piwik no script img

Interview Kofi Annan"HIV muss keine Todesstrafe sein"

"Wenn wir auf der Geberkonferenz scheitern, verurteilen wir Millionen zum Tode", sagt der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan

Aids ist mehr als nur ein Gesundheitsproblem, sagt Kofi Annan. Bild: rtr

taz: Herr Annan, bei der Berliner Geberkonferenz für den Globalen Fonds entscheidet sich am Donnerstag, wie viel Geld die Staaten für den Kampf gegen Aids, Malaria und Tuberkulose bereitstellen werden. Was passiert, wenn nicht genug zusammenkommt?

Kofi Annan: Wenn wir scheitern, verurteilen wir Millionen Menschen zum Tode. Und wenn wir scheitern, liegt das nicht daran, dass es nicht genug Ressourcen gibt, sondern am fehlenden politischen Willen zum Handeln. Um erfolgreich bei einer solchen Unternehmung erfolgreich zu sein, braucht man globale Solidarität. Wir müssen es schaffen und wir werden es schaffen.

Wie wollen Sie als Vorsitzender der Geberkonferenz die Staaten überzeugen, mehr zu geben?

Wenn wir das Problem gut erklären, werden Regierungen und Bürger diesen Kampf unterstützen. Aids, Malaria und Tuberkulose sind gemeinsame Probleme, wir müssen sie gemeinsam lösen. Wenn Teile der Welt unsicher sind, sind wir alle unsicher. 800 Millionen Menschen reisen jedes Jahr durch die Welt. Jeder von ihnen kann eine Krankheit überall hin transportieren. Es ist also im Interesse aller, die Gesundheitssysteme in den ärmsten Ländern zu stärken. Man kann nicht auf Kosten anderer in Sicherheit leben.

Ist Aids auch ein Sicherheitsproblem?

Aids tötet Polizisten und Soldaten, Ärzte und Lehrer, Arbeiter und Bauern. Die Bedrohung ist allumfassend, weil sie Regierungen daran hindert, ihre Aufgaben zu erfüllen. Aids ist mehr als nur ein Gesundheitsproblem.

Obwohl alle wissen, was man gegen Aids tun kann, steigt die Zahl der HIV-Infizierten weiter.

Das stimmt. Millionen Menschen infizieren sich mit HIV, Kinder verlieren ihre Eltern und leben ohne Unterstützung. Ohne den Globalen Fonds wäre das noch viel Schlimmer. Wenn man sich anschaut, wo wir angefangen haben, hat sich schon viel getan. Ich war in Krankenhäusern und habe dort diese bittenden Augen gesehen, die sagen: "Ich weiß, dass es Medikamente gibt, die mich retten können." HIV muss keine Todesstrafe sein. Aber wir brauchen Ressourcen, um unsere Arbeit auszubauen. Und ich hoffe, dass die Regierungen sich großzügig zeigen werden. Auch der Privatsektor sollte sich stärker einbringen.

Private Unternehmen zahlen bislang nur zwei Prozent des Budgets des Globalen Fonds. Was erwarten Sie von der Wirtschaft?

Das Thema ist zu wichtig, um es nur den Regierungen zu überlassen. Ich erwarte einen stärkeren finanziellen Beitrag von der Privatwirtschaft. Ich erwarte aber auch, dass der Privatsektor seine Erfahrungen teilt, damit wir unsere Arbeit effektiver machen können. Es gibt viele Dinge, die wir voneinander lernen können und die wir zusammen tun können. Coca-Cola-Flaschen gelangen in jedes afrikanische Dorf, Impfstoffe nicht. Wir müssen die Logistik verbessern. Dabei kann uns die Wirtschaft helfen.

Bei den Geberkonferenzen müssen Sie alle paar Jahre von Neuem um Geld für die Aids-Bekämpfung betteln. Bei der Behandlung von HIV-Infizierten braucht man hingegen Planungssicherheit für viele Jahre. Taugt das Gebermodell für die Entwicklungshilfe noch?

Ich hätte gerne Einnahmequellen, die sicherer und verlässlicher sind, zum Beispiel Einnahmen aus einer Steuer auf Flugtickets. Einige wenige Staaten haben eine solche Abgabe bereits eingeführt. Aber es müssen noch mehr werden. Regierungen sind sehr zurückhaltend, wenn ihre Bürger Abgaben an andere zahlen müssen. Ich habe einmal vorgeschlagen, jeden Flug mit einem Dollar zu besteuern. Senator Helms aus den USA hat darauf gesagt: Niemand besteuert Amerikaner außer Onkel Sam. Ein Dollar ist nicht viel, aber bei 800 Millionen Passagieren, kommt doch viel zusammen. Das wäre auch ein Zeichen internationaler Solidarität.

Was würden Sie tun, wenn Sie für einen Tag der Präsident aller G8-Staaten wären?

Dann würde ich mich um die Gesundheit kümmern. Es gibt keine produktive, funktionierende Gesellschaft ohne gesunde Bürger. Und die Umwelt wäre ganz oben auf meiner Agenda. Wenn man sich anschaut, wie die Volkswirtschaften wachsen, nämlich auf Kosten der Umwelt, frage ich mich, ob wir Menschen noch logisch denken können. Wir verweigern uns, den Ausstoß von Kohlendioxid zu reduzieren, als wenn es kein Morgen gäbe. Wir geben Geld für Dinge wie Waffen aus, ohne zu merken, dass die Umwelt all unsere Träume zunichte machen kann. Wir reden davon, wie man Kohlendioxid irgendwann mal im Boden speichern kann, und vergessen dabei, dass der Klimawandel unseren Planeten bereits heute schwer beschädigt. Überschwemmungen, Dürren, Hunger - das Leben der Armen gerät aus den Fugen. Die Reichen verschmutzen die Umwelt und die Armen bezahlen dafür.

INTERVIEW NIKOLAI FICHTNER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!