Internationaler Frauentag 2012: „Du bist ein Sexsubjekt“

Alles ist erlaubt, sogar Vergewaltigungsfantasien. Eine Exkursion in die Grauzone zwischen Masochismus und Unterwerfung mit der Sexpertin Laura Méritt.

Stachlig ficken kann auch gut sein. Hauptsache selbstbestimmt Bild: zettberlin/ photocase

taz: Frau Méritt, wenn Sie an „Unterwerfung“ denken, was fällt Ihnen zuerst ein?

Laura Méritt: Als Erstes denke ich an Masochismus. Lust an der Unterwerfung. Im Internet zum Beispiel stößt man zuerst auf Foren, in denen „die Kunst der Unterwerfung“ geübt wird. Da geht es um Verhandlungen, Absprachen, konsensuellen Sex. Und erst sehr spät stößt man im Netz auf Unterwerfung als Beschreibung für ein Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen. Das wäre früher ganz anders gewesen.

Bildet diese Reihenfolge die heutige Realität ab?

An der Oberfläche schon. Das Unterwerfungsverhältnis ist kanalisiert, in einen Verhandlungsrahmen eingebettet und heißt SM. Da haben die SMis gute Aufklärung betrieben. Aber das lenkt auch von realen Unterwerfungsverhältnissen ab. Das ist bei allen Sexthemen so, dass die gesellschaftliche Dimension fehlt, im Porno zum Beispiel auch, oder beim Thema Penetration.

Alles ist erlaubt.

51, ist Linguistin, Sexberaterin und Lachforscherin. Sie steht für einen sexpositiven Feminismus und ist Repräsentantin der PorYes-Bewegung. In ihrem Freitagssalon bietet sie ökerotische Sexclusivitäten und Beratungen.

Ja. In der Cosmopolitan war gerade ein Text über Vergewaltigungsfantasien. Ein Sexualwissenschaftler stellt dort fest: Ja, du darfst diese Fantasien haben. Woher sie aber stammen: Nichts.

Wie sprechen Sie über Masochismus in Ihrem Salon?

SM ist schon öfter Thema: Wie läuft das, was darf man, was darf man nicht? Viele Frauen interessieren sich dafür.

Welche Szenerie stellen sich die Frauen vor?

Sie genießen, anfangs die Kontrolle abzugeben – und dass andere ihnen sagen, was sie zu tun haben. Ans Bett fesseln. Augen zubinden, vielleicht auch noch den Mund. Und viele haben Vergewaltigungsfantasien und wollen die ausleben. Später wollen sie auch mal die Rolle wechseln. Sie lernen, ihre Wünsche klar zu formulieren und die Grenzen auszuhandeln.

Sehen Sie eine Parallele zum realen Leben?

Frauen und Männer sind in ihren Rollen stark konditioniert. Männliche Gewalt wird überall präsentiert: in der Kunst, im Film, im Militär. Natürlich fahren die Frauen dann auch drauf ab. Sie sollen das ruhig ausleben, aber schon wissen, wo es herkommt. Dann kann frau die Rollen auch mal erweitern.

Sprechen Sie über Unterwerfung in realen Beziehungen?

Da sind es eher die Heterofrauen. die ihre sexuelle Beziehung als ungleich empfinden. Sie leiden etwa darunter, wenn ihr Freund eine offene Beziehung möchte, vor allem wenn eine zweite Gespielin auftaucht. Damit entspricht er auch der Männerrolle: viele Frauen, viel sexuelles Kapital. Weil sie ihn nicht verlieren wollen, kommen sie seinen sexuellen Wünschen entgegen. Aber Männer ticken auch aus, wenn Frauen eine Öffnung wollen.

Plädieren Sie dafür, dass Frauen sich der Polygamie öffnen sollten, oder sollen sie lieber den Mann verlassen, der eine offene Beziehung wünscht?

Ich plädiere nicht. Ich sehe nur, dass Frauen im Moment darunter leiden, wenn der Typ sagt, er will eine offene Beziehung. Dann sind sie schon unter Zugzwang, das geht oft nicht gut. Ich wünsche ihnen die Kraft, dann wegzugehen. Und dann wünsche ich ihnen die Kraft, mal ein anderes Beziehungsmodell auszuprobieren, das eher ein Netz ist als eine Zweierbeziehung. Dass sie in einer Gruppe experimentieren können. Die Beziehungsfrauen sitzen dann eher irritiert da, wenn die anderen sagen, aber es gibt doch noch ganz andere Formen, Polyamorie zum Beispiel, oder gute Sexpartys.

Haben Frauen, die gerade ihre Beziehung verlieren, Lust, über Sexpartys zu sprechen?

Warum denn nicht?

Weil sie vielleicht trauern oder den Wunsch haben, sich gleich wieder zu verlieben.

Diesen Wunsch haben sie, weil ihnen eingeredet wird, ohne Beziehung nichts wert zu sein. Alle Spielfilme sind voll davon.

Und ihre Gefühle verlangen es.

Gefühle können sich ändern, sagt die Erfahrung. Ich will nichts vorschreiben. Es ist sehr schwer, einen Weg für sich zu finden. Ich will aber zeigen, was auch noch alles möglich ist.

Ist die heterosexuelle Zweierbeziehung für Sie ein Auslaufmodell?

