Internet: Surfen im Dienste der Menschheit

Bei der Kreuzberger Firma Eye Square surfen Test-Nutzer unter Aufsicht durch Webseiten, um ihre Benutzerfreundlichkeit - neudeutsch: Usability - zu erproben. Ein Ortsbesuch zum Welt-Usability-Tag.

Es geht immer um drei Dinge: einen Computer, einen Nutzer und eine Aufgabe Bild: AP

Es ist gerade dunkel geworden, draußen auf der anderen Spreeseite leuchten Autoscheinwerferpunkte. Sabrina Duda sitzt in ihrem Büro mit den abgezogenen Dielen, auf dem Schreibtisch ein schwarzes Notebook, und erklärt ihre Mission: "Wir wollen das Leben der Menschen leichter machen. Sie sollen sich weniger ärgern und mehr Spaß haben. Das ist ein sehr humanistischer Ansatz. Wir haben wirklich das Wohl der Menschheit im Auge." Sie überlegt kurz: "Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen ironisch." Sie fährt sich mit den Händen durch die dunklen Haare. Ihr Lippenstift ist exakt so rot wie ihr Halstuch, wie ihr Pullover. Ja, das mag übertrieben klingen, leichteres Leben, Menschheitswohl. "Aber es ist einfach so", sagt sie. Kein Witz.

In der Kreuzberger Fabriketage auf einem weiten Industriegelände voller verwinkelter Klinkerbauten koordiniert Dudas Firma keine Entwicklungshilfeeinsätze, es werden auch keine Krebsmedikamente zur Marktreife gebracht. Das Wohl der Menschheit bringen die 30 Mitarbeiter von Eye Square in konzentrierter Flüsterstille an Computern und in Laboren mit breiten Spiegelglasscheiben, voller Rechner, Fernseher und Kameras voran. Es geht um den Spaß beim Surfen - im Internet. Stichwort Usability. Oder wie man heute laut Duda besser sagt: User-Experience. Sie erforschen das Nutzererlebnis, das bestimmte Internetseiten bringen. Je nachdem, welches Unternehmen sie gerade damit beauftragt. Die Kundenliste ist lang. Dudas Firma hat in diesem Jahr mit einer Studie für E-Bay den Marktforschungs-Oscar gewonnen.

Die Eye-Square-Labore sind eine vollkommen datenschutzfreie Zone. Jeder Mausklick, jeder Bildschirmblick, manchmal sogar jede Hautveränderung eines Test-Nutzers werden registriert, während er auf der Seite eines Handy-Anbieters nach den neuesten Tarifen sucht oder auf der Seite eines Versandhauses nach Rosen. So hat das alles angefangen, vor acht Jahren, mit Dudas erstem Kunden und der Erkenntnis: "Fünf Tester hatten Probleme, den Blumenshop zu finden."

Im Grunde geht es immer um drei Dinge: einen Computer, einen Benutzer und eine Aufgabe. So hatte es Duda schon an der Humboldt-Universität gelernt, wo sie Psychologie studierte und in ihrer Abschlussarbeit Kinder beim Computerspielen beobachtete. Das Spiel hieß "Max und das Schlossgespenst" und es ging darum, Strümpfe einzusammeln. Damals hatte sie sich nur ein einfaches Programm geschrieben, um bestimmte Reaktionen der jungen Spieler zu notieren. Der erste Firmenkunde war dann ein Versandhändler, ihr Kompagnon Michael Schießl studierte zu der Zeit noch. Mit ein paar Praktikanten und anderen Studenten untersuchten sie, wie sich die Nutzer im Online-Shop zurechtfanden. Die Konstellation ist heute dieselbe: Jemand surft, ein Moderator sitzt daneben und lässt den Surfer angeleitet über seine Erlebnisse sprechen.

Duda blieb nach dieser Studie noch einige Zeit an der Uni, forschte in einem Sonderprojekt zur Usability und merkte schnell, dass sie sich lieber richtig selbstständig machen wollte. Es gab zu der Zeit wenige, die sich mit dem Thema beschäftigten. Benutzbarkeit, gerade im Internet, interessierte vor allem firmeneigene Forscher bei Siemens. "Wir waren wahrscheinlich", Duda denkt kurz nach, "wie sagt man so schön, Early Movers". Pioniere. Auf Computermessen hat sie manchmal das Wort Usability erwähnt, wenige wussten etwas damit anzufangen. Aber je mehr ganz normale, technisch unbedarfte Menschen im Netz surften, desto wichtiger wurde die Frage, wie sie sich auf den einzelnen Seiten zurechtfinden. Mittlerweile gibt es in Amerika eine Usability Professional Association, die auch einen deutschen Ableger hat. Der Verband veranstaltet seit einigen Jahren einen World Usability Day. Auch in Berlin werden am heutigen 8. November am Fraunhofer-Institut Vorträge gehalten. Duda wird darüber sprechen, wie unterschiedlich Japaner und Deutsche surfen. "Japaner können mit Komplexität viel besser umgehen." Die Deutschen schauen immer auf einzelne Sachen und halten sich sehr stark an der Navigation fest. Japaner betrachten vor allem die Inhalte und gucken auf der kompletten Seite herum.

Die Tatsache, sagt Duda, dass sie und ihr Geschäftspartner Psychologen sind und auch viele ihrer Mitarbeiter Sozialwissenschaftler, stellt sicher, dass es bei ihnen nicht nur um Effizienz und Effektivität geht, sondern auch um den Spaß. Und um Trust, Vertrauen. Die beiden Chefs wirken, als könnten sie die Rolle von etwas zerstreuten amerikanischen Serien-Psychologen übernehmen. Trotzdem sprechen sie auch die Sprache der Produktmanager, die Call sagen, wenn sie Telefonat meinen, und die der Marktforscher, die bei ihnen in den schwarzen Kugelsesseln sitzen und beobachten, wie ihre Test-Kunden hinter der Glasscheibe surfen.

Auf einem großen Bildschirm können die Firmenvertreter sehen, wie sich die Maus über die Seite bewegt und wie der Kundenblick hüpft - als kleiner, blauer Kreis. In der rechten Ecke des Schirms sind die Köpfe der Netznutzer zu sehen. Die reden darüber, wie sie sich gerade zurechtfinden, und sagen über die Grafik manchmal Sachen wie: "Das ist irgendwie so trist - so wie so ein grauer Novembertag hier in Berlin "

Seit 2001 benutzen sie in den Laboren eine Technik, die Eye-Tracking heißt. Das Eye-Square-Programm misst genau, wie lange ein Blick auf einem Punkt ruht. Ab 100 Millisekunden können Bilder verarbeitet werden, erst ab 300 Millisekunden Text. Über den Auswertungsgrafiken der Webseiten liegen dann verschiedene farbige Wolken. Nur wo sie rötlich sind, haben die meisten Nutzer an der Stelle auch etwas gelesen. Die IT-Abteilung sorgt dafür, dass die Technik immer auf dem neuesten Stand ist.

Viele Auswertungsmethoden haben die Software-Experten selbst entwickelt. Mit dem Pathfinder etwa lässt sich feststellen, wie die Kunden sich über die Seiten einer Homepage bewegen und welche Wege sie am häufigsten nutzen. Dicke und dünne blaue Pfeile führen von einer Seite zur nächsten. Sie zeigen, wo die Leute vom kürzesten Weg abkommen. Es darf keinesfalls sein wie bei Ikea, dass die Kunden, wenn sie zur Kasse wollen, immer erst durch den gesamten Laden müssen, sagt Duda. Manche Produktmanager vermuten zwar, dann werde mehr gekauft. Die Geschäftsführerin glaubt aber, dass die Leute sich so vor allem ärgern. Genau das will Eye Square vermeiden helfen.

Es sind oft ganz einfache Dinge, die die Seitennutzung erschweren. Der Netzauftritt der Deutschen Bahn ist ein gutes Beispiel, sagt Duda. Ganz am Anfang schon müssen die Nutzer viel zu viele Entscheidungen treffen. Habe ich eine Bahncard? Wen interessiert denn der Preis, wenn er nur schnell die Abfahrtszeiten wissen will? Auch eine andere Regel wird dort missachtet: wichtige Sachen immer in den Vordergrund; den Button, mit dem man sich auf die nächste Seite klickt. Sie haben für ein Internetauktionshaus einmal etwas Ähnliches festgestellt. Das waren alle wichtigen Funktionen der Startseite an einem Punkt verlinkt. Nur hat dort kein einziger Surfer hingeschaut.

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