piwik no script img

Integration„Verlockend, das auszuklammern“

Homosexualität muss festes Thema in den Lehrplänen werden, fordert Jörg Steinert vom LSVD.

Kein Randthema: Zwei schwule Männer auf dem Christopher-Street-Day. Bild: dpa
Interview von Dmitrij Kapitelman

taz: Herr Steinert, welchen Stellenwert hat das Thema Homosexualität momentan in deutschen Integrationskursen?

Jörg Steinert: In den Kursen ist alles sehr stark am Grundgesetz orientiert. Und da die sexuelle Identität noch nicht im 3. Artikel verankert ist, bleibt die Thematisierung Interpretationsfrage. Homosexualität kann bei den Aspekten gesellschaftliche Vielfalt oder Grundrechte angesprochen werden – kann aber auch völlig unter den Tisch fallen.

Bleibt es also ein Randthema?

Das kommt auf die Institution und die Lehrenden an. Und genau das ist das Problem. Es kann nicht sein, dass am Ende alles auf Einzelentscheidungen ankommt. Homosexualität muss als eigenständiges Thema fest in die Lehrpläne der Integrationskurse.

Was erzählen denn die Lehrer, die Homosexualität behandeln? Welche Erfahrungen machen sie damit?

Jörg Steinert

ist Geschäftsführer des Lesben und Schwulenverbands Berlin-

Brandenburg e.V.

Viele Kursteilnehmer kommen aus Ländern, wo auf Homosexualität die Todesstrafe steht. Oder aus Ländern, wo niemals darüber gesprochen wird. Wir wollen zeigen, wie gesellschaftliche Vielfalt gelebt werden kann und was der rechtliche Rahmen ist. Das ist für die Lesben und Schwulen aus vielen Ländern wichtig, damit sie konkret sehen, wie sie sich hier entfalten können. Es ist auch eine wichtige Sensibilisierungsmaßnahme für die Heterosexuellen aus diesen Ländern.

Nun haben Sie ein Arbeitsblatt veröffentlicht, auf dem vier grundsätzliche Fragen zu den Rechten homosexueller Menschen in Deutschland behandelt werden.

Das Blatt ist für den Orientierungskurs „Grundrechte und Familie“. Es informiert über die Rechte homosexueller Menschen in Deutschland und beantwortet Fragen wie: Können zwei ausländische Frauen heiraten? Oder kann ein ausländischer Mann einen deutschen heiraten?

Wie sind in den Kursen die Reaktionen auf solche Fragen?

Ich habe mal an einem Kurs teilgenommen: Es gab eine Hälfte, die vehement dagegen war. Und ein anderer Teil hat gesagt: Nein, genau wegen dieser freien Diskussion wollen wir in Deutschland leben. Natürlich ist es für die Kursleiter verlockend, das Thema auszuklammern. Aber genau für diese Diskussionen müssen die Kurse Raum bieten.

Ihr Angebot ist unverbindlich, bislang will nur die Albert-Einstein-Volkshochschule in Schöneberg damit arbeiten.

Wir haben absichtlich nicht groß und zentral angefangen, beispielsweise über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Stattdessen haben wir mit der Einstein-Schule zusammengearbeitet und das Blatt entwickelt. Jetzt wollen wir nach und nach an weitere Akteure herantreten und zeigen, dass es eine Notwendigkeit gibt. Wenn das wahrgenommen wird, dann wird sich auch über föderale Grenzen hinweg Interesse einstellen.

Warum kommen Sie eigentlich jetzt erst mit dem Vorstoß?

Das Arbeitsblatt ist so angelegt, dass es auch für Sprachunterricht verwendet werden kann. Es richtet sich eher an die Menschen, die erst seit Kurzem in Deutschland sind. An Menschen, die kaum Sprachkentnisse haben und für die deutsche Kultur und das deutsche Recht Neuland sind. Für Einwanderer, die schon lange hier leben, gibt es ja schon Material. Auch für Jugendliche haben wir recht umfangreiche Literatur.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • MW
    Media Watch

    Und warum genau sollen nicht mal ausnahmsweise zwei Männer Hand in Hand gezeigt werden?

     

    Weshalb wollen Sie solche Gesten der Zuneigung und Liebe zwischen Männern aus der Öffentlichkeit verbannen?

