Integration von Migranten in Marokko: Auf Sand gebaut
Die EU, allen voran Spanien und Deutschland wollen Flüchtlinge und Migranten von Europa fernhalten. Das Kalkül geht nur zum Teil auf.
Marokko zeigte sich modern und weltoffen, als König Mohammed VI die nationale Migrationsstrategie verkündete: Die Migrationspolitik des nordafrikanischen Landes erfuhr vor allem durch Forderungen des Nationalen Menschenrechtsrat CNDH 2013 einen Paradigmenwechsel. Im Zuge dieser noch immer anhaltenden migrationspolitischen Bemühungen sollen Strukturen und Integrationsmaßnahmen zur Aufnahme von Migranten in der Praxis bereitgestellt werden. Die Regierung nannte es einen humanitären Akt, als König Mohammed VI per Dekret 2014 etwa 13.000 Migranten legalisieren ließ.
Die Legalisierungspapiere schützen Migranten und Geflüchtete aus West- und Zentralafrika allerdings nicht vor willkürlichen Festnahmen und Abschiebungen innerhalb des Landes von Norden nach Süden. Nach Auslaufen der einjährigen, sogenannten Regularisierungskampagne ist es aktuell nur wenigen möglich, einen legalen Aufenthalt zu erhalten. Es ist nicht nur wegen der weiterhin bestehenden Vorrangregelung für Marokkaner auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch wegen massiver rassistischer Vorurteile extrem schwer, eine Anstellung zu finden. In den wenigen legalen Arbeitsverhältnissen erschweren verschwindend geringe oder nicht ausgezahlte Löhnen die Existenzsicherung. Der fehlende Zugang zu Wohnraum, Bildung und medizinischer Versorgung stellt weiterhin eine große Hürde für Migranten dar.
Rassismus gegenüber Geflüchteten ist gesellschaftlich und institutionell etabliert und wird auf politischer Ebene nicht diskutiert. Bei der Betrachtung der Lebensbedingungen von Migranten in Marokko darf zudem nicht in Vergessenheit geraten, dass die marokkanische Bevölkerung ebenfalls unter einem maroden Bildungs- und Gesundheitssystem sowie hoher Arbeitslosigkeit leidet.
Neben diversen EU-Abkommen mit Marokko pflegt nicht nur Spanien, sondern auch Deutschland bilateral enge Beziehungen und bemüht sich seit 2013 auf der Ebene entwicklungspolitischer Zusammenarbeit im Bereich Migration vor Ort Fuß zu fassen. Bundesinnenminister Thomas de Mazière konzentrierte sich im Februar 2016 auf der europäisch-afrikanischen Konferenz über Migration in Rabat vor allem auf die erneute Festigung der Rückübernahmeabkommen zwischen beiden Ländern sowie den Rückgriff auf Marokkos national-staatliche biometrische Datenbank.
Thomas Oppermann (Fraktionsvorsitzender, SPD) rückte im Oktober 2016 in Rabat die Zufriedenheit über Integrationsbestrebungen und das Engagement hinsichtlich der nationalen Migrationsstrategie ins Zentrum. In diesem Sinne wird durch die Bundesregierung in Integrationsprogramme investiert. Die Bestrebungen, Marokko zu einem so genannten „sicheren Herkunftsland“ zu erklären, halten weiterhin an. Der Versuch, die Weiterwanderung von Migranten temporär zu beherrschen, spiegelt sich in der Regularisierungskampagne, aber auch in der Konjunktur von Integrationsprogrammen wider.
Ein neuer Akteur im Feld
Als größter Player mit deutschem Hintergrund lanciert die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) aktuell vier umfangreiche Projekte im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und des Auswärtiges Amtes (AA) mit den Schwerpunkten Flucht, Asyl und Integration. Gesamtvolumen sind ca. 14,5 Millionen Euro. Sie stellen deutsche Expertise im Bereich Asylgesetzgebungsentwicklung zur Verfügung und befassen sich mit Integrationsmaßnahmen für rückkehrende Marokkaner und ankommende Migranten in Marokko.
Erklärtes Ziel innerhalb der Integrationsprojekte ist die Kommunikation mit den Kommunen. Im Norden des Landes, an den exemplarischen Orten des Transits, sind die Projekte der GIZ in der Zivilgesellschaft und unter lokalen Vereinen weitgehend unbekannt.
Veröffentlichungen der GIZ in diesem Zusammenhang sind häufig wenig fundiert, da EU-migrationspolitische Zusammenhänge, Abhängigkeiten und historisch-politische Hintergründe ausgelassen werden. Beispielsweise wird in einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung, in der sich die GIZ als „Integration Strategy Group“ präsentiert, der Verein Al Khaima in Tangier für Engagement im Bereich Integration als good practice angeführt. Dessen Vertreter beanstanden, durch die GIZ nicht informiert worden zu sein und veröffentlichten einen Beschwerdebrief an das Unternehmen: „Wir halten es nicht für angemessen, Tangier als Beispiel für Integrationsfragen im mediterranen Raum heranzuziehen, da es sich um eine Stadt an der Außengrenze handelt und es gerade aus diesem Grund zu zahlreichen Rechtsbrüchen und Gewalt gegenüber Migranten kommt.“
Al Khaima benennt in dem Schreiben beispielsweise die willkürlichen Festnahmen Migranten, Zwangsräumungen, die vor allem in dem migrantisch geprägten Viertel Boukhalef stattfinden und die mangelnde Beachtung der Situation unbegleiteter Jugendlicher im Norden des Landes. Aufgrund dieser Rechtsbrüche weigert sich der Verein als Vorbild herangezogen zu werden: „ (…) wir (möchten) als Verein nicht in einem Dokument legitimierend aufgeführt werden, das vorgibt, Tangier wäre ein Beispiel im Bereich Integration.“
Bisher werden Integrationsansätze in Marokko mit Hilfe deutscher Präzision auf Sand gebaut. Das kritisiert auch der Koordinator einer Beratungseinrichtung für Migranten: „Marokko versucht, Themen umzusetzen, für die Kompetenzen und Verwaltungsstrukturen fehlen. Es geht um ein Image von Demokratie und um das neue Marokko. Es ist absurd, so zu tun, als ob internationale Asyl- und Aufnahmestandards umgesetzt werden könnten, während Menschen aus Marokko fliehen, weil sie wegen Homosexualität oder politischer Aktivitäten verfolgt werden. Selbstverständlich sieht es gut aus, als sicherer Herkunftsstaat deklariert zu werden – das ist nach Außen ein glänzender Diskurs und Innen eine eiserne Hand.“
Integration ohne Ziel
Das BMZ ist über die Caritas Deutschland zusammen mit der Coopération Suisse (Schweizerisches Koorperationsbüro) größter Geldgeber des aktuellen Caritas Marokko Projektes Qantara (dt.: Brücke) im Bereich humanitäre Notversorgung und Integration von Migranten mit einer Laufzeit von 2016 bis 2019 und einem Jahresvolumen von 460.000 Euro). Innerhalb dessen werden die drei Anlaufstellen für Migranten (aufenthaltsrechtliche Beratung und Unterstützung und Begleitung in sozialen Notlagen) in Rabat, Casablanca und Tangier weiter betrieben sowie weitere Projekte unter anderem in Meknès sowie Fès etabliert.
Das Projekt soll laut Projekttitel „Eine Brücke zwischen Migranten und der marokkanischen Gesellschaft“ schaffen und setzt den Zugang von Migranten in die marokkanische Institutionen wie zum Beispiel in öffentliche Dienstleistungen, Gesundheit, Bildung und Arbeitschancen ins Zentrum. Es sollen keine neuen spezifischen Orte für Migranten etabliert, sondern bestehende Strukturen genutzt werden. In diesem Sinne werden Kooperationen beispielsweise mit dem Bildungsministerium angestrebt, um Schulplätze für ankommende Kinder zu schaffen.
Neu im Programm der Anlaufstellen sind zur Vorbereitung auf Schule und Arbeit arabische Sprachkurse für Kinder und Erwachsene. Außerdem werden Personen mit Rückkehrwunsch in ihr Heimatland an die Internationale Organisation für Migration (IOM) oder für Asylfragen an das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR vermittelt. Bis zum Jahresbeginn 2016 verband Caritas und IOM eine enge Kooperation hinsichtlich der freiwilligen Rückkehr, in dessen Rahmen die Caritas für die Unterbringung von Personen zuständig war, die bereits auf den Termin ihrer Rückkreise warteten. Diese Zusammenarbeit wurde von Seiten der Caritas beendet.
Aus internen Kreisen heißt es, dass sich die Caritas nicht für die Unterbringung von Personen zuständig fühle, die bereits Teil des IOM Programms seien. Mit dem sogenannten Integrationsprojekt „Qantara“ steht die Caritas vor der paradox erscheinenden Herausforderung, Migranten den Zugang zu Institutionen zu ebnen, in einem Land in dem es nahezu unmöglich ist einen legalen Aufenthalt zu erhalten und der Ausschluss von öffentlichen Dienstleitungen, Arbeitsmarkt, Bildungs- und Gesundheitssystem institutionalisiert ist.
Keine Papier – keine Versorgung
Die angestrebte Verbindung im Projekt „Qantara“ von humanitärer Nothilfe und Integrationsstrategien ist ein exemplarisches Beispiel für den Wandel hin zu einer Konjunktur des Integrationsbegriffes. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA). „Selbstverständlich ist es sinnvoller für EU-Länder, zu sagen, wir unterstützen Marokko bei der Integration von Migranten, als zu sagen, wir versuchen innerhalb Marokkos die Rechte von Migranten sichtbar und durchsetzbar zu machen – denn zweites würde bedeuten, dass Marokko diese Rechte bisher nicht respektiert“, stellt eine Mitarbeiterin der Caritas klar. So wird gleichzeitig ein gutes Verhältnis zum Königreich gepflegt und die Projektarbeit mit dem Fokus der Integration erhöht die Chancen, Menschen in Marokko bereits vor dem aktiven Grenzübertritt zum Bleiben zu bewegen.
Aktuell wird keine Direktversorgung für Migranten ohne Papiere aus staatlicher Hand gewährleistet, weshalb die katholische Kirche neben einzelnen Organisationen auf einsamem Posten kämpft. Die soziale Basisarbeit wird weiterhin von rudimentärer Versorgung bestimmt – „um Menschen eine Perspektive bieten zu können braucht es weitaus mehr als finanzielle Mittel und mehr finanzielle Mittel“, so die Mitarbeiterin der Caritas.
Man sei sich im Klaren über das, was die europäischen Geldgeber im Rahmen der aktuellen EU-migrationspolitischen Linie wollen – Menschen zum Bleiben bringen – aber eben auch darüber, was realistisch in der alltäglichen Arbeit umsetzbar ist. Der neue Qantara-Projektflyer verspricht, solche Personen über Ausbildungen und Arbeitsvermittlung integrieren zu wollen, die dies wünschen. Und auch ein Blick in die alltägliche Caritasarbeit macht deutlich, dass die sozialpädagogischen Mitarbeiter es nicht als ihren Auftrag betrachten, Menschen vom Bleiben zu überzeugen: „Wer weiter will, ist nicht davon abzuhalten! Wir versuchen, mit begrenzten Möglichkeiten, individuell und direkt zu unterstützen, unabhängig davon, ob es um Zukunftsperspektiven oder Notfallversorgung geht.“
Generell verhält sich die Caritas in der marokkanischen Öffentlichkeit diskret, eine politische Positionierung sucht man vergeblich. „Sie werden toleriert, vor allem, weil sie eine Arbeit machen, die eigentlich der Staat machen müsste.“ betont eine Aktivistin in Marokko. Als ausländische Organisation steht die Caritas aber unter dem permanenten Risiko, des Landes verwiesen zu werden. Erst im Januar 2016 wurde Pater Esteban Velasquez, Leiter der Erzdiözese Migration Tanger, in Nador langfristig die Einreise verweigert. Er hatte im Raum Nador humanitäre Unterstützung für Migranten organisiert. Sollte die Caritas einmal öffentlich kundtun, ihre Arbeit bestehe aus der Versorgung von Verletzten durch marokkanische Autoritäten, würden die Anlaufstellen vermutlich geschlossen werden.
Menschenrechte als Deckmantel
Das Königreich will sich im öffentlichen Diskurs das Image einer unabhängigen Migrationspolitik zurückholen und nicht länger als Gendarmerie der EU gelten. So wird die auf Hochglanz polierte ehrgeizige nationale Migrationsstrategie vorgelegt und es werden strategische Entscheidungen auch innerhalb von EU-Kooperationsprojekten offiziell nicht aus der Hand gegeben.
Die Praxis zeigt aber, dass die Arbeit als Partner der EU fürs Grobe an den hochgerüsteten europäischen Grenzzäunen entlang der spanischen Exklaven Ceutas und Melillas wie auch an Marokkos Küsten und an den nördlichen Grenzorten weiterhin ernst genommen und umgesetzt wird. Die Zusammenarbeit mit der EU ist eindeutig von hierarchischen Nord-Süd-Strukturen, aber auch von beidseitigem Profit gekennzeichnet. Das nordafrikanische Land kann Migrationsbewegungen als Druckmittel nutzen und auf Handlungsspielräume hoffen, wenn es um ökonomische Forderungen, die Stärkung der Rechte von Marokkaner im europäischen Ausland oder etwa die Anerkennung der durch Marokko annektierten Westsahara geht. In Bezug auf aktuelle Projekte zu Flucht, Asyl und Integration in Marokko profitieren europäische Geldgeber davon, dass Menschen in Marokko fixiert werden.
Die Autorin promoviert am Institut für Europäische Ethnologie der HU-Berlin zu humanitärer Intervention und Migration im Transit in Tangier/Marokko. Sie ist Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Mitglied bei Kritnet und aktiv im Alarm Phone sowie anderen Bündnissen der nationalen und internationalen Migrationsssolidarität.
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