Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Jetzt ist auch mal gut
Knapp zwei Jahre hat die 26-jährige Katja Hohrath Praktika gemacht. Nun ist sie der Rolle entwachsen.
Ich bin 26, studiere Kulturwissenschaften an der Uni Lüneburg und habe in meinem Leben bereits ein Jahr und neun Monate als Praktikantin gearbeitet.
Zu Beginn meines Bachelorstudiums der Kommunikationswissenschaften und Soziologie in Münster wollte ich noch Journalistin werden, am besten Chefredakteurin von MTV. Ich habe aber gemerkt, dass ich mir zwar gerne Dinge ausdenke und Ideen entwickele, mir aber das journalistische Schreiben nicht liegt.
Mein erstes Praktikum habe ich im PR-Bereich bei der Hamburg Port Authority gemacht. Ich war noch ziemlich unerfahren, hatte vorher keinen ernsthaften Nebenjob. Von der Situation im Betrieb war ich geflasht: Die Business-Atmosphäre, die Kleidung, das pompöse Gebäude in der Speicherstadt. Zwar hatte ich schnell einen Aufgabenbereich, habe aber nicht mehr eingefordert. Ich habe mich eher in die zuhörende, bittende Mäuschenstellung begeben.
Nach meinem Bachelorstudium kam eine Phase des Ausprobierens. Mit meinen knapp 23 Jahren hatte ich das Gefühl, noch nicht so viel erlebt zu haben. So habe ich für ein Jahr Praktika gemacht – im Thalia Theater, bei der Zoom Medienfabrik in Berlin und bei dem Onlinespiele-Entwickler Innogames. Gerade der PR-Bereich ist ja sehr umkämpft, daher wollte ich sichergehen, dass es das Richtige für mich ist.
Bei meinem Praktikum in Berlin waren die Umstände ganz andere. Meine Vorgesetzte ist krank geworden und ich musste viel abfedern, war für Projekte verantwortlich. Beim Thalia Theater gab es dann wieder einen festgefügten Aufgabenbereich. Die brauchen Praktikanten, sonst bleiben bestimmte Tätigkeiten liegen. Beweisen konnte ich mich kaum.
Innogames war dann ein ganz neues Feld für mich. Ich musste mich ausgiebig einarbeiten, aber habe mich durchgebissen. Ich fühlte mich sehr ernst genommen, habe nach Ablauf meines Praktikums ein Volontariat angeboten bekommen. Ich habe lange darüber nachgedacht. Ich habe mich dann aber doch dazu entschlossen, weiter zu studieren, aber das Jahr hat mir gezeigt, in welchem Bereich ich später ankommen möchte: in der strategischen und digitalen Kommunikation.
Mittlerweile habe ich mein Masterstudium fast abgeschlossen und ein weiteres sechsmonatiges Praktikum in der Kommunikationsagentur Fischer Appelt absolviert. Ich wollte nochmal für eine richtig große Agentur arbeiten. Jetzt schreibe ich mit deren Unterstützung meine Abschlussarbeit über die strategische Konzeption.
Zu Beginn meiner Praktikantinnen-Laufbahn musste ich auch klassische Assistenzaufgaben erfüllen, bei denen ich mich gefragt habe: „Was soll das? Ich habe doch studiert!“ Das hat aber selten überhandgenommen und war meistens aus dem täglichen Stress begründet.
Mit zunehmender Praxis habe ich gelernt, meine Vorgesetzten auch mal zu hinterfragen. Und als Praktikant ist jeder dein Vorgesetzter. Ich habe ein Gespür dafür entwickelt, wie ich mich verhalte: frech ja, aber nicht unhöflich; höflich ja, aber nicht unterwürfig. Um in Erinnerung zu bleiben, braucht es eine persönliche Ebene aber auch Einsatz. Ich sehe mich als Teil des Teams. Ich stehe für ein Projekt ein, übernehme Verantwortung. Wenn das bedeutet, dass ich eine Überstunde mache, dann ist das so.
Wenn ein Projekt erfolgreich war, bekomme ich zwar intern Lob, aber der Kunde wird von meinem Anteil an der Arbeit nichts erfahren. Egal wie viele Menschen mitgearbeitet haben, steht am Ende auf der Präsentation meistens der Name des Seniors. Man kann sicherlich sagen „Ich hab das auch gemacht, nimm mich wahr!“, aber dafür trägt der Senior die alleinige Verantwortung, wenn die Präsentation mal nicht ganz so gut beim Kunden ankommt. In so einer Position sehe ich mich im Moment noch nicht. Aber man kann in alles hineinwachsen. In meinem ersten Praktikum war ich eher das Mäuschen. Ich bin immer in meiner Comfort Zone geblieben. Mit jeder Praxiserfahrung habe ich mehr über meine Grenzen erfahren und gelernt, wie weit ich darüber hinausgehen kann.
Für mich war Fischer Appelt etwas unheimlich Großes. Mich dort zu bewerben, war ein Sprung über meine Grenze. Am Ende des Tages war es ein richtig gutes Unternehmen, aber auch ein Unternehmen. In einigen Bereichen kannte ich mich etwa so gut aus wie ein Kollege und konnte ihm auf Augenhöhe begegnen. Das ist der Moment, an dem man aufhören muss, Praktikant zu sein. Ich fühle mich der Rolle entwachsen. Ein Praktikant soll Einblicke erhalten, Erfahrungen sammeln. Ich habe verdammt viele Erfahrungen gesammelt. Jetzt ist auch mal gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen