Integration: Kopftuch: Kein Thema
Alle reden drüber, manche tun es einfach. Seit zweieinhalb Jahren treffen sich Muslimas und Feministinnen in der Moschee oder bei Belladonna und hören einander zu
"Bei uns", "bei euch": Diese Worte fallen erst spät am Abend. Eine Stunde haben die Frauen miteinander gesprochen, ohne sich gegenseitig daran zu erinnern, dass sich hier zwei Gruppen gegenüberstehen: "Musliminnen" und "Nicht-Musliminnen", wie man es umständlich ausdrücken muss, weil dies kein interreligiöser Austausch ist zwischen Christen und Muslimen - wie die meisten Dialog-Projekte.
Dieses hier ist anders, weil es diejenigen an einen Tisch bringt, die vermeintlich am weitesten voneinander weg sind: Auf der einen Seite gläubige Muslimas, vorwiegend türkischer Herkunft, die sich vor allem über ihre Familien definieren. Auf der anderen: "Deutsche" Feministinnen, die zuerst ihren Beruf angeben und dann die Zahl ihrer Kinder - so sie welche haben.
Seit zweieinhalb Jahren treffen sie sich in unregelmäßigen Abständen, abwechselnd im Frauenkulturzentrum Belladonna und in der Mevlana-Moschee in Gröpelingen. Und reden. Über Gesundheit, Essen, Gewalt von Jugendlichen, Heimat, Werte, Erziehung. Am vergangenen Donnerstag ging es um Töchter. Tochter sein, Töchter haben. Wie sich die Erfahrungen ähneln: Fast alle hatten eine Mutter, die ihnen als Teenagern im Nacken saß, sie dürften bloß nicht schwanger werden. "Ich bin auf dem Land aufgewachsen", sagt eine 49-Jährige, "da hieß es auch ,was sollen denn die Nachbarn sagen'". Andere nicken. Die Mütter in der Runde sagen, dass jetzt auch sie die Angst kennen, das eigene Kind würde schwanger. Doch genau an dieser Stelle gibt es den kleinen oder großen Unterschied. "Bei uns", sagt eine 38-Jährige, "bei uns ist es immer noch so, dass wir als Jungfrau in die Ehe gehen müssen". Sie selbst hätte deswegen nicht mit auf Klassenreise fahren dürfen, auch weggehen und einen Freund haben "wie die deutschen Mädchen" sei nicht in Frage gekommen. Dass dies immer noch gilt, bestätigt eine Frau, deren Töchter gerade volljährig geworden sind. Auch sie möchte nicht, dass diese alleine ausgehen und schickt den Bruder mit. Aber die klare Grenze zwischen "uns" und "denen" verwischt wieder. Die Frau, die das Thema zur Sprache gebracht hat, erzählt, dass ihre fünf Jahre jüngere Schwester das durfte, was ihr verwehrt blieb. "Die hat immer gemacht, was sie wollte. Sie hat meine Eltern so lange genervt, bis die ja gesagt haben."
Das besondere an diesem Abend: Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden benannt und stehen gelassen. Es wird weder so getan, als gäbe es keine Konflikte, noch werden diese benutzt, um die Gräben zu vertiefen. Sie schätze an den Treffen, hat eine der beiden Initiatorinnen, Halime Cengiz, einmal der taz gesagt, dass sie dort nicht wie sonst "wie eine Dartscheibe mit Pfeilen beworfen wird": Kopftuch, Ehrenmord, Zwangsheirat, zackzackzack. Hier solle sich niemand in eine Verteidigungshaltung gedrängt fühlen, sagt Maren Bock, Geschäftsführerin von Belladonna, die den Abend gemeinsam mit Cengiz ins Leben gerufen hat. "Das bringt nichts", sagt Bock. Und: "Ich musste auch erst lernen, dass man Integration nicht nach einem Zehn-Punkte-Plan abhaken kann. Das braucht Zeit."
Und wie steht es jetzt mit dem Kopftuch? Ja, einige haben eins getragen. Aber geredet hat nicht der Stoff, sondern die, um deren Köpfe es geschlungen war.
Nächstes Treffen: 21. Januar 2010 in der Mevlana-Moschee in Gröpelingen zum Thema Lebensformen. Was ist mit Frauen, die nicht heiraten und Kinder bekommen? Wie geht die Gesellschaft mit Alleinerziehenden um? Am 25. März 2010 wird es um das Wahlrecht gehen. Anmeldung bei Belladonna: 70 35 34. Mehr Informationen: www.belladonna-bremen.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“