Insolvenz des Buchzwischenhändlers KNV: Hausgemachte Krise
Deutschlands größter Buchzwischenhändler ist insolvent. KNV garantierte vor allem die Lieferungen an kleine unabhängige Buchhandlungen.
Es könnte sein, dass sich TV-Literaturkritiker Dennis Scheck bald einen anderen Drehort für seine Verrisse der aktuellen Spiegel-Bestseller-Liste suchen muss. Denn die Bücherhallen in der „heiligen Stadt Köln“ gehören zum größten deutschen Buchzwischenhändler Koch, Neff & Volckmar (KNV) und der ist insolvent.
Das ist noch die geringste Auswirkung auf den Kulturbetrieb, denn das Familienunternehmen aus Stuttgart, das seine Wurzeln bis auf das Jahr 1846 zurückverfolgen kann, garantiert als einer von drei großen Zwischenhändlern die Buchlieferung vor allem für kleine unabhängige Buchhandlungen. 590 .000 lieferbare Titel von mehr als 5.000 Verlagen hält KNV nach eigenen Angaben auf Lager. Die Webseite nennt 5.600 Buchhandelsfilialen als Kunden, davon rund 4.200 in Deutschland.
Auch Kalender und Spiele sowie DVDs zählen zum Sortiment. Deshalb ist das Entsetzen über die Zahlungsunfähigkeit in der Branche groß. „Da KNV ein wichtiger Akteur auf dem Markt ist, hätte es einen spürbaren Effekt auf die Lieferkette, wenn das Geschäft nicht weitergeführt würde“, sagte Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
Einig sind sich Branchenkenner, dass man die Insolvenz des Branchenprimus nicht dem Multi Amazon oder der Digitalisierung und dem damit verbundenen Rückgang der Verkaufszahlen auf dem Buchmarkt zuschreiben kann. „Die Krise ist hausgemacht“, schreibt etwa der Chefredakteur des Branchen-Blogs literaturcafe.de, der in den 90ern selbst einmal bei KNV gearbeitet hat. Auch Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller schreibt, die Gründe für die Insolvenz lägen „nicht in der Branche selbst“.
Tatsächlich scheint sich das Familienunternehmen zu einem guten Stück selbst in die Insolvenz getrieben zu haben. Später als andere setzte KVN auf ein zentrales Buchlager. Erst 2014 baute das Unternehmen bei Erfurt mit Unterstützung des Landes Thüringen in Höhe von 22 Millionen Euro ein zentrales Logistikzentrum. Doch der Dienstleister für Verlage und Buchhandlungen bekam die eigene Logistik nicht in den Griff und musste deshalb das Lager in Stuttgart weiter nutzen, was hohe Kosten verursachte.
Besonders im Weihnachtsgeschäft 2014 geriet das Unternehmen in Lieferschwierigkeiten. Die Geschäftsführer Oliver Voerster und Frank Thurmann entschuldigten sich dafür öffentlich. Dazu kam ein weiterer Kratzer im Image. Durch einen Bericht des ZDF wurde öffentlich, dass KNV auch als Arbeitgeber nicht unbedingt eine bessere Figur macht als der Konkurrent Amazon.
Insolvenzverwalter muss geschickt handeln
Im Erfurter Lager verhinderte die Geschäftsführung einen Betriebsrat, so der Vorwurf, und auch die Löhne dort seien nicht wesentlich höher und die Arbeitszeiten ähnlich wie bei dem vielgescholtenen amerikanischen Multi. KNV dementierte.
Von den Problemen im Logistikzentrum scheint sich das KNV nie ganz erholt zu haben. Branchenkenner berichten, in den letzten Jahren haben bei KNV die Banken das Sagen gehabt. Der überraschende Ausstieg eines potenziellen Investors führte am Dienstag dazu, dass die Banken den Daumen senkten.
Tatsächlich könnte die Pleite vor allem auf kleine Buchhandlungen durchschlagen, für die KNV nicht nur dafür sorgte, dass ein bestelltes Buch am nächsten Tag für den Kunden abholbereit vorliegt, sondern auch als IT-Dienstleister für Buchhaltung und Warenwirtschaft fungiert hat.
Wie groß der Schaden in der Branche sein wird, wird deshalb vor allem vom Geschick des Insolvenzverwalters abhängen, der bisher noch nicht benannt wurde. Denn die beiden größten Konkurrenten Libri und Umbreit können die enormen Liefermengen der Stuttgarter nicht ohne Weiteres kompensieren. Dazu fehlt es an Lagerkapazitäten.
Ein Einstieg der Konkurrenz oder einer der großen Buchhandelsketten Thalia oder Orsiander könnte kartellrechtlich ein Problem sein. Ohne KNV wären aber viele kleine Buchhandlungen von Warenlieferungen abgeschnitten. Kein Wunder, dass sich der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, vergangene Woche zu Durchhalteappellen veranlasst sah. Er warnte vor „Kurzschlusshandlungen“. Man müsse jetzt „als Branche zusammenstehen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken