Internationaler Strafgerichtshof: Buschkrieger sinnen auf Rache
Der Internationale Strafgerichtshof will einen ruandischen Kriegsführer aus der Haft entlassen. Obwohl seine Miliz im Kongo weiterkämpft und einschüchtert.
DEN HAAG taz | R. ist immer auf der Hut. Wenn der Kongolese sich an einem stillen Ort zum Gespräch trifft, schaut er sich sorgsam um, und wenn Passanten auftauchen, dämpft er die Stimme. R. hat den Ermittlern des Internationalen Strafgerichtshofs Opfer der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) zugeführt, als deren Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana 2010 in Paris verhaftet wurde. Unter dem Vorwurf der Mitverantwortung für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde er nach Den Haag ausgeliefert. Nun soll Mbarushimana freikommen, weil die Vorverfahrenskammer den Tatverdacht gegen ihn nicht für erwiesen hält, und R. muss noch mehr auf der Hut sein als vorher.
"Ich bin sehr enttäuscht", sagt R. zur Entscheidung der Richter. "Wieso haben sie ihn verhaftet, wenn die Beweise nicht ausreichend waren? Der Strafgerichtshof wird jetzt verantwortlich für die Verbrechen sein, die die FDLR im Kongo nach der Freilassung dieses Herren begehen wird."
Die FDLR ging aus geflohenen Tätern des ruandischen Völkermordes von 1994 hervor, beteiligte sich an den diversen Kriegen im Kongo und ist als Armee bis heute im Osten des Landes aktiv. Ihre Opfer füllen die Frauenstationen der Krankenhäuser von Goma und Bukavu und die Flüchtlingslager der Kivu-Provinzen. Als internationale Ermittler sich dafür erstmals interessierten, half R., Überlebende des Massakers von Busurungi ausfindig zu machen, das schlimmste einzelne der FDLR zugeschriebene Verbrechen. In der Nacht zum 10. Mai 2009 wurde das Dorf tief in den Bergwäldern Ostkongos dem Erdboden gleichgemacht, mindestens 96 Zivilisten wurden getötet.
Muskelspiel
Die Den Haager Ermittler werteten die Gräuel von Busurungi als Teil einer gezielten Strategie, im Ostkongo eine humanitäre Katastrophe anzurichten, als Muskelspiel, um politische Konzessionen zu erpressen. Ähnlich argumentiert die deutsche Bundesanwaltschaft, die den in Deutschland lebenden FDLR-Präsidenten Ignace Murwanashyaka und seinen Stellvertreter Straton Musoni in Stuttgart vor Gericht gebracht hat. Mbarushimana und drei seiner Kollegen hätten dies gemeinsam ausgeheckt, so die Den Haager Anklage. Aber die Den Haager Vorverfahrenskammer sieht diese Strategie nicht als erwiesen an. In ihrer Ablehnung der Klage gegen Mbarushimana am 16. Dezember verneint sie daher auch eine "individuelle Verantwortung" des Ruanders, der bis 2010 von Paris aus die Öffentlichkeitsarbeit der FDLR verantwortete und mit anderen Führungsmitgliedern der Miliz in engem Kontakt war.
Mbarushimana auf freien Fuß zu setzen, hält R. für fahrlässig. Zeugen, die über Busurungi aussagen, tun dies unter Lebensgefahr, sagt er. "Sobald sie auftreten, können sie nicht mehr nach Hause zurück."
Mbarushimana kannte nämlich vor seiner Verhaftung Interna der Ermittlungen. In seinem Notizbuch, das in seiner Pariser Wohnung samt Computerfestplatten beschlagnahmt wurde, stehen rund zehn Klarnamen von potenziellen Zeugen für das Verfahren in Stuttgart. Woher er sie hatte, ist nicht bekannt. In Mbarushimanas E-Mail-Postfach befanden sich Nachrichten von Murwanashyakas Anwalt in Deutschland. UN-Mitarbeiter bestätigen auch, dass es "undichte Stellen" innerhalb der UN-Mission im Kongo (Monusco) gebe.
"Abteilung für Zeugenbeeinflussung"
Aus FDLR-Kreisen wird bestätigt, dass in Nord-Kivu eine Abteilung für Zeugenbeeinflussung eingerichtet und mit tausenden US-Dollar ausgestattet wurde. "Die Miliz hat viel Geld", bestätigt R. "Sie kann Kongolesen bezahlen, sie hat viele Kontakte."
R. bekam vor Monaten Todesdrohungen von einem FDLR-Mitglied, per SMS. Er ging in die Offensive, rief den Absender an. Der erklärte sich bereit, seine Auftraggeber zu nennen - gegen Geld. Das Geschäft kam nicht zustande. Der Mord auch nicht.
Nicht alle hatten so viel Glück. Ehemalige FDLR-Kämpfer, die nach Ruanda desertiert sind, haben von ihren Exgefährten im Dschungel Todesdrohungen erhalten. Vor wenigen Monaten erhielt ein Exkommandeur eine Nachricht: Sein Bruder, der nach wie vor in der FDLR war, wurde aus Rache ermordet.
"Die FDLR ist eine aktive Armee", erklärt R. "Sie hat selbst in Goma Leute unter Waffen. Viele FDLR-Mitglieder ließen sich vor Kongos Wahlen in die Wahlregister eintragen, sie haben jetzt kongolesische Ausweise, sie können sich überall frei bewegen."
Mbarushimana könnte Zeugen und Opfer einschüchtern
Kongolesische FDLR-Opfer, die als Nebenkläger in Den Haag auftreten, haben verlangt, Mbarushimanas Freilassung auszusetzen, weil er Zeugen und Opfer "einschüchtern und eliminieren" könnte. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Dabei hatte noch im August eine Berufungskammer eine vorläufige Freilassung Mbarushimanas aus der Untersuchungshaft mit der Begründung verweigert, der Ruander verfüge über die Mittel, "die Ermittlungen zu stören, Verbrechen zu begehen und sich abzusetzen, mit der finanziellen Unterstützung des internationalen Netzwerkes der FDLR." Aber jetzt interessiert das das Weltgericht nicht mehr.
R. fürchtet noch etwas: Dass Mbarushimana jetzt vom Strafgerichtshof Haftentschädigung erstreitet. Dann wäre die Weltjustiz ein Mitfinanzier einer Miliz, die auf internationalen Terrorlisten steht und mit UN-Sanktionen belegt ist. Gegen Mbarushimana gelten weiterhin Reiseverbote und Kontensperrungen des UN-Sicherheitsrats. Solange die nicht aufgehoben sind, kann Den Haag ihn nicht entlassen. Das zuständige UN-Sanktionskomitee ist jetzt der letzte Schutz, der den Zeugen bleibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos