piwik no script img

Ins Visier der Ermittler geraten

Bruno war Techniker, Sponti und zahlte Rechnungen stets bar – ein Terrorist?

FRANKFURT/M. taz ■ Mein Freund Bruno (Name von der Redaktion geändert) war gerade für ein paar Tage bei seiner Mutter, als es morgens um sechs Uhr klingelte. Vor der Tür stand eine Herde Zivilpolizisten nebst Bundesanwalt und präsentierte Durchsuchungs- und Festnahmebeschluss. Auch bei mir in einem besetzten Haus im Frankfurter Westend und, wie wir später erfuhren, in sechs weiteren Wohnungen begannen zeitgleich die Durchsuchungen. Anfang 1985 muss das gewesen sein. Die Mutter meines Freundes, eine 80-jährige Dame, war alles andere gewöhnt, nur nicht, dass ihre Schränke durchwühlt und der Sohn aus dem Bett weg festgenommen wurde.

Bruno, so war im richterlichen Beschluss zu lesen, sei verdächtig, für die Revolutionären Zellen Bomben gebaut zu haben. Bruno passte einfach zu gut in das Raster. Er unterhielt damals mit Freunden die Wohnung eines Bekannten, der sie nicht mehr brauchte, weil er meist auf dem Land lebte. Die zwei Zimmer mit Küche und Bad waren sagenhaft billig und wurden von denen bewohnt, die gerade eine Bleibe brauchten. Die Miete wurde wechselnd, Strom und öfter noch das Telefon bar bezahlt. Oft stand die Wohnung einfach nur leer oder diente bei Umzügen als Zwischenlager, denn sie hatte kein warmes Wasser und keine Heizung. Aber eben, wie gesagt, sagenhaft billig.

Das Raster griff, denn Bruno war Elektronikbastler, hatte als Techniker gearbeitet und Flugblätter der Sponti-Linken presserechtlich verantwortet. Jahrelang, auch das erfuhr er erst später, wurde sein Telefon abgehört. Er war flächendeckend überwacht worden, bei Spaziergängen, Kneipenbesuchen und Protesten gegen die Startbahn West. Was die Überwacher aufzeichneten, wenn er telefonierte, weiß Bruno bis heute nicht. Er hat später nur das Protokoll der Vernichtung des abgehörten Materials bekommen.

Jahrelang also waren Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt auf der falschen Fährte, hielten beharrlich an ihr fest, sammelten Daten. Ein Beamter gestand später, er habe selbst nicht mehr an gefährliche Terroristen geglaubt. Und das blieb von dem gigantischen Aufwand: eine Geldstrafe für einen Nachbarn wegen Verstoßes gegen das Fernmeldeanlagengesetz, schlechte Träume und Verwunderung in Brunos Familie, weil die Polizisten den eisernen Kohlstrunkauszieher in der hintersten Ecke des Küchenschrankes für eine Waffe gehalten hatten. Andere Fälle gingen nicht so glimpflich aus. TINA SCHNEIDER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen