Interview Nora Tschirner: "Intelligent gucken ist kein Problem"
Nora Tschirner liebt an der Schauspielerei, dass sie ihr neue Welten eröffnet. Ein Gespräch über Wein, Dokumentarfilme und die Option auf ein anderes Leben.
taz: Frau Tschirner, wollen wir über Wein sprechen?
Nora Tschirner: Können Sie gern versuchen. Ich bin da nicht so irrsinnig firm. Aber intelligent gucken bei Themen, von denen ich nichts verstehe, ist kein Problem für mich. Schließlich bin ich Schauspielerin.
Aber Sie haben für die Komödie "Bon Appetit", in der Sie eine Sommelière spielen, einen Weincrashkurs gemacht.
Ja, da stand ich wie ein Schwein vorm Uhrwerk und habe mir von einem ganz tollen Sommelier in Spanien zeigen lassen, wie man den Wein präsentiert, wie man mit dem Gast redet. Das nehmen sie sehr genau. Wenn nur ein Schritt falsch war, musste ich alles gleich wiederholen. Wir haben um neun Uhr angefangen, um halb zehn war ich nicht mehr aufnahmefähig für Theoretisches, weil das Probieren der Weine natürlich dazugehört. Und dadurch bin ich, die ich vorher kaum Wein getrunken habe, schon ein bisschen auf den Geschmack gekommen.
Man sagt ja, dass sich das mit dem Alter entwickelt.
Ja, das ist wie mit der guten Küche. Irgendwann reicht einem das Schnitzel, so wie es das beim Schulessen immer gab, nicht mehr, und man beginnt Neues zu entdecken. Neue Sachen testen ist übrigens das, was ich am allerbesten finde an diesem wunderbaren Beruf, für den ich ein ewiges mobiles Berufsinformationszentrum besuchen darf. Das eröffnet mir immer wieder neue interessante Welten.
Ihr Leben: 1981 in Berlin geboren, ab 2001 Arbeit als MTV-Moderatorin. Kurz darauf startete sie ihre Karriere als Schauspielerin und spielte in Filmen wie "Keinohrhasen" und "Soloalbum".
Ihr neuer Film: In "Bon Appetit" spielt sie die Sommelière Hanna, in die sich der Nachwuchskoch Daniel verliebt.
Sind Sie erleichtert, danach in Ihren Beruf zurückkehren zu können, oder löst das Ausprobieren manchmal den Wunsch nach einem Plan B aus?
Die Option, irgendwann noch mal was ganz anderes zu machen, gibt es immer in meinem Kopf. Das hat ganz viel mit Fame zu tun. "Fame" kann ich jetzt wieder nicht sagen, weil es sich gedruckt liest, als hätte ich ne Meise. Aber je extremer die eigene Person veröffentlicht wird, umso wichtiger ist mir die gedankliche Ausflucht, später vielleicht sonst wo zu jobben. Allerdings muss ich sagen, dass die Schauspielerei schon mein Traumberuf ist mittlerweile - auch wenn man das zwischendurch immer mal wieder vergessen kann. Sie war es vielleicht auch schon immer, es war mir nur anfangs noch nicht so klar.
Trotzdem ist es mir wichtig, jedes Mal, wenn ich für einen Film etwas Neues lerne, zum Beispiel Fußball, die Distanz aufzugeben. Sonst hängst du dich nicht so rein, wie es die Figur verdient hat. Es wäre tödlich, zu denken: Boah, wie nervig! Dann machst du keinen richtigen Schritt. Ganz oder gar nicht. Es geht sogar so weit, dass ich kurz denke: Ach Mensch, geh doch in nen Fußballverein, was natürlich totaler Kokolores ist.
In einem Artikel über Ihren Besuch bei Florian Silbereisen wurde Ihnen mal "anthropologisches Interesse" bescheinigt.
Ach, der Flori … Das ist natürlich eine irrsinnig arrogante Formulierung Herrn Silbereisen gegenüber. Ich würde das so nie sagen. Trotzdem: Ich denke zwar nicht "dat niedlische kleene Volksmusikmenschlein", aber es fasziniert mich total, mich in fremde Lebenswelten reinzudenken.
Sind das die Gene Ihres Vaters, der Dokumentarfilmer ist?
Ich weiß nicht, ob man Dokumentarfilm in den Genen haben kann, aber in der Familie liegt dieses Interesse auf jeden Fall. Als Hörfunkjournalistin ist meine Mutter auch ständig auf der Suche nach Geschichten. Wenn es bei Erziehung darum geht, seinem Kind eine Perspektivenvielfalt mitzugeben, ist das bei mir, glaube ich, geglückt.
Sie haben sogar mal an einer Produktion Ihres Vaters mitgearbeitet. Warum?
Ich liebe Dokumentarfilme sehr, auch wenn ich zugeben muss, dass ich mir weniger angucke, als ich eigentlich sehen wollen würde. Und deswegen wollte ich mal dabei sein, wenn einer entsteht. Warum das Genre als eher spröde und grau gilt, habe ich nie verstanden. Wie leben Menschen? Was lieben sie? Das sind spannende Fragen, an die sich Dokumentarfilmer und Schauspieler - interessante Parallele übrigens - gleichermaßen rantasten.
Haben Sie einen Lieblingsdokumentarfilm?
Irrsinnig beeindruckt, regelrecht umgehauen hat mich "Lost Children" über Kindersoldaten in Uganda. Ich will jetzt hier nicht mit gefährlichem Halbwissen um mich werfen, aber toll an dem Film ist auch, dass er politisch so viel bewirkt hat, obwohl das ein ganz kleines Projekt war. Wenn ich mal wieder frustriert bin von all den Miesmachern, denke ich an "Lost Children" oder an Filme meines Vaters, der sich auch nie durch Schwierigkeiten davon abhalten ließ, seine Geschichten zu erzählen.
Sie engagieren sich für Bildungsprojekte in fünf afrikanischen Ländern. Von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, wird so etwas regelrecht erwartet. Setzt Sie das unter Druck?
Man muss sich von diesen Erwartungen komplett frei machen. Den Kindern, die dank der Aktion Tagwerk zur Schule gehen können, ist es so was von egal, ob ich damit zu kämpfen habe, dass das jetzt sowieso jeder macht und machen soll. Dann finden halt die coolen Freunde von früher, dass man jetzt eine Charity-Nase ist. Hauptsache, das Projekt ist sinnvoll und man kann was bewirken.
Wie findet man sein Projekt?
Ich habe mich jahrelang nicht engagiert, weil mir zwar Projekte angeboten wurden, die mich aber nicht genug berührt haben. Ich bin zum Beispiel ein irrsinniger Fan vom Lernen. Die Möglichkeit zu haben, in eine Bibliothek zu gehen oder ins Internet und mir Wissen anzueignen, ist für mich überlebensnotwendig. Ich gebe für nichts lieber Geld aus als dafür, dass Leute mir was beibringen. Weil ich das Recht auf Bildung so irrsinnig wichtig finde für die Entfaltung von Menschen, engagiere ich mich für die Aktion Tagwerk.
Für welche Fortbildung geben Sie aktuell Geld aus?
Zuletzt habe ich mir in einem relativ intensiven Einzelkurs ein bisschen Französisch beibringen lassen, für einen Dreh in Paris, auch wenn das für meine Rolle nicht nötig gewesen wäre.
Was bringt das, wenn Sie sich gleich in ein neues Projekt stürzen und nicht weiterlernen?
Ich habe irgendwann aufgehört zu denken, dass irgendwas weniger wert ist, nur weil man es abbricht. Ich habe viermal in meinem Leben angefangen, Französisch zu lernen. Man könnte sagen: Toll, und dann hast du viermal wieder aufgehört?! Aber ich habe für mich festgestellt, dass bei jedem Mal irgendwas hängen geblieben ist. Oder wenn Leute aufhören zu rauchen und nach zwei Jahren wieder anfangen, dann sagen alle: Mist, hast es nicht geschafft! Ich denke: Jetzt hast du zwei Jahre nicht geraucht, frag mal deinen Körper, der findet das bestimmt super.
Wer weiß, vielleicht habe ich ja nächstes Jahr drei Monate frei und gehe nach Frankreich, um die Sprache weiter zu lernen, vielleicht aber auch nicht. Wenn ich mir Druck mache, etwas auf Teufel komm raus durchhalten zu müssen, schaffe ich das im Leben nicht.
Sie haben mal gesagt, dass 100.000 Mädchen in Berlin genauso sind wie Sie. Warum haben dann Sie Erfolg?
Erfolg ist doch relativ. Andere haben ja mit dem, was sie machen, auch Erfolg, nur zeigt sich der nicht so nach außen. Auf alle Fälle gehört immer auch Glück dazu. Ich bin fest davon überzeugt, dass es am Anfang ganz viel damit zu tun hat, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, auf Leute zu treffen, die dein Talent erkennen.
Ich glaube schon an mich - aber ich habe eben auch viel Schwein gehabt. Und dann meine Chancen genutzt und versucht, das Beste aus allem zu machen was kam, und zu lernen, wo es ging. Die sieben Jahre als MTV-Moderatorin möchte ich nicht missen, auch wenn das von der Schauspielerei eigentlich ziemlich weit weg ist. Aber vom großen Spaß an der Sache abgesehen hat es meine Kreativität gefördert und hat mir eine Unbefangenheit vor der Kamera gegeben, von der ich noch heute profitiere.
Außerdem hatte ich das unschätzbare Glück, dass sich meine Karriere über zehn Jahre langsam gesteigert hat, sodass ich mich an die immer neuen Schockzustände, die Popularität mit sich bringt, in Ruhe gewöhnen konnte. Das würde ich so manchem Castingshowteilnehmer wünschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Pressefreiheit unter Netanjahu
Israels Regierung boykottiert Zeitung „Haaretz“