piwik no script img

InstallationDas Gras wachsen sehen

Phoebe Washburn kultiviert Rasen - unsere alltägliche Vision einer besseren Welt. Die Installation "Regulated Fools Milk Meadow" in der Deutschen Guggenheim Berlin.

Die Anlage im Detail und im Überblick, wie sie in Phoebe Washburns Atelier in Brooklyn für ihre Berliner Uraufführung entwickelt und getestet wurde Bild: deutsche guggenheim

Die äußere Holzhaut von Phoebe Washburns Installation "Regulated Fools Milk Meadow", die zu einem guten Teil aus gebrauchten Stellwänden vorheriger Ausstellungen zusammengezimmert ist, verläuft als eine ansteigende Kurve. Das schaut auf den ersten Blick so aus, als habe jemand originellerweise die eh schon ziemlich originelle Villa, die sich Curzio Malaparte als begehbare Treppe auf Capri bauen ließ, nach Berlin verfrachtet. In die Deutsche Guggenheim, dessen Ausstellungsraum die Dimensionen des Kolosses eindeutig sprengen. Auf den zweiten Blick freilich, in Anbetracht des ganzen Drumherums, des Containers mit Blumenerde, der Kübel, Plastikschläuche, Kabel, Werkzeuge und Werkzeugschränke unter einem mit Plastikplane überzogenen Vordach, erscheint das Environment aus Werkhalle und Gewächshaus noch um einiges vertrackter.

Phoebe Washburn ist der rare Fall einer Künstlerin, die ganz selbstverständlich als Weltenbaumeisterin auftritt. Das kennt man sonst nur von den ganz wilden Kerlen, die dafür berühmt sind, dass sie die Hütte so richtig zuknallen. Völlig ungeniert und ungerührt okkupiert sie deren ureigenstes Terrain. Allein für diese Anmaßung gebührte ihr jeder nur denkbare Respekt. Doch es kommt noch besser. Denn sie macht es besser. Viel besser als Tom Sachs zum Beispiel, ihr Vorgänger in der Deutschen Guggenheim 2003. Er hatte seine raumgreifende Installation "Nutsys" als andere Art von Erzählung angelegt, die mit einigem Aufwand - man könnte auch sagen, krampfhaft - einen Zusammenhang zwischen McDonalds, Autorennbahnen, DJ-Pulten und Le Corbusiers Idee des Unité-Gebäudes zu behaupten versuchte. Die Sache zündete weder formal noch inhaltlich.

Phoebe Washburns exzessive Bauwut dagegen hat ihre ganz eigene Folgerichtigkeit - die nicht über eine Erzählung erzwungen werden muss, sondern auf absurde, doch systematische Weise den Gegebenheiten entspringt. So betrachtet sie die Installation als eine Art Organismus, der seine eigenen Abfallprodukte frisst, und verwendet daher alles, was bei seiner Herstellung übrig bleibt wie beispielsweise Sägespäne, in der Arbeit selbst weiter. Mit anderem Abfall, etwa Verpackungsstoffen, werden sie "in die Arbeit hineingedrängt", wie Phoebe Washburn die Wucherungen ihrer Assemblagen erklärt.

Folgerichtig erscheint auch ihre künstlerische Entwicklung. Die 1973 geborene Künstlerin begann schon als junges Mädchen während in ihrer Highschool-Zeit, gebrauchtes Zeitungspapier und Holz zu sammeln. Ihr manischer Sammeltrieb zwang sie schließlich, mit dem Material etwas anzufangen, zu experimentieren. Was geschieht, fragte sie sich, wenn ich das gleiche Material und den gleichen Handgriff mit tausend multipliziere? Was lässt sich, zunächst ganz formal, mit einem solch minimalen Programm aus der Sache herausholen? Und wann ist die kritische Masse erreicht, bei der es zum ästhetischen Erlebnis wird, so bescheidenes und einfaches Material wie Zeitungspapier oder billiges Bauholz zu betrachten?

Ganz sicher ist das jetzt bei "Regulated Fools Milk Meadow" der Fall. Doch schon ihre ersten Ausstellungsprojekte, die sie 2002 realisierte und die von Anfang an Tonnen von Pappe und Tausende von Schnellschrauben ins Spiel brachten, beeindruckten die Betrachter nachhaltig, allein aufgrund ihres Gewichts und Volumens. Dazu kam die verblüffende Feinarbeit. Denn nicht nur verschraubte Washburn ihr Material zu riesigen Skulpturen, besser noch, ausufernden Architekturen; sie bemalte es auch - pastellfarben, pink, hellblau, mintgrün usw., jedes einzelne hölzerne Rechteck, jedes Stück Pappe und jeden der Kieselsteine, die sie gerne in irgendwelche kleine Lücken quetscht. Eigentlich braucht man es gar nicht zu erwähnen, aber selbst die Farben, die sie benutzt, sammelt sie als Überreste dort ein, wo sie sieht, dass renoviert und umgebaut wird. Schaute man sich ihre letzten Installationen dann genauer an, erkannte man neben einem an Besessenheit grenzenden Fleiß viel Improvisation, lachhafte Heimwerkerei und laienhafte technische Lösungen.

Nachdem ihre Materialschlachten aus zunächst rein formalen Systemen zu echten Funktionssystemen gereift sind, erinnern ihre konstruktiven Lösungen mehr noch als früher an die Erfindungen von Peter Fischli und David Weiss. Phoebe Washburn scheint die Lust, die das Schweizer Künstlerpaar etwa beim "Lauf der Dinge" daran hat, ein an sich vollkommen idiotisches Vorhaben in höchster Perfektion und deshalb in angemessen idiotischer Weise zu realisieren, ihrerseits bei "Regulated Fools Milk Meadow" zu teilen. Zwar wirkt die Skulptur, die in ihrem Innersten eine Fabrik sein will und mit ihrem 60 Meter langen Transportband noch einmal das fordistische Zeitalter heraufbeschwört, zunächst alles andere als komisch oder absurd. Allerdings befördert das Band Kisten, in denen Gras wächst. In jeder Kiste steckt ein Bleistift, der mit dazu dient, das Band so zu steuern, dass jede Kiste genau einmal am Tag bewässert wird. Pflanzenleuchten und Ventilatoren helfen, dass das Gras wächst und frisch bleibt, um nach 14 Tagen vom Förderband genommen und auf das Dach der Fabrik verpflanzt zu werden. Denn nur um ihr eigenes Grasdach zu produzieren, existiert die Fabrik.

Das heißt, sie existiert nur, um Kunst zu produzieren. Gerade weil Phoebe Washburn im Interview mit der Kuratorin Joan Young meint, es sei "wahrhaftig keine Kunst", Gras zu kultivieren, und ihre Maschinerie "verrückt und lächerlich" nennt. "Regulated Fools Milk Meadow" existiert, weil Phoebe Washburn "der irre Aufwand an Technik und Energie" fasziniert, "alles nur für ein Büschel Gras". Aber selbst bei Gras geht es selten nur um ein Büschel, eine Nichtigkeit. Sehr konkret skizziert Phoebe Washburn die gesellschaftspolitischen Überlegungen, die sie bei ihrem Projekt beschäftigten: "Der Rasen hat wie so viele andere Dinge in unserer Kultur eine völlig neue Bedeutung erhalten. Die Breite des Rasenbands vor dem Haus ist als Statussymbol fast so wichtig wie die Marke des Autos in der Garage." Der Aufwand, der vor allem in den Vereinigten Staaten um die Vorzeige-Vorgärten getrieben wird, steht ihrem Aufwand wohl in nichts nach. "Jeder weiß, was es bedeutet, wenn man einen riesigen makellosen Rasen hat, statt einer Briefmarke hinterm Haus oder nicht mal das."

Die verrückte Milchwiese in der Deutschen Guggenheim, die sich nun in den nächsten Wochen über die verunglückte Villa Malaparte buckeln wird, wird sehr wahrscheinlich nicht so makellos sein. Eher wird die ganze Recycling-Konstruktion nach Slum ausschauen.

Aber selbst oder gerade dort, im Slum, zielt der Versuch, ein Stück Rasen zu kultivieren, auf die Verheißung eines besseren Lebens. Die Makro- und Mikrodimension ihrer Installation - hier die Graslandschaft auf dem Dach, dort die Miniaturwiese in der Kiste -, auf die Phoebe Washburn verweist, lässt sich also ein weiteres Mal entdecken, wenn die lokale Architektur in der Deutschen Guggenheim auch die sogenannte Weltarchitektur in sich einschließt. Phoebe Washburn ist nicht nur der rare Fall einer Künstlerin, die ganz selbstverständlich als Weltenbaumeisterin auftritt. Sie verkörpert dabei den noch viel rareren Fall restloser Brillanz.

Bis 14. Oktober, Katalog 28,50 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!