicht einfach egoistisch sein - und auf die Konjunkturprogramme der anderen warten?
Wenn Deutschland jetzt kein Konjunkturprogramm auflegt, dann werden auch die USA dafür sorgen, dass ihr gigantisches Konjunkturprogramm nur amerikanischen Firmen zugute kommt. Entweder werden die USA den Dollar massiv herunter reden - oder aber sie greifen gleich protektionistisch in den Handel ein. Dies wäre auch gerechtfertigt angesichts der enormen Defizite in der US-Leistungsbilanz, von denen Deutschland in den letzten Jahren erheblich profitierte. Gerade eine Exportnation wie Deutschland kann sich nationale Egoismen nicht leisten.
Sind Sie denn mit der Europäischen Zentralbank zufrieden, die ihre Zinsen in der vergangenen Woche massiv gesenkt hat?
Die Geldpolitik der EZB ist skandalös. Sie ist immer noch nicht auf der Höhe des Problems. Ein Zinssatz von 2,5 Prozent ist viel zu hoch, denn die Inflation dürfte demnächst bei 0 Prozent liegen. Die EZB müsste die Zinsen auf höchstens ein Prozent senken und zwar unglaublich schnell.
Bisher haben die Zinssenkungen doch auch nichts gebracht. Kann die Geldpolitik noch etwas ausrichten?
Sie muss es versuchen. Die Gefahr einer Deflation ist sehr groß. Wenn sich die Preisspirale erst einmal nach unten dreht, dann konsumiert niemand mehr. Stattdessen warten alle darauf, dass alles billiger wird. So verschärft sich die Wirtschaftskrise.
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