Inschrift nach 76 Jahren: Ein Grab, das keines ist
BewohnerInnen der Bulthauptstraße gedenken auf dem Friedhof Hastedt des 1942 in Theresienstadt gestorbenen Aron Aronsohn. Beerdigt wurde er dort allerdings nicht.
Jahrzehntelang war die rechte, durch einen senkrechten Strich abgeteilte Hälfte des Steins leer geblieben – sie war vorgesehen für Selmas Mann. Aber Aron Aronsohn, dem bis 1935 das Haus in der Bulthauptstraße 36 gehört hatte, wurde von den Nazis 1942, im Alter von 83 Jahren, aus einem Altersheim in Gröpelingen in das Getto Theresienstadt deportiert. Dort starb er nur einen Monat später. Wo und ob er beerdigt wurde, ist ungewiss.
Wolfgang Vorwerk, der heutige Besitzer von Aronsohns ehemaligem Haus, wollte die Leerstelle auf dem Grabstein schließen. Gemeinsam mit weiteren AnwohnerInnen der Bulthauptstraße sammelte er Geld und ließ Aronsohns Namen neben den seiner Frau gravieren.
Doch statt „hier ruht“ heißt es auf „seiner“ Seite des Steins: „Hier wollte ruhen.“ Denn um seine letzte Ruhestätte handelt es sich für die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Bremen Elvira Noa nicht. „Es ist ein Gedenkstein“, sagt sie.
Durch ihn kehre der Verstorbene ins Gedächtnis der Lebenden zurück und finde sein Seelenheil: „Denn die Seele lebt in denen weiter, die der Toten gedenken.“
Dabei gibt es bereits einen Stolperstein zum Gedenken an Aron Aronsohn, verlegt vor seinem ehemaligen Haus an der Bulthauptstraße 36. Und der macht, anders als die Gravur auf dem Stein seiner Frau, deutlich, warum er eben nicht in Bremen begraben wurde: „Deportiert 1942 Theresienstadt. Tot 22.9.1942“ steht da, recht unmissverständlich.
Schmerzhafte Leerstelle
Unmissverständlich und schmerzhaft war auch die Leerstelle auf dem Grabstein – denn genau diese Leerstellen sind durch Vertreibung und Massenmord an den Juden ja geschaffen worden.
Dass nichtjüdische Anwohner*innen das Gedenken an Aron Aronsohn durch das Auffüllen der Leerstelle initiierten, sei „fantastisch“, sagt indes Elvira Noa. Zwei Jahre begleitete sie den Initiator Vorwerk bei dem Entwurf der deutschen und hebräischen Grabschrift sowie der Planung der Wiedereinsetzung.
Wolfgang Vorwerk, Initiator
Vorwerks Recherchen zufolge handelte der 1859 in Retowo, einem kleinen Dorf in der damaligen Provinz Pommern, geborene Aronsohn in Bremen erfolgreich mit Jutesäcken. Ab 1911 war er Mieter im Haus in der Bulthauptstraße, bis er es vierzehn Jahre später kaufte. Wenige Jahre nach der sogenannten Machtergreifung Hitlers verkaufte der jüdische Kaufmann es. Während der November-Pogrome 1938 kam er in „Schutzhaft“ ins Konzentrationslager Sachsenhausen.
Nur knapp drei Jahre lebte er danach in einem jüdischen Altersheim in Gröpelingen, bis er 1942 in das Sammellager in Theresienstadt deportiert wurde. Dort starb er kurz darauf aufgrund der „Entbehrungen“ durch das Lager, so Vorwerk. Nachkommen hinterließ Aronsohn nicht: Seine Frau war bereits tot, ebenso seine einzige Tochter, die 1907 starb.
Die Nachbarschaft hat zusammengelegt
Auf einem Zettel im Hausflur bat Vorwerk seine Nachbar*innen um Spenden und gewann in kurzer Zeit ein gutes Dutzend Unterstützer*innen. Der Gedenkstein ist ihnen auch vor dem Hintergrund einer erstarkenden AfD ein Anliegen: „In dieser Zeit ist es besonders wichtig, ein Zeichen gegen Antisemitismus und Xenophobie zu setzen“, sagt Vorwerk.
Nun wollen die Anwohner*innen der Bulthauptstraße am Sonntag um 10 Uhr 30 der traditionellen jüdischen Begräbniszeremonie beiwohnen, die Bremens Landesrabbiner Natanel Teitelbaum leiten wird. Für Vorwerk ein wichtiger Moment: Als Botschafter und Nahost-Beauftragter unter Außenminister Joschka Fischer hat er viele emotionale Zusammentreffen etwa mit Holocaust-Überlebenden in Boston/USA erlebt.
Die Initiative für den Gedenkstein Aron Aronsohns jedoch ist rein privat – und ihm, der sich seit Jahrzehnten mit der Schoah beschäftigt, ein ganz besonderes Anliegen.
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