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Integrationspolitik in FrankreichDie Misere der Roma

Eigentlich wollte Saint-Denis in der Nähe von Paris ein Beispiel für aktive Integration der Roma geben. Aber der Zentralstaat hat etwas dagegen und antwortet mit Razzien.

Saint Denis würde gerne mehr für die Roma-Familien tun - die Regierung in Paris will sie aber loswerden. Bild: AP

SAINT-DENIS taz | Vor einem Jahr hatten sich mehrere Roma-Familien auf einem brachliegenden Baugelände an der Passage Dupont in Saint-Denis nördlich von Paris niedergelassen. Sie waren zuvor aus einer anderen behelfsmäßigen Unterkunft in einem Vorort der französischen Hauptstadt gewaltsam vertrieben worden.

Das war eine der ersten konkreten Konsequenzen einer Rede von Staatspräsident Nicolas Sarkozy gewesen, der in Grenoble den Bürgern eine verschärfte Sicherheitspolitik versprach. Keinerlei Nachsicht sollte es künftig für die aus Rumänien und Bulgarien eingereisten Roma-Familien geben, die sich in Lagern und auf besetzten Grundstücken am Stadtrand niedergelassen hatten, ohne irgendwen um Erlaubnis zu fragen. Die oft an Slums erinnernden Camps sollten dem Erdboden gleichgemacht und ihre Bewohner, die Sarkozy trotz ihrer Herkunft aus EU-Staaten mit illegalen Einwanderern gleichstellte, abgeschoben werden.

Vor einem Jahr waren die Roma-Familien in dieser Querstraße unweit des Sportpalasts "Stade de France" froh, eine neue Bleibe gefunden zu haben. Die kommunalen Behörden der links regierten Stadt Saint-Denis versprachen einen Wasseranschluss und danach sogar Elektrizität. Die Kinder wurden in der Schule angemeldet. Saint-Denis wollte ein Beispiel dafür liefern, dass anstelle von Repression aktive Integration funktionieren kann. Aus dem Camp mit Möbelstücken unter freiem Himmel ist eine kleine Siedlung geworden mit Holzhütten, die mit Grünpflanzen geschmückt sind, auf den Dächern finden sich Satellitenschüsseln für den Empfang von Fernsehsendern aus östlichen Heimatländern.

"Traurige Wahrheit"

Kürlich erklärte zum 67. Jahrestag der Ermordung von Tausenden von Roma im KZ Auschwitz-Birkenau am 2. August der Europarat-Generalsekretär Thorbjörn Jagland: "Ein Gedenktag liefert uns den Anlass, darüber nachzudenken, wie wir unserer feierlichen Verpflichtung nachkommen, darüber zu wachen, dass die Menschheit das ,nie wieder' erlebt. Es ist aber eine traurige Wahrheit, dass die Roma in Europa weiterhin unter einer massiven Ablehnung, unter Diskriminierung und sogar rassistisch motivierter Gewalt leiden." Wie andere europäische Länder hat auch Frankreich bis 2014, gestützt auf die Übergangsbestimmungen beim EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien, den Zugang der Bürger aus diesen Staaten zum Arbeitsmarkt eingeschränkt. In Folge der Kritik an Frankreich hat die EU ihrerseits im letzten Sommer eine "task force" zur besseren Integration der zehn bis zwölf Millionen Roma in Europa gebildet und dieser aus dem Fonds für benachteiligte Minoritäten für erste Maßnahmen bis 2013 172 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. (rb)

Doch vom Optimismus des Sommers 2010 ist heute vor Ort nichts mehr zu spüren. Feindlich dreinschauende Erwachsene befehlen den Kindern, nicht mit den neugierigen Fremden zu reden, selber wollen sie auch der ausländischen Presse keine Auskunft geben. Dem Journalisten wird nahegelegt, sich aus dem Staub zu machen, wenn ihm an seinem Fotoapparat liege.

Der Grund für diesen Stimmungsumschwung ist verständlich: 59 Mitglieder der Familien haben eine behördliche Aufforderung erhalten, das französische Territorium zu verlassen. Zur Einschüchterung oder zur Vorbereitung von Abschiebungen hat die Polizei Ende April bereits bei einer regelrechten Razzia die Straßen abgesperrt, um die Identität von rund 250 Bewohnern der Bretterbuden zu registrieren. Die Zuständigen von Saint-Denis haben dagegen protestiert. Ihnen ist das repressive Vorgehen des Zentralstaats peinlich. Zwar wollen auch sie, dass die Roma die Passage Dupont verlassen, denn im September sollen hier die seit Langem geplante Überbauung beginnen.

Drei Alternativen

Den betroffenen Familien haben sie angeblich drei Alternativen als Ausweg vorgeschlagen. Die Stadtbehörden wollten die Roma weiter unterstützen und ihnen "stabilere Wohnplätze mit besseren hygienischen Bedingungen" anbieten, versicherte der parteilose Vizebürgermeister Denis Bally-Bagayoko. Er ist auch mit Beschwerden von Anwohnern des Wohnviertels Cristino Garcia konfrontiert, die sich wie Pascal auf seinem Blog über die jugendlichen Roma aus der Passage Dupont auslassen, die ihm angeblich seinen Autoradio gestohlen und Sachbeschädigungen an anderen Fahrzeugen verübt hätten. Die Spannungen mit einigen Nachbarn sind reell, die Vorurteile über die "Zigeuner" auch.

Wahrscheinlich dachte sich Präsident Sarkozy vor einem Jahr, dass sein Angriff auf diese in Frankreich wenig geschätzten Nomaden ihm einen Popularitätsgewinn ohne Aufwand einbringen würde. Das Vorgehen stieß in Frankreich und in der Europäischen Union auf Kritik, vor allem als in einem Rundschreiben die lokalen Polizeibehörden in offen diskriminierender Weise zum energischen Vorgehen gegen die meist aus Rumänien oder Bulgarien eingereisten Roma angehalten wurden. Nachdem Paris von der zuständigen EU-Kommissarin Viviane Reding deswegen in ungewöhnlich scharfer Weise zur Respektierung der europäischen Direktiven und der Freizügigkeitsregeln innerhalb der Union gemahnt worden war, passte Frankreich zumindest der Form halber diese Weisungen und deren Umsetzung an. Am Willen, die am Rande der städtischen Agglomerationen wie in "Bidonvilles" lebenden Roma auszuweisen, änderte sich damit aber nichts.

Laut Innenministerium wurden seit einem Jahr rund drei Viertel der 741 bekannten Lagerstätten geräumt, 2010 wurden 9529 Roma ausgewiesen oder mit einer Heimreise-Prämie zu einer freiwilligen Rückkehr bewogen, im ersten Halbjahr 2011 im selben Rhythmus bereits 4714 Personen, die offiziell als Staatsbürger von Rumänien, Bulgarien, Ungarn und der Slowakei aufgeführt sind. Sie machen ein Drittel der insgesamt ausgewiesenen Ausländer aus. Paradoxerweise hat sich dennoch an der de facto konstanten Zahl von 15.000 in Frankreich lebenden ausländischen Roma überhaupt nichts geändert.

Die Erklärung für dieses scheinbare Rätsel liefert Marie-Lisa Fantacci von der Vereinigung Romeurope: "Die Familien, die eine Aufforderung erhalten, das französische Territorium zu verlassen, und dafür finanzielle Unterstützung akzeptieren, kommen regelmäßig zwei oder drei Wochen später zurück." Das wissen auch die französischen Behörden. Um zu vermeiden, dass dieser Anreiz zur offiziell als "humanitäre Heimkehr" bezeichneten Rückschaffung (von Europäern und Nichteuropäern), der 300 Euro pro Erwachsener und 100 Euro für ein Kind beträgt, mehrfach bezogen wird, ist im letzten Herbst ein biometrisches Kontrollsystem eingeführt worden.

Neunmal ausgewiesen

Auch die Verantwortliche für die Roma-Aktion beim Hilfswerk Médecins du Monde (MdM), Livia Otal, weiß von Familien, die bis zu neunmal aus Frankreich ausgewiesen wurden. Jeweils gleich wieder zurückgekommen seien sie aber nicht wegen der im Prinzip einmaligen Prämie, sondern weil sie in Frankreich ein besseres Auskommen zu finden glauben. Die Mitarbeiter dieser auf medizinische Unterstützung für Obdachlose spezialisierten Organisation ziehen eine eher bittere Bilanz der vor einem Jahr gestarteten Roma-Politik Frankreichs.

"In der Pariser Region ist der Rhythmus der Räumungen unverändert, die Lager sind weniger dauerhaft. Die Lage war zuvor schon dramatisch, hinzugekommen sind nun intensivere Polizeikontrollen, häufigere ungerechtfertigte Festnahmen und eine verschärfte Drangsalierung", beklagt sich Otal im MdM-Bericht. Insgesamt seien die ohnehin schon schwierigen Lebensbedingungen noch prekärer geworden.

Vor allem weisen die Ärzte von MdM auf die Folgen der gesellschaftlichen Marginalisierung auf Hygiene und Gesundheit hin: Die Sterblichkeit von Neugeborenen ist bei den Roma neunmal höher als bei anderen Familien in Frankreich, und bei Kindern vor Vollendung des ersten Lebensjahrs fünfmal höher. Alarmierend sei laut Erhebungen in der Hauptstadtregion der zu geringe Anteil der gegen Tuberkulose (nur 42 Prozent) und gegen Masern, Röteln und Mumps (55 Prozent) geimpften Roma.

Bei der Veröffentlichung dieser Zahlen wies der MdM-Präsident Dr. Olivier Bernard darauf hin, die Ausweisungsdrohung und die Vertreibungen verhinderten häufig eine kontinuierliche medizinische Betreuung, was die Prävention erschwere. "Die Ausweisungsaktionen sind häufiger und härter. Sie erschweren den Zugang zur medizinischen Pflege, Impfungen, die Betreuung der Schwangerschaften sowie die Einschulung der Kinder", beschwerte sich Dr. Bernard, der als Beispiel auf 450 Roma hinweist, die Mitte Mai aus dem Pariser Vorort Pantin vertrieben wurden, und dies just einen Tag vor einer von der Gesundheitsdirektion des Departements seit Langem programmierten Impfaktion. Nach Ansicht von MdM seien die Roma so etwas wie die "offiziellen Sündenböcke" der französischen Sicherheitspolitik geworden.

Verschärftes Strafrecht

Parallel zu den polizeilichen Räumungsaktionen und Ausweisungen hat Frankreich auch ganz spezifisch sein Strafrecht und die Immigrationsgesetzgebung verschärft. "Aggressives Betteln" ist nun ein Delikt, auch ein Missbrauch der Möglichkeit zu Kurzaufenthalten durch EU-Bürger. Vom Verfassungsgericht abgelehnt wurde hingegen das Recht der Polizei, auch ohne Information der Eigentümer die Räumung eines besetzten Grundstücks vorzunehmen. Die Polizei der Region Paris registrierte in den ersten sechs Monaten im Vergleich zum Vorjahr 2010 eine Zunahme der Delikte von "rumänischen Staatsbürgern" um 72,4 Prozent.

Laut der Europaparlamentarierin Hélène Flautre (Europe-Ecologie-Les Verts) bleibe Frankreich bei der EU wegen dieser mehr von Repression als von Integration dominierten Roma-Politik "unter Beobachtung". Beim Komitee des Europarats für soziale Rechte, das in der Vergangenheit Frankreich wegen der Roma verurteilt hatte, liegen laut einer Pressemitteilung vom 1. August erneut drei Beschwerden vor.

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5 Kommentare

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  • DJ
    Dirk Jäckel

    Zitat: "Sarkozy trotz ihrer Herkunft aus EU-Staaten mit illegalen Einwanderern gleichstellte"

     

    Was der Autor hier verschweigt, ist, dass es eben innerhalb der EU k e i n bedingungsloses Niederlassungsrecht gibt, von daher war die auf Dauer geplante Einreise objektiv natürlich nicht legal.

  • KB
    karin bryant

    Die Rotations Europaer muessen ganz sicherlich ihre Lebensweise ueberdenken und sich anpassen wenn sie sich irgendwo niederlassen wollen.EInfach den Wohnwagen aufstellen und alles vollmuellen,betteln usw., wird sie nicht beliebter machen sondern nur dazu fuehren dass sie ueberall vertrieben werden.

  • H
    heinzl

    Das Problem ist, dass eigentlich keine Nation richtig scharf darauf ist größere Roma-Verbände aufzunehmen. Da spielen sicherlich Vorurteile eine große Rolle, allerdings ist auch das Verhalten einiger Roma-Sippen nicht unbedingt der Integration oder wenigstens der Aktzeptanz förderlich.

    Das was ich bisher von den Roma in unserem Ort gesehen habe, gefällt mir gar nicht. Ich würde mich wohl auch dagegen wehren, wenn man noch mehr Roman-Familien in meiner Nachbarschaft ansiedeln wollte.

    Ich bin vielleicht nicht ein Vorzeigeliberaler, aber ich komme mit fast allen Menschen unabhängig von ihrer Nationalität aus. Was mich an den Roma stört, dass sie alle Benefits des Staates und der Gemeinschaft kassieren wollen, aber gleichzeitig überhaupt nichts beitragen wollen.

  • A
    abgemeldet

    ein soziales, ein politisches problem, keins der "ethnie". die roma aus den ehemaligen ostblockstaaten werden sogar von deutschen sinti mehr oder weniger verabscheut - das gesicht der armut ist ein hässliches, der umgang mit ihr und den sie treffenden ist allerdings um ein vielfaches hässlicher.

  • M
    Mika

    Kann mich dem Bulgaren nur anschliessen. Komme zwar nicht aus Bulgarien, aber auch vom Balkan. Warum sind Roma denn nirgends beliebt? Liegt es vielleicht daran das man sich unter keinen Umständen integrieren will? War selbst mit einem Roma-Jungen in der Schule. Er hatte hier alle Möglichkeiten. Er bzw. seine Familie wollten keinerlei Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft. Das kann nicht gut gehen.