Interview Gesundheitspolitik: "Schwarz-Gelb will die Kopfpauschale"
Die Kosten werden auf die gesetzlich Versicherten abgewälzt, sagt die Gesundheitsexpertin der Grünen, Birgitt Bender. Schwarz-Gelb schiebe das Defizit vor, um eine Kopfpauschale einzuführen.
taz: Frau Bender, was steckt hinter dem Milliardenloch im Gesundheitsfonds? Die Wirtschaftskrise oder ein Konstruktionsfehler des Fonds?
Birgitt Bender: Union und FDP tun so, als blickten sie jetzt in ein tiefes Milliardenloch, von dem sie vorher nichts wussten. Das stimmt nicht. Die große Koalition hat den Gesundheitsfonds extra so konzipiert: Das Geld für die Kassen soll im kommenden Jahr nicht ausreichen. Das soll sie dazu treiben, Zusatzbeiträge zu erheben - also bei den Versicherten noch mehr Geld zu holen. Mit diesem Mechanismus wollte die Union ihre Kopfpauschale von ihrem Leipziger Parteitag 2003 retten: als kleine Kopfpauschale.
Wird dieser Versuch klappen? Union und FDP zeigen sich bei den Koalitionsverhandlungen ja noch weit voneinander entfernt.
Birgitt Bender, ist seit 2002 Bundestagsabgeordnete von Bündnis90/Die Grünen und Mitglied des Ausschusses für Gesundheit. Zugleich ist die 52-jährige Juristin ehrenamtlich Stellvertretende Landesvorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Baden-Württemberg.
Beunruhigenderweise sieht es so aus, als könnten sich Union und FDP sehr wohl einig werden. Die Union hat das Interesse an der Kopfpauschale und die FDP auch. Deren Konzept sieht eine völlige Privatisierung der Gesundheitsversorgung vor, eine Kopfpauschale als Prämie inklusive. Der Fonds kommt beiden Seiten bei der Einführung der Prämie sogar gelegen: Er sorgt für einen vergleichsweise niedrigen, paritätisch finanzierten Beitragssatz. Wenn die restlichen Kosten in immer größerem Maße von den Versicherten zu tragen sind, dann haben Union und FDP ihr Ziel erreicht: die Kopfpauschale.
Also sind die Konflikte bei Schwarz-Gelb nur vorgetäuscht?
Ich halte den Streit in der Tat für inszeniert. Da wird Theaterdonner gemacht. Am Ende könnte es heißen: Die Union hat den Fonds gerettet. Und damit die weitgehend solidarische Finanzierung der Krankenversicherung. Die FDP wird sich rühmen, dass Arbeitgeber nicht stärker belastet werden. Die privaten Zuzahlungen wird sie sogar noch mit dem Wort "Freiheit" garnieren. Tatsächlich aber geht es um den Griff in den Geldbeutel der Versicherten, und zwar unabhängig von deren Einkommen.
Was käme dann als Nächstes auf die gesetzlich Versicherten zu?
Alle Krankenkassen müssten dann Zusatzbeiträge erheben. Ich rechne damit, dass die Regel, wonach Zusatzbeiträge höchstens 1 Prozent des Bruttolohns betragen dürfen, abgeschafft wird. Das könnte bedeuten: Ein Rentner mit 900 Euro im Monat müsste - zusätzlich zum prozentualen Beitrag - 15 Euro für eine kleine Kopfpauschale zahlen. Im kommenden Jahr womöglich noch mehr.
Geht daran ein Weg vorbei oder gibt es andere Möglichkeiten, die Defizite bei den Krankenkassen zu verhindern?
Kurzfristig sehe ich da nur eine Alternative: Entweder wird der paritätisch finanzierte Beitragssatz erhöht, oder die Steuerzuschüsse steigen. Aber damit wird sich eine Regierung, die trotz wachsender Staatsverschuldung Steuersenkungen versprochen hat, sicherlich schwertun.
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