Interkulturelles Zentrum: Begegnung mit dem toten Vogel
Das Moabiter Dodohaus ist nicht nur eine Stätte der interkulturellen Begegnungen - sondern ein Haus voller Bilder und Skulpturen des Dodo-Vogels, der nicht fliegen konnte und vor 400 Jahren ausgestorben ist.
Ein ganz normaler Abend im Dodohaus: Die Band Ticongo gibt gut gelaunten Afro-Reggae für etwa vierzig Besucher. Schnell wird der Perserteppich zur Tanzfläche eines buntes Völkchens. Ein 60-Jähriger im dunklen Pullunder wiegt dezent die Hüften, während sich eine blonde Frau jüngeren Datums mit Kleid und Hut einem erhitzten Ausdruckstanz hingibt. Aus gemütlichen Sofaecken beobachten ein paar Teenager das Geschehen und nippen am Flaschenbier.
Seit dem Jahr 2003 ist das dem ausgestorbenen Dodo-Vogel gewidmete Haus in Moabit ein sozialer und kultureller Treff und eine Sammelstelle für Dodo-Kunst, die hier allgegenwärtig ist. Damals rief Rainer Dombrowsky hier mit ein paar Gleichgesinnten in einer Bierlaune den Internationalen Dodoverein ins Leben. Zu Ehren eines Vogels, der nicht fliegen konnte und der schon vor über vierhundert Jahren ausgestorben ist.
Für die ungewöhnliche Leidenschaft gibt es einen guten Grund: "Mein Vater arbeitete als Bauunternehmer im Ausland. Von 1961 bis 1972 hat unsere Familie auf Mauritius gelebt", erzählt Dombrowsky, der 1952 in Namibia geboren wurde. Die Insel im Indischen Ozean war zugleich der Lebensraum des Dodos, der Dombrowksy seit seiner Jugend begleitet.
Bob und Patrick sind die Bandleader von Ticongo. Sie stammen aus Mosambique, sind zwei von vielen Afrikanern, die regelmäßig ins Dodohaus kommen. "Hier lernt man viele andere Musiker kennen", erzählt der 40-Jährige Bob. "Im Dodohaus proben wir mit unserer Band und machen Sessions mit Leuten, die wir hier treffen." Für beide ist das Haus eine zweite Heimat geworden.
Vor ihrem Konzert hat David Held eine informative Power-Präsentation mit Hörbeispielen zur Geschichte jamaikanischer Musik gezeigt. Seit vier Monaten hilft der 28-Jährige als Ein-Euro-Jobber im Dodohaus bei Veranstaltungen mit, die Präsentation zählt zu seinen selbst gewählten Aufgaben. Er freut sich, dass er mit seinen Ideen zum kulturellen Leben im Huttenkiez beitragen kann.
"In Kooperation mit Bildungsträgern wie Forum oder Schildkröte bieten wir Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung an", erklärt Dombrowsky. Seit Gründung des Dodohauses arbeiteten hier 160 der 1-Euro-Jobber. Ob Web-Präsenz, Buchführung oder Dodo-Kunst: Mitarbeit ist gefragt. Das gilt auch für Praktika oder das Projekt "Sitzen statt Schwitzen", einer Zusammenarbeit mit den Sozialen Diensten der Berliner Justiz. Dabei haben verurteilte Schuldner hier ihre Sozialstunden abgeleistet.
Für streitende Nachbarn gibt es eine von Kiez-Bewohnern organisierte Konflikthilfe. "Auf Mauritius habe ich ein weitgehend friedliches Miteinander der Kulturen erlebt. Diese Idee habe ich ins Dodohaus transportiert", sagt Dombrowsky. "Wer andere Kulturen kennen lernen möchte, hat bei uns die Gelegenheit dazu."
Die sozialen und kulturellen Aktivitäten des Vereins sind zum Großteil selbst finanziert. Vom Quartiersmanagement gab es eine dreijährige Starthilfe in Höhe von 15.000 Euro, die vor allem für Sachmittel verwandt wurde. Als interkultureller und sozialer Treffpunkt hat sich das Dodohaus in Moabit längst etabliert. Das Veranstaltungsprogramm reicht vom japanischen Theaterabend über ein mexikanisches Totenfest bis zur Derwisch-Vorführung.
Wer zum ersten Mal vorbeischaut, staunt über die beachtliche Sammlung von Dodo-Kunst. Die Räume sind bestückt mit über 5.000 Sammlerstücken. An den Wänden finden sich etwa hundert Bildern und Zeichnungen mit Dodo-Motiven. Dazu kommen Skulpturen aus Draht, Glas oder Pappmaché und Alltägliches wie Bierdeckel, Streichholzschachteln oder Dodo-Bücher. Ein Wandschrank ist gespickt mit Gedichten und Geschichten rund um den Vogel. Kurioser Höhepunkt ist der bunte 2,20-Meter-Dodoschrein "Maurizio" gleich neben dem Eingang, den die Berliner Künstlerin Anne Oemig im Sommer 2008 schuf.
"Mittlerweile haben wir die zweitgrößte Sammlung von Dodokunst überhaupt. Es gibt nur einen Sammler in England, der mehr Objekte besitzt", sagt Dombrowsky, laut Selbstauskunft einer von acht Dodologen weltweit. Und die Sammlung wächst weiter: "Wir bekommen viele Unikate von befreundeten Künstlern geschenkt", erzählt Dombrowsky. "Außerdem ersteigern wir Dodo-Kunst bei Ebay. Vor allem in den USA und in England ist der Dodo ein Begriff, da gibt es eine große Auswahl."
Die Dodo-Sammlung ist gratis und frei zugänglich, wenn das Haus geöffnet ist. Am 17. März gibt es ab 18 Uhr eine Führung von Rainer Dombrowsky.
In Berlin finden sich an exponierten Standorten weitere Spuren des gefiederten Exoten: Ein präpariertes Exemplar steht im Naturkunde-Museum, während in der Gemäldegalerie zwei Werke des flämischen Malers Roelant Savery (1576-1639) ausgestellt sind, die auch Dodos zeigen: "Das Paradies" sowie "Orpheus und die Tiere". Dombrowsky: "Vor der Wende war eines der Gemälde in Ost- und eines in Westberlin zu sehen." Er träumt nun von einem eigenen Dodo-Museum. Dafür bräuchte er vor allem eins: mehr Platz für seinen Vogel.
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