Innensenator Körting in der Kritik: "Wir waren entsetzt über Körting"
Linke-Landeschef Klaus Lederer lässt kein gutes Haar an der Richter-Schelte des Innensenators. Körting stoße ins Horn des hessischen Wahlkämpfers Koch.
taz: Herr Lederer, was hat Innensenator Ehrhart Körting geritten, als er deutsche Richter als "Alles-Versteher und -Verzeiher" schmähte?
KLAUS LEDERER, 33, ist Landesvorsitzender der Linken und rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion.
Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening wirbt bei Migranten um deren Einbürgerung. "Der Pass ist die rote Karte gegen den Missbrauch der Nicht-Wahlberechtigten", erklärte Piening am Montag. Als deutsche Staatsbürger könnten Migranten mit ihrer Wählerstimme in der deutschen Politik mitwirken und erhielten mehr Rechte. In Anspielung auf Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der eine Debatte um ein härteres Jugendstrafrecht kurz vor den Landtagswahlen in seinem Land und in Niedersachsen angestoßen hatte, sagte der Integrationsbeauftragte: "Der hessische Wahlkampf macht erneut klar, welche zentrale Rolle die Staatsbürgerschaft spielt." Im Jahr 2006 waren in Berlin 8.168 Ausländer eingebürgert worden. Das waren 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahlen für das vergangene Jahr werden voraussichtlich im kommenden Februar veröffentlicht.
Klaus Lederer: Das wüsste ich auch gern. Wir waren entsetzt, als wