Interview: Tanz im August: Mit den Künstlern wachsen
Bettina Masuch leitet das Festival Tanz im August. Ein Gespräch über veränderte Sehgewohnheiten, den Mut zum Risiko und die Wechselwirkungen zwischen Stadt und Festival.
taz: Frau Masuch, Tanz im August feiert 25-jähriges Jubiläum. Spiegelt sich das im Programm?
Tanz in Berlin, Berlin und der Tanz ist das Schwerpunktthema der Wochenendausgabe der Berlin-taz. Vom 16. August bis zum Ende des Monats findet zum 25. Mal das Festival "Tanz im August statt". Mehr zum Thema in Ihrer gedruckten Taz am Kiosk.
Bettina Masuch: Ich habe versucht, die Vergangenheit des Festivals mit dem zu verbinden, was seine Zukunft sein könnte. Als Nele Hertling das Festival 1988 gegründet hat, gab es keine so reiche internationale Tanzlandschaft in Berlin oder in Deutschland, wie wir sie heute haben. Das hat sich sehr verändert. Jetzt kann man übers Jahr viel mehr internationalen zeitgenössischen Tanz sehen. Von dort wollte ich die Brücke dahin schlagen, wo man die Zukunft des Tanzes sieht.
Wie wollen Sie in die Zukunft sehen?
Bettina Masuch
geboren 1964 in Solingen und schon früh ein Fan von Pina Bausch in Wuppertal, studierte Germanistik, Philosophie und Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen.
Berlin kennt sie gut, seit sie 1998 als Dramaturgin an der Volksbühne begann. 2003 bis 2008 war sie Kuratorin für Tanz am HAU und anschließend künstlerische Leiterin des Springdance Festivals in Utrecht in den Niederlanden.
2013 ist sie erstmals alleinige künstlerische Leiterin des Festivals Tanz im August. 2014 wird sie Intendantin des Tanzhauses NRW.
Es gibt zum ersten Mal eine Zusammenarbeit mit dem Theater an der Parkaue, mit Kinder- und Jugendtanz. Das ist mir wichtig, denn in diesem Bereich ist in den letzten Jahren sehr viel passiert. Die Stücke von Jan Martens, „Victor“, und von Ugo Dehaes, „Girls“, sind hervorragende Beispiele für die Auseinandersetzung mit dem, was Jungsein oder Adoleszenz sein kann. Mittlerweile treten Kinder und Jugendliche ganz selbstverständlich in Produktionen auf, die weit über dem Niveau eines pädagogischen Projekts sind.
Spielt die Berliner Szene im Programm keine Rolle?
Doch. Über die Jahre war das Festival ein Impulsgeber, neue Choreografen in die Stadt zu holen. Bei dem brasilianischen Choreografen Bruno Beltrao war das so, er ist mit Tanz im August zum ersten Mal nach Berlin gekommen und wurde dann zu einem regelmäßigen Gast im Spielplan des HAU. Das Festival steht mit der Stadt in Wechselwirkung. Deshalb auch die beiden Uraufführungen der Berliner Choreographen Laurent Chetouane und Jochen Roller zum Ende des Festivals.
Tanz im August ist ein Höhepunkt im Tanzkalender, die Stadt schmückt sich mit dem Festival. Aber reicht das, um Berlin zur Tanzstadt zu machen?
Natürlich ist es typisch berlinerisch, sich immer etwas größer zu machen, als man wirklich ist. Das kann auch etwas Positives haben, weil es auch Ansprüche für die Zukunft formuliert. Tanz im August ist sicher das größte deutsche Tanz-Festival, aber verglichen mit anderen europäischen Festivals ist es ein kleiner Player. Wir haben ein Budget von 800.000 Euro – dieses Jahr sind es 900.000, weil wir 100.000 Euro von der Lottostiftung bekommen haben. ImpulsTanz in Wien hat 5 Millionen. Da sieht man den Unterschied.
Damit kann Berlin nicht konkurrieren.
Große internationale Compagnien einzuladen, ist mit dem Budget eigentlich nicht zu machen. Man darf nicht vergessen, dass Kosten wie die Mieten in den Häusern, wo wir auftreten, gestiegen sind. Alle Häuser sind gezwungen, viel ökonomischer zu denken. In der Vergangenheit, als das Festival anfing, gab es Spielstätten noch umsonst. Und Reisekostenzuschüsse von Botschaften fallen im Zuge der ökonomischen Krise fast ganz weg.
Was fehlt dem Tanz vor allem in der Stadt?
Seit der Gründung der Uferstudios vor drei, vier Jahren ist in der Stadt eine Situation entstanden, in der sich junge Choreografen ausprobieren können. Das nutzen viele, man sieht den Reichtum der jungen Szene. Die Probleme beginnen, wenn die Choreografen älter werden …
… und die Tänzer.
Absolut. Das große Problem ist eigentlich, dass es hier keine langfristige Tanzförderung gibt. Dass man als Choreograf, wenn man langfristig mit der gleichen Gruppe von Leuten arbeiten möchte, hierfür keine Förderung findet. Sasha Waltz ist die große Ausnahme, die das trotz widriger Umstände geschafft hat. Aber eigentlich fehlt dafür ein Förderinstrument. Choreografenpersönlichkeiten, die das Bedürfnis haben, mit einer größeren Compagnie zu arbeiten, zu wachsen, sich weiterzuentwickeln, die wandern ab.
Sie sind schon als Jugendliche oft im Wuppertaler Tanztheater bei Pina Bausch gewesen. Warum schafft es Berlin nicht, Tanz auch zu einer so großen Marke zu machen?
Was ich beobachten konnte an mir und an der Situation in Wuppertal: Man wächst als Zuschauer mit den Künstlern. Sehgewohnheiten verändern sich, wenn man sich regelmäßig mit einer bestimmten Ästhetik auseinandersetzt. Pina Bausch konnte in Wuppertal in Ruhe arbeiten, mit denselben Leuten, ein großer Vorteil. Sie konnte auch Fehler machen. Wenn die Förderung nur projektweise greift, wie heute, müssen die Choreografen viel stärker auf Erfolg kalkulieren, weil sie mit jeder Produktion eine Visitenkarte abgeben für die nächste Förderung. Es fehlt der Raum, auch mal Risiken einzugehen und zu probieren, was man noch nicht kann.
Seit zwei Jahren kämpft in Berlin eine Koalition Freie Szene für Mindestlöhne für die Künstler, zumindest in geförderten Projekten. Zur Zeit verdienen diese oft nur drei bis fünf Euro die Stunde. Halten Sie die Forderung für machbar?
Ja. Aber man muss das ganze System umstellen. Das Geld wird ja nicht mehr. Die Qualität der Tanzausbildung in Europa hat zugenommen, es gibt jedes Jahr mehr gut ausgebildete Tänzer und Choreografen, aber es gibt nicht mehr Arbeitsmöglichkeiten. Bisher war die Strategie bei Förderentscheidungen, vielen ein bisschen zu geben, um den Rest musste sich jeder selbst kümmern – so hält man die Szene einigermaßen ruhig. Die andere Möglichkeit wäre, weniger zu produzieren und sich stärker zu einzelnen Künstlern zu bekennen. Das bedeutet, dass andere komplett leer ausgehen.
Finden Sie das die richtige Lösung? Ich glaube, uns wird gar nichts anderes übrigbleiben.
Die Koalition der Freien Szene setzt ja auf eine dritte Möglichkeit: Arbeit mit neu eingenommenen Geld durch die Bettensteuer für Touristen.
Das ist absolut richtig. Aber eine Stadt allein kann das nicht lösen, das ist ein europäisches Problem. Überall werden durch die ökonomische Krise die Budgets für Kultur zusammengestrichen. Die Tanzszene hat sich erfolgreich internationalisiert, hängt damit aber auch von Koproduktionen ab – Häusern, die sich zusammen schließen, um ein Projekt zu finanzieren. Das kann ein vereinzeltes Land nicht auffangen.
Klaus Wowereit, der Berliner Bürgermeister und Kultursenator, hat gute Kontakte zum Tanz gepflegt. Trotzdem kommt kein befriedigendes Konzept für den Tanz zustande. Ist das Interesse der Politik am Tanz geheuchelt?
Was fehlt, ist eine mutige Entscheidung in eine neue Richtung. Aus meiner Sicht gibt es genug potente Schauspielhäuser und Opernhäuser in Berlin. Es ist absehbar, dass zwei dieser Häuser in den nächsten zwei, drei Jahren frei werden, weil die Verträge der Intendanten auslaufen, die Volksbühne und das Berliner Ensemble. Da könnte man ja mal ein Haus dem Tanz geben.
Wo gibt es denn Vorbilder?
Andere Großstädte wie Paris oder London haben Häuser, die nur dem Tanz gewidmet sind.
Ist es nur für Tanzszene wichtig, dass mehr für den Tanz getan wird oder profitiert die Kultur insgesamt davon?
Wenn man sich New York oder London ansieht, kann man feststellen, dass der interessantere Tanz an der Tate Modern oder im Moma läuft – dort wurde erkannt, dass der zeitgenössische Tanz auch auf ein Bedürfnis der Bildenden Kunst trifft, sich vom Objekt zu lösen und die lebende Skulptur ins Museum zu holen. Da ist etwas entstanden, was im Tanz lange vorbereitet wurde.
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