Sie wird sicher ein wichtiges Modell bleiben. Aber sie darf nicht das einzige sein. Wenn man die Intimität von der ökonomischen, sozialen und emotionalen Sicherheit entkoppelt, lässt es sich freier leben.

Frauen sind auf dem Partnermarkt rein biologisch im Nachteil, wenn sie Kinder wollen, weil sich ab 40 ihr Zeitfenster schließt. Begegnet Ihnen das Thema?

Ich erlebe, dass Frauen klar planen, wenn sie ein Kind haben wollen, und sich ein Netz bauen, eine Wahlfamilie, mit der sie abgesichert, aber nicht abhängig sind. Das machen Lesben und Schwule, aber auch Heteras und zunehmend Paare, die ihre Beziehung nicht überlasten wollen.

Und im Mainstream? Merkt man da, dass die Frauen sich mehr gefallen lassen, weil es dieses Ungleichgewicht gibt?

Das ist eher bei jüngeren Frauen der Fall: „Der will das sowieso nur so, und dann mache ich halt mit.“ Aber die meisten, mit denen ich zu tun habe, sind sehr gut informiert und auch sehr kritisch.

Wie finden Sie, dass junge Mädchen sich im Netz gern sexualisiert präsentieren? Mit Schmollmund und Push-up von unten in die Kamera äugen?

Diesen extremen weiblichen Exhibitionismus mit Highheels et cetera hatte ich als junges Ding auch, nur ohne Facebook. Leb es aus und mach es dir klar, ist meine Devise. Schau dir mal Peaches oder Amanda Palmer an, die gegen Schönheitsnormen und starre Geschlechterrollen kämpfen. Das ist sexy. Und mach dir klar, was nicht sexy ist: Sich dauernd reinquatschen lassen, Hausarbeit, emotional ungebildete Partner … würde ich dann sagen, das sind auch sexy Frauen.

Wenn so ein Mädchen sich hinstellt und sagt: Ich bin stolz, ein Sexobjekt zu sein …

… dann sage ich: Du bist aber auch ein Subjekt. Und das macht auf jeden Fall mehr Spaß.

Was wollen Mädchen bei Ihnen?

Reden. Sich umschauen. Zum Beispiel fragen junge Frauen manchmal, wie sie damit umgehen sollen, dass ihr Freund Pornos guckt und sich wünscht, die Szenen nachzuspielen. Mein Part ist zu sagen, es gibt Alternativen. Anderes Spielzeug, andere Pornos, andere Verhütungsmethoden. Es kommen übrigens auch Jungen, die nach anderen Pornos fragen. Es sind zunehmend alle Geschlechter, die sich eine andere Bilderwelt wünschen und einen anderen Umgang mit Sex.

Was für andere Pornos sind das?

In PorYes-Filmen sind die Personen im Kontakt miteinander, sie vermitteln durch Augen, Körper und Sprache Einverständnis, gehen respektvoll miteinander um. Er ist konsensuell. Anfangs wirkt das auf einige Leute „unsexy“, weil es eine andere Bildsprache ist. Aber dann verändern sich die Sehgewohnheiten.

Der Mainstreamporno ist nicht konsensuell?

Der einzige Konsens ist da, dass beide Darsteller Geld bekommen. Ansonsten wird die Unterwerfung der Frau inszeniert. Es geht um seine Ejakulation, er bekommt einen geblasen. Und die Frau muss dafür ackern. Oft wird sie nicht mal geleckt. Und bekommt am Ende alles ins Gesicht gespritzt. Warum vögelt sie ihn nicht mal in den Arsch? Blasen, ficken, spritzen. Das ist der Mainstreamporno.

Den auch Frauen mögen.

Ja klar, darauf sind wir doch konditioniert. Aber die Mehrheit der Frauen lehnt Pornos rundheraus ab. Viele wissen gar nicht, dass es frauenfreundliche Pornos gibt. Wir wollen mit der PorYes-Kampagne eine weibliche Sexgeschichte schreiben, andere Bilder anbieten. Die meisten kennen nur den Mainstreamscheiß.

Und wie haben Sie persönlich umgedacht?

Ich kenne die Konditionierungen und entscheide mich bewusst dafür oder dagegen. Masochistin sein ist fein, wenn Sie eine Entscheidung dafür treffen können und nicht Ihren Konditionierungen ausgeliefert sind.

Ältere Frauen haben, soziologisch betrachtet, noch weniger Chancen auf dem Sexmarkt. Wie gehen Sie damit um?

Es sind hauptsächlich Heterofrauen, denen im Alter Sex, Lust und begehrenswerte Körper abgesprochen werden. Lesben haben sich da einen größeren Freiraum erkämpft. Aber auch im Alter wollen Frauen Sex leben, Neues ausprobieren, darüber reden. Mit und ohne Partner.

Was raten Sie?

Sie können etwa eine Anzeige schalten. Und wenn man sich das mal traut, dann bekommt man Zuschriften, auch wenn man 60 oder 70 Jahre alt ist. Und aus den Zuschriften kann man sich den Nettesten raussuchen. Generell denken die meisten Frauen, dass sie Sexobjekt sind. Sie sind aber Sexsubjekt. Sie können bestimmen. Ich bin zutiefst davon überzeugt: Wenn du als Subjekt auftrittst, dann kannst du wählen.

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Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

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