     

    Auch ein Putin-Fan wie Schröder und sein Fischer?

  • N
    neumi

    @ Piet und Super! Zieht doch nach Russland,wenn Euch unsere Demokratie nicht zusagt!Als Schwuler habe ich in Berlin bisher leider nur negative Erfahrungen in Punkto Homophobie mit Menschen mit Migrationshintergrund gemacht.Das schlimme dabei ist,das man schnell in Muster verfällt!Eine sagt schwule Sau zu mir und ich reagiere mit scheiß Kannacke,obwohl ich Leute aus aller Welt zu meinem Freundes und Bekanntenkreis zähle!!

  • EV
    Eine_r von Millionen

    "Homosexualität muss festes Thema in den Lehrplänen werden"

     

    Mmh. Das muss dann aber ebenso für die "Integration" der breiten Masse der "Inländer" (bzw. solcher mit "inländischer" Herkunft) gelten, oder?

     

    Weshalb wird hier der tief in der bürgerlichen Gesellschaft verwurzelte (Hetero-) Sexismus und die ebenso tief verwurzelte Homophobie einmal mehr zum "Migranten"-Problem erklärt? Warum lässt sich der LSVD immer wieder vor diesen Karren spannen? Fragen über Fragen...

     

    Folgende Ergebnisse einer Studie in einer der größten Städte Deutschlands sollten ja auch Herrn Steiner eigentlich bekannt sein:

     

    "90 Prozent der Fachkräfte attestieren den Schulen, dass dort ein „unfreundliches soziales Klima” für homosexuelle Jugendliche herrscht. Bei den Befragten aus der Schulsozialarbeit, die noch näher dran sind, teilen sogar 97 Prozent die Meinung.

     

    Dass sich die jungen Leute bei Gleichaltrigen problemlos outen, halten die Fachleute daher für schwierig, wenn nicht unmöglich. Deshalb würde eine klare Mehrheit der Kräfte aus der Schulsozialarbeit ihnen auch nicht dazu raten.

     

    82 Prozent der Befragten geben an, dass an Orten wie Schulen oder Jugend-Freizeitstätten homophobe Ereignisse verbreitet sind.

     

    Und auch in den Familien, davon gehen 80 Prozent der Fachkräfte aus, wird die sexuelle Identität der jungen Leute nicht problemlos akzeptiert."

     

    (Abendzeitung München, 09.09.2011)

     

    Bis zum heutigen Tage kommt Homosexualität in den allermeisten Lehrplänen von Grund- und weiterführenden Schulen NICHT als Pflichtthema vor.

     

    Sexualität, Liebe, Partnerschaft etc. werden durchgehend mit Heterosexualität gleichgesetzt und Schwule und Lesben ebenso wie Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle - also alle, die nicht in die gesellschaftlich produzierte und brutal durchgesetzte zweigeschlechtliche Ordnung hineinpassen - systematisch ausgegrenzt.

     

    Solange sich an dieser ganz und gar "inländisch"-bürgerlich-christlichen Front nichts tut (mal ganz abgesehen von dem an dieser Front ebenso tief verwurzelten, strukturellen Rassismus, der Menschen mit Migrationshintergrund von Anfang an gleiche Lebensrechte verwehrt), sollte man mit dem Stichwort "Integration" etwas vorsichtiger umgehen.

     

    Insbesondere gehen diese Diskurse komplett an der gesellschaftlichen Realität vorbei und sollen wohl eher vom generellen Anbiederungsgehabe des LSVD gegenüber bürgerlicher Politik und dessen weitgehender Beschränkung auf "freiwillige" Projektchen in den oben genannten Punkten ablenken.

  • P
    Piet

    Um Himmels Willen!

     

    Russland, Du hast es besser...

  • S
    super

    "Homosexualität muss festes Thema in den Lehrplänen werden, fordert Jörg Steinert vom LSVD."

     

    In Russland gäbs das nicht.

  • A
    Andreas

    Gutes Interview, wichtiges Thema. ABER: Das üble Archiv-Foto ist (genau wie manches CSD-Bild) schon zum Erbrechen oft zur Bebilderung von Artikeln zum Thema Homosexualität verwendet worden - quer durch alle Print- und Onlinemedien. Kann die taz-Bildredaktion da nicht mal etwas kreativer sein und für Alternativen sorgen?