Instrumentalisierte Archäologie: Mythos oder Wahrheit
Manche Museen wehren sich gegen Vereinnahmung, andere versuchen davon zu profitieren: Es bleibt eine Gratwanderung
Als 1802 der deutschlandweit erste archäologische Lehrstuhl an der Kieler Universität geschaffen wurde, kam es zu Problemen. Der designierte Professor Georg Zoëga – studiert hatte er Rhetorik bei Christian Gottlob Heyne in Göttingen – nahm das Geld, blieb aber in Rom. Erst, um zu forschen, dann war er krank – am Ende wurde er entpflichtet. Bei voller Bezahlung.
Seine Interessen wusste dieser allererste Archäologie-Professor offenbar zu wahren. Und die Uni-Leitung fand es offenbar nützlich, den Altertümerforscher mit dem genialischen Ruf an sich zu binden. Fachfremde Interessen gehören als wirksame Agenten offenbar zu dieser seltsamen Disziplin dazu, die mit teils philologisch-philosophischen, teils naturwissenschaftlichen Methoden versucht, an materiellen Zeugnissen einer fernen Vergangenheit die Gebräuche, Zeremonien oder Praktiken abzulesen, für die sie bestimmt waren: Könnte die Rekonstruktion von Zweckmäßigkeit etwa nicht Selbstzweck sein?
Mindestens verführt sie zur Funktionalisierung. Das ist eine Gefahr, mit der Museen umgehen müssen: Notwendig ist es, über Gegenstrategien nachzudenken, wie es Ute Drews, die Leiterin des Wikingermuseums Haitabu im taz-Interview tut. Selbstredend ist das Risiko der Vereinnahmung dort am überschaubarsten, wo das Ereignis oder die historische Periode, aus der die Relikte stammen, von der aggressiven Mythologisierung des 19. Jahrhunderts unberührt geblieben sind – wie am Harzhorn.
Doch auch die dortigen Grabungen und Forschungen, die die deutschtümelnde Legende von den vom römischen Imperium seit der Varus-Niederlage unberührten ostrheinischen Landen pulverisiert haben, sind nicht unabhängig von den Strömungen ihres Fachs. So sind sie personell und methodisch mit der Schlachtfeldarchäologie, die in Kalkriese betrieben wurde, verquickt. Dort aber zeichnen sich infolge der neuesten Grabungsergebnisse die Umrisse eines Wissenschaftsskandals ab: Es scheint, als wären jene Forschungsansätze jahrelang systematisch unterdrückt worden, die das nicht profitable Label der Varusschlacht hätten gefährden können. Im Jahr 2009, als dort mit Kanzlerin und Ministerpräsident der zweitausendste Jahrestag der Schlacht vom Teutoburger Wald begangen wurde, hätte längst klar sein müssen, dass die Vorstellung, sie hätte in Kalkriese stattgefunden, hinfällig ist.
Immerhin, dass es jetzt infolge von Grabungen zum Knall kommt, belegt, dass Archäologie über die nötige Selbstheilungskraft verfügt, solange sie nicht im Hinblick auf ihre touristische Verwertbarkeit betrieben wird.
Den gesamten Schwerpunkt „Mythos der Wahrheit“ lesen Sie in der Print-Ausgabe auf den Seiten 43-45 oder im ePaper.
Leser*innenkommentare
Böcker Andreas
Es war immer in der Diskussion, ob der (alte) Wall germanisch oder nicht doch Teil eines Römerlagers war. Insbesondere die Tatsache, dass der südliche Wall nach Norden hin Annäherungshindernisse aufwies und die römischen Funde bis auf Einzelstücke alle im direkten Vorfeld dieses Walls - also nördlich davon - aufwies hat sehr für die germanische Herkunft des Wall als Teil eines Hinterhalts gesprochen. Aber es hat immer Stimmen gegeben, die für ein Lager sprachen. Genau deswegen haben ja Ortisi/Rappe die Grabungen der letzten beiden Jahre vorgenommen, mit dem Ziel, die Lagerwalltheorie zu bestätigen. Es ist also kein "Skandal" sondern von zwei konkurrierenden Theorien, die beide in Kalkriese vertreten wurden, von denen hat sich nun vorerst die zunächst unwahrscheinlich wirkendere durchgesetzt. Und es ist ja nicht so, dass die Lagertheorie ganz problemlos von Statten ginge, es gibt ja Gründe, warum die Theorie, die jetzt als die wahrscheinlichere gilt, lange die unwahrscheinlichere war: Die Annäherungshindernisse zum Südwall liegen jetzt im Inneren des Lagers. Hier bleibt Klärungsbedarf.