Interview Verbraucherministerin Ilse Aigner: "Ich muss mehr auf den Putz hauen"
Lebensmittel müssen einfach mehr Wertschätzung erfahren, sagt Ilse Aigner (CSU). Die Massentierhaltung stellt sie nicht infrage. Ein Gespräch über Ministergebaren, Essen und andere Stilfragen.
taz: Frau Aigner, was sind Sie eigentlich lieber - Verbraucherschutz- oder Agrarministerin?
Ilse Aigner: Beides.
Dann müssen Sie sich zerreißen und den einen Qualität sichern, den anderen Gewinn.
Bauern und Verbraucher haben ein gemeinsames Ziel - sich mit Qualität unabhängig zu versorgen. Sie sind Partner.
Antibiotika in Kalbfleisch, Gift in Weintrauben - das nennen Sie Qualität?
Der Dioxinskandal zeigt: Es gibt Unternehmer, die vorsätzlich, vollkommen verantwortungslos, kriminell handeln. Sie können aber deshalb nicht alle 370.000 Bauern über einen Kamm scheren. Das wäre so, als würde ich sagen, nur weil ein einzelner Journalist Schmarrn geschrieben hat, sind alle anderen unfähig.
Nur ein Kriminalfall? Liegt der Fehler nicht vielmehr im System: "Hauptsache, billig?"
Ich nehme den Fall sehr ernst und habe ihn zum Anlass genommen, die gesamte Futter- und Lebensmittelkette auf den Prüfstand zu stellen. Aber unabhängig davon: Ich werbe doch selbst auch immer dafür, dass Lebensmittel mehr Wertschätzung erfahren. Viele Leute müssen natürlich jeden Cent umdrehen. Es gibt aber eine Vielzahl von Verbrauchern in Deutschland, die ihre Prioritäten überprüfen könnten.
ILSE AIGNER, 46, ist seit Oktober 2008 Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Seit 1998 sitzt die Radio- und Fernsehtechnikerin für die CSU im Bundestag. Sie trat mit 21 Jahren in die Partei ein. Ihr Heimatort ist Feldkirchen-Westerham in Bayern.
Aigner ist Mitglied in 30 Vereinen, etwa im Förderverein "Verantwortung übernehmen".
Anfangs sah es aus, als handele es sich um eine paar dioxinbelastete Eier. Doch nun geht es um einen der größten Lebensmittelskandale seit der BSE-Krise: Kurz vor Weihnachten entdeckt das Futtermittelwerk Wulf-Mast in Dinklage bei Eigenkontrollen erhöhte Dioxinwerte und meldet sie dem Nieder- sächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Die Firma Harles und Jentzsch in Schleswig-Holstein hatte das Futterwerk mit einem belasteten Rohstoff beliefert: Fett. Die Ermittler glauben, beim Harles-Partner, der Transportfirma Lübbe im niedersächsischen Böse, habe es eine Panne gegeben. Schmierfett für die Industrie sei mit Fett fürs Viehfutter verwechselt worden. Nach und nach wird klar: Tonnenweise ist verseuchtes Futter ausgeliefert worden. Tausende Betriebe werden vorsorglich gesperrt. Bundesagrarministerin Ilse Aigner ist derzeit unter Druck, weil sie in den ersten Tagen des Skandals auf die Zuständigkeiten anderer verwies. Mittlerweile hat sie einen Aktionsplan gegen Futterpanschereien vorgelegt. (hg)
Sie geben den Verbrauchern Schuld, anstatt sie zu schützen.
Unsinn! Die Verbraucher haben einen Anspruch darauf, dass nur sichere Lebensmittel in den Handel kommen. Aber aus dieser Vielfalt, die durchgängig von hoher Qualität sein muss, sollten sie bewusst auswählen.
Sie könnten sich leichter als Verbraucherschützerin pur positionieren, wenn Sie die Zuständigkeit für die Lebensmittelbranche abgeben ans Wirtschaftsressort.
Haben Sie eine Vorstellung davon, wie arbeitsintensiv der Agrarbereich ist, auch wenn er nicht immer im Fokus der Öffentlichkeit steht?
Was ist der Unterschied zur Automobil- oder Stahlbranche?
Hier geht es um unsere Mittel zum Leben. Außerdem ist kein Bereich in der EU so vergemeinschaftet wie die Agrarpolitik. Deshalb bin ich die Ministerin, die wohl am häufigsten in Brüssel ist, nämlich so gut wie jeden Monat.
In der Öffentlichkeit fallen Sie eher auf, wenn Sie dem Internetnetzwerk Facebook drohen, weil sie den Datenschutz gefährdet sehen. Dabei hat da der Innenminister das Sagen.
Aber es ist mein Job, mich einzumischen - egal ob ich federführend bin oder nicht. Das Verbraucherschutzministerium ist ein Querschnittsressort.
Ist es nicht einfach nur bequemer, weil man nachher sagen kann, ich bin nicht zuständig?
Im Gegenteil: Der Erfolgsdruck ist umso größer. Den Verbrauchern sind Zuständigkeiten ohnehin egal. Die wollen, dass sich jemand um ihre Probleme kümmert. Ältere Leute haben mir gesagt: "Hab ich gar nicht gewusst, dass ich mit meinen Fotos im Netz aufpassen muss." Verbraucherschutz interessiert 82 Millionen Menschen - der Kreis derer, die sich mit Landwirtschaft beschäftigen, ist deutlich kleiner. Leider muss oft erst ein Skandal passieren, bis die Gesellschaft über Agrarpolitik spricht.
Und da schneiden Sie gerade schlecht ab. Jeder Zweite ist laut Umfragen unzufrieden mit Ihrem Krisenmanagement!
Für mich zählt solide Arbeit. Das kann man jetzt gut oder schlecht finden. Ich bin unaufgeregt, aber zielstrebig. Ich habe einen Krisenstab eingerichtet, mich laufend mit den Ländern und der EU abgestimmt, mich mit dem Parlament beraten, mit Verbraucherschützern und Landwirten. Aber das jetzt alles aufzuzählen, wäre kindergartenmäßig.
Der Unmut der Wähler macht ihnen keine Angst?
Ich nehme Kritik ernst. Aber es kommt immer aufs Ergebnis an. Wem hilft es denn, wenn ich mich nach der Methode Künast ...
Renate Künast, ihre grüne Vorvorgängerin …
vor Kameras inszeniere und nur Staub aufwirbele? Für mich ist der Aktionsplan wichtig, das ist ein schweres Paket, dessen konkrete Punkte noch durch den Bundesrat müssen und durch öffentliche Anhörungen. Da muss schnell und sauber gearbeitet werden.
Ihr Vorgänger Horst Seehofer hätte mehr Krawall und Politik gemacht. Denken Sie über einen neuen Politikstil nach?
Ich habe meinen eigenen Stil. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ehrliche Arbeit das Wichtigste ist. Aber ich habe gelernt, dass die Medienwelt anscheinend erwartet, dass man manchmal mehr auf den Putz haut.
Wann haben Sie gedacht, hinzuschmeißen?
Nie. Ich und mein Haus haben alles getan, was in unserer Macht steht. Ich bin jeden Tag mit gutem Gewissen ins Bett gegangen und konnte gut, wenn auch zu wenig schlafen.
Aber geärgert haben Sie sich morgens beim Blick in die Zeitungen?
Ich konnte mich da bisher nie beklagen. Aber es ist ein No-go, mit Namen zu spielen.
Sie meinen die Bild-Schlagzeile "Absolut ungeaignert".
Noch mehr geärgert habe ich mich aber über die gnadenlose Scheinheiligkeit mancher Sprücheklopfer in der Opposition, die selbst nichts vorangebracht haben und jetzt verzweifelt versuchen, Wahlkampf zu machen.
Nennen Sie Namen!
Meine Vorvorgängerin, die Berliner Bürgermeisterkandidatin.
Die Grüne Renate Künast wirft Ihnen vor, Ihre Hausaufgaben nicht zu machen. Auf die Wirtschaft sind Sie nicht sauer, die doch dem Staat versprochen hatte, sich selbst zu kontrollieren?
Ich bin stocksauer auf den, der das verbockt oder besser gesagt: verbrochen hat. Den dürfte ich nicht in die Finger bekommen.
Warum schreiben Sie den Bauern nicht vor, ihr Futter selbst herzustellen, statt es über ein undurchschaubares Geflecht von Firmen zu beziehen?
Ich halte es für illusorisch, zu glauben, dass die Landwirtschaft zu 100 Prozent wegkommt von arbeitsteiligen Prozessen. Meine Omas haben Produkte aus dem eigenen Garten verwertet, die Gurken selbst eingemacht, Marmelade gekocht. Das finden Sie heute kaum mehr. Das, was sich im Kleinen entwickelt, haben wir aber auch im Großen.
Das wollen viele aber nicht! Allerorten planen Bauern Riesenställe für Schweine und Hühner - und Anwohner protestieren.
Wir sind bei der Modernisierung des Agrarsektors mitten im Umbruch. Während viele EU-Länder noch an historischen Produktionsprämien festhalten, sind wir längst weiter. Im Jahr 2013 kriegt ein Ökobetrieb 314 Euro pro Hektar plus eine Zulage für Öko plus Zulagen für besondere Agrarumweltmaßnahmen wie Blühstreifen. Das summiert sich.
Aber auch die konventionellen Bauern werden weiter Geld einstreichen, warum binden Sie die Leistungen nicht immer an Ökoauflagen oder Jobs?
Wie gesagt: Wir haben eine europäische Landwirtschaftspolitik. Wir müssen uns auf einheitliche Förderkriterien einigen, die Polen genauso umsetzen kann wie Deutschland oder Irland - und die konform gehen mit der Welthandelsorganisation.
Gegen Umweltschutzauflagen sagt die WHO selten etwas.
Aber gegen die Koppelung an den Faktor Arbeitsplätze. Mein Ziel ist klar: Ich stehe für mehr Umweltschutz. In diesem Jahr kommt es darauf an, sich mit 26 EU-Partnern auf einen gemeinsamen Weg zu verständigen.
Und ihr Weg? Wie soll das Leben auf dem Dorf 2050 aussehen?
Ich kann Ihnen nicht sagen, ob mehr Kühe auf der Weide stehen oder nicht. Fest steht: Der Strukturwandel setzt sich fort. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, da gab es früher noch zehn Bauern, heute sind es drei. Auch viele Handwerker und Krämerläden sind verschwunden.
Schon wegen ihres eigenen Lebenswegs müssten Ihnen doch kleinere Höfe am Herzen liegen. Sie könnten das Baurecht ändern - und die Stallgröße begrenzen.
Das werden wir womöglich auch tun und eine Diskussion anstoßen, wie viele Tiere und Biogasanlagen eine Region verträgt. Das hat aber nichts mit der Größe des einzelnen Stalles zu tun.
Beim Bundesprogramm Ökologischer Landbau haben Sie schon Fakten geschaffen. Das Geld soll auch für konventionelle Bauern fließen. Wie passt das zu Ihren Umweltzielen?
Das Bundesprogramm hat sich bewährt und wird in gleicher Höhe fortgeführt. Mit der Öffnung wollen wir Bodenschutz, Tierschutz und Umweltschutz auch in der konventionellen Landwirtschaft voranbringen.
Und wie genau, bitte?
Ich habe genaue Vorstellungen davon, was ich sonst noch fördern will. Zum Beispiel Regionalprodukte von Betrieben oder Systeme besonders artgerechter Haltung, die oft nicht das Biolabel tragen, aber dennoch nachhaltig wirtschaften.
Die UN sagen: Der Planet ist nur zu retten, wenn wir weniger Fleisch essen.
In katholischen Gegenden wie Oberbayern, wo ich herkomme, gibt es seit eh und je den fleischlosen Freitag. Ich esse viel Obst und Gemüse, dazu Fisch, Geflügel und gerne auch Fleisch. Es gehört zu einer gesunden, ausgewogenen Ernährung - aber in Maßen! Ich sage: Wir essen generell zu viel. Aber ich will den Menschen keine Vorschriften machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos