Interview Gesamtschulen in NRW: "Die FDP ist weiter als die CDU"

Udo Beckmann, Chef des Verbandes Bildung und Erziehung, spricht über Gesamtschulen, längeres gemeinsames Lernen und schwarz-gelbe Fehler vor der NRW-Wahl.

Udo Beckmann ist Bundesvorsitzender und seit 1996 NRW-Landeschef der Lehrergewerkschaft VBE. Bild: Pressefoto VBE

taz: Herr Beckmann, in NRW werden im Jahr 14.000 Eltern, die ihr Kind an eine Gesamtschule schicken wollen, zurückgewiesen. Woran liegt das?

Udo Beckmann: Wir beobachten bei den Eltern seit Jahren ein verändertes Wahlverhalten. Sie haben erkannt, dass ihre Kinder einen höheren Abschluss benötigen, wenn sie den sozialen Status der Eltern halten möchten. Ihre Wahl fällt dann eben auf die Gesamtschulen und die Gymnasien. Und seit Einführung des achtjährigen Gymnasiums wollen Eltern ihren Kindern oft mehr Zeit geben, das Abitur zu erreichen.

Ist die Forderung der Landesregierung, ein Drittel der Kinder an einer Gesamtschule müsse eine Gymnasialempfehlung haben, dann nicht gerechtfertigt, um eine Durchmischung zu gewährleisten?

Die Wahl: Die Landtagswahl im einwohnerstärksten Bundesland am 9. Mai gilt als Test für die Bundestagswahl. Doch über welche Inhalte streiten die Parteien? In der taz-Serie reden Experten über die entscheidenden Themen: Bildung, Energie, Finanzen, Soziales.

Der Zwischenstand: Schwarz-Gelb ohne Mehrheit. CDU 38 Prozent, FDP 8, SPD 34, Grüne 11, Linkspartei 6 Prozent (Emnid). Eine aktuelle Omni/Quest-Umfrage ergab erstmals eine rot-grüne Mehrheit.

Der taz-NRW-Blog: blogs.taz.de/nrw-entscheidet

Die Eindrittelregelung ist eigentlich eine Regelung, um Neugründungen von Gesamtschulen zu erschweren. Wir wissen, dass die Empfehlungen durch die Grundschullehrer immer auf Schulen vor Ort zielgerichtet sind, das sind keine grundsätzlichen Empfehlungen. Wir wissen auch, dass sich viele Kinder später weiterentwickeln. Die Festlegung halte ich nicht für sinnvoll. Und für die faktische Setzung von einem Drittel gibt es keine rechtliche Grundlage.

Halten Sie die Entscheidung, dass die Lehrer die Empfehlung für die weiterführende Schule ausstellen, für besser?

Ich glaube, wir müssen durch längeres gemeinsames Lernen den Zeitpunkt, an dem über eine Bildungslaufbahn entschieden wird, hinausschieben. Die Entscheidung sollte dann von Lehrern und Eltern in Beratungen gemeinsam getroffen werden.

Das heißt, die Lehrer wollen diese Entscheidung gar nicht allein treffen?

Viele Grundschullehrer wollen diese Entscheidung nicht treffen, weil sie viel zu früh ist. Es gibt inzwischen eine Initiative von 1.000 Grundschulleitern, die längeres gemeinsames Lernen wollen. Und denen sollte man das wirklich abnehmen, sie haben die heterogenste Schulform überhaupt.

Was halten Sie denn vom FDP-Vorschlag einer "regionalen Mittelschule"?

Die ist aus meiner Sicht eine halbherzige Entwicklung in Richtung längeren gemeinsamen Lernens. Das hängt mit kontroversen Diskussionen innerhalb der FDP zusammen, aber Andreas Pinkwart ist inzwischen schon wieder zurückgepfiffen worden. Die FDP ist ein Stückchen weiter als die CDU, die nach außen immer noch reklamiert, keine Einheitsschule haben zu wollen.

Auf kommunaler Ebene gibt es aber schon Unionspolitiker, die die Gemeinschaftsschule wollen. Wie wichtig sind die Kommunen?

Die Landesregierung sagt zwar immer, dass sie den Kommunen Eigenverantwortlichkeit übergeben will, aber in dieser Frage tut sie das nicht. In den Gemeinden Horstmar und Schöppingen hat sie einen Modellversuch einer Gemeinschaftsschule verhindert, obwohl es ein fertiges und tragfähiges Konzept gab.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.