Interreligiöse Kämpfe in Südsyrien: Am Abgrund von Suweida
Erneut kommt es in Syrien zu massiver Gewalt zwischen religiösen Gruppen, Israels Militär mischt sich ein. Warum ist das neue Syrien so instabil?
Syrien ist eine große politische Zwiebel mit vielen Schichten. Die äußerste Schicht besteht aus der Zentralregierung in Damaskus, die von ehemaligen Dschihadisten angeführt wird, die Ende letzten Jahres den Diktator Baschar al-Assad gestürzt haben. Große Teile der offiziellen Armee bestehen heute aus Ex-Milizionären. Präsident Ahmed al-Scharaa versucht einen Balanceakt: Er will sein Land und die Internationale Gemeinschaft davon überzeugen, dass das neue Syrien kein islamistisches Projekt ist, sondern ein All-inclusive-Staat, in dem sich alle politischen wie religiösen Gruppen wiederfinden. Gleichzeitig muss er aber auch sein sunnitisch-dschihadistisches Klientel bedienen, das ihn an die Macht gebracht hat.
Die zweite Zwiebelschicht sind die politischen, ethnischen und religiösen Minderheiten im Land, die Scharaa und seine dschihadistischen Gefolgsleute mit einer gehörigen Portion Misstrauen betrachten. Sie zögern, sich der Zentralmacht in Damaskus unterzuordnen. Das fängt bei der säkularen Zivilgesellschaft an, die nach einem möglichst schnellen Übergang zu einer echten Demokratie und einer Verfassung ruft, in der Staat und Religion getrennt sein sollen. Und es geht weiter mit den Kurden im Nordosten des Landes, die zuvor in einer relativ eigenständigen Autonomie mit eigenen bewaffneten Milizen gelebt haben und diesen Status nicht aufgeben wollen. Auch die Drusen trauen Scharaa und seinen Gefolgsleuten nicht. Und sehen sie deshalb nicht als Schlichter des lokalen Konfliktes mit den Beduinen, sondern als Teil des Problems.
Als in den letzten Tagen Regierungstruppen in die Region Suweida einrückten – mit dem offiziellen Auftrag für Ruhe zu sorgen und einen Waffenstillstand durchzusetzen –, wurden diese schnell in Kämpfe mit drusischen Milizen verwickelt. Ein kurzzeitig ausgehandelter Waffenstillstand hielt weniger als einen Tag. Und es häufen sich – bislang oft noch unbestätigte – Berichte aus Suweida: über getötete Zivilisten, ausländische Dschihadisten unter den Angreifern, Attacken auf den zur Hilfe eilenden Zivilschutz.
Israels Militär greift das syrische Militär an
Was gerade in Suweida passiert, erinnert an Vorfälle mit Alawaiten im Frühling. Sie sind die dritte Zwiebelschicht – eine Minderheit, die an der Mittelmeerküste und in Teilen der Kapitale Damaskus lebt. Sie waren die Stütze und Profiteure des alten Regimes. Manche haben schwere Menschenrechtsverbrechen unter Assad begangen. Zwischen den Gefolgsleuten Scharaas und den Alawiten gibt es unzählige offene Rechnungen – ein Grund, warum es an dieser Front immer wieder offene Auseinandersetzungen gibt.
Und als sei das alles noch nicht kompliziert genug kommt noch der Faktor des benachbarten Israel dazu. Das hält nicht nur seit 1967 die syrischen Golanhöhen laut internationalem Recht illegal besetzt, sondern hat nach dem Sturz Assads zusätzlich eine Pufferzone am Fuße des Gebirges auf der syrischen Seite besetzt. Seit Dienstag bombardiert Israel nun gepanzerte Fahrzeuge der syrischen Regierungstruppen rund um Suweida. Nach offiziellen Angaben aus Damaskus sollen dabei 111 Mitglieder der Sicherheitskräfte getötet worden sein. Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz forderte die syrische Regierung am Mittwoch auf, „die Drusen in Ruhe zu lassen“. Das israelische Militär werde die syrischen Regierungseinheiten so lange angreifen, bis sie sich zurückziehen, warnte er. Israel präsentiert sich als Schutzmacht der Drusen und weitet damit auch seine Einflusssphäre in Syrien aus.
Laut der Nachrichtenplattform Axios soll die syrische Regierung Israel im Vorfeld über die Truppenbewegung informiert haben – mit der Botschaft, dass diese nicht gegen Israel gerichtet sei, sondern für Ruhe in der Region sorgen sollte. Dass die Truppen trotzdem bombardiert wurden, führte laut dem zitierten US-Beamten dazu, dass die US-Regierung von Israel gefordert haben soll, die Angriffe einzustellen. Stattdessen wurden die Angriffe ausgeweitet. Am Mittwoch bombardierten israelische Drohnen – unter anderem – das Haupteingangstor zum Militärhauptquartier in Damaskus, später auch am Präsidentenpalast.
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