Interview Sicherheitskonferenz: "Die Politik drückt sich"
Die Deutschen verdanken ihre Verantwortung für Afghanistan Joschka Fischer, sagt Horst Teltschik, Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz.
taz: Herr Teltschik, werden die deutschen Repräsentanten auf Ihrer Sicherheitskonferenz mit "ihr unsolidarischen Feiglinge" angesprochen werden?
HORST TELTSCHIK, 67, organisiert und leitet seit 1999 die Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik (ehemals Wehrkundetagung) - dieses Jahr zum letzten Mal. Er war Helmut Kohls außenpolitischer Berater, später in führenden Positionen bei der Bertelsmann-Stiftung und BMW, zuletzt bei Boeing.
Horst Teltschik: Nein, natürlich nicht. Dazu sind Außen- und Sicherheitspolitiker sowieso zu zurückhaltend. Es wird prinzipiell um die Frage gehen, dass der Wiederaufbau Afghanistans sich in einer kritischen Phase befindet, dass der Süden der Schlüssel dazu ist und dass die dort kämpfenden Nato-Länder Unterstützung erwarten. Ich kann gut verstehen, dass gerade die kleineren Staaten Kanada und Niederlande sagen, es müssen andere in den Süden kommen, um eine faire Lastenverteilung in Afghanistan zu erreichen.
Aber warum ausgerechnet die Deutschen, die auf ihre Leistungen als drittstärkster Truppensteller stolz sind?
Das müssen nicht unbedingt die Deutschen sein, das stimmt. Das könnten auch zum Beispiel Spanier sein. Frankreich hat schon erklärt, sich stärker engagieren zu wollen, da muss man abwarten, was die damit meinen.
Die hiesige öffentliche Debatte wirkt, als schaute alle Welt auf Deutschland.
Nein, die Anfrage richtet sich an alle Europäer. Wir neigen dazu, uns so etwas immer sofort selbst anzuziehen, das ist Ausdruck eines schlechten Gewissens. In diesem Fall hat das allerdings auch seine Berechtigung, weil es der damalige Außenminister Joschka Fischer war, der sich an die Spitze der Bewegung für Afghanistan gesetzt hat. So hat er große Erwartungen geweckt.
Es gibt also eine Verantwortung, der sich speziell die Deutschen derzeit nicht stellen?
Ja, und darüber brauchen wir eine bessere öffentliche Debatte. Ich fand es zum Beispiel schon recht weitgehend, dass der damalige Verteidigungsminister Peter Struck erklärte, Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt. Die Bundeswehr, sagte er, soll weltweit einsetzbar sein. Wenn dies die Linie der Politik war und ist, muss man der Bevölkerung die Strategien erkennbar machen. Man muss erklären, was das für die Bundeswehr und die Nato bedeutet. Ständig werden große Behauptungen in den Raum gestellt, die nicht inhaltlich gefüllt werden. Die Politik drückt sich. Allein die geringe Zahl und Kompetenz der Außen- und Sicherheitspolitiker im Bundestag spricht doch für sich.
Ist das Problem möglicherweise nicht das deutsche militärische Engagement, sondern dass es kein erklärbares Nato-Konzept für Afghanistan gibt?
Das ist das übergeordnete Problem. Seitdem ich die Sicherheitskonferenzen organisiere, höre ich das. "Capacities, capacities, capacities!", rief ein Nato-Generalsekretär einmal verzweifelt. Das heißt: Die Nato übernimmt freiwillig Aufgaben außerhalb ihres Gebiets, ist dann aber nicht in der Lage, ausreichend Ressourcen dafür zu mobilisieren - die Amerikaner übrigens auch nicht. Die Nato braucht eine grundsätzliche Debatte über ihr Selbstverständnis.
Es sind in München wieder Gegendemonstrationen angekündigt. Dies ist nun Ihre letzte Sicherheitskonferenz. Haben Sie je überlegt, den Protestierern entgegenzukommen, etwa Foren mit der Friedensbewegung anzubieten?
Kenneth Roth, den Direktor von Human Rights Watch, haben wir dieses Jahr auf einem Podium. Ich bin sehr aufgeschlossen, wenn es um verständliche und akzeptable Ziele geht, wie sie von einigen NGOs vertreten werden. Aber der Organisator der Münchner Gegendemonstration ist seit Jahren derselbe, der uns allen Ernstes "Kriegsvorbereitung" vorwirft. Wer das glaubt, ist ein Narr, den kann ich nicht ernstnehmen.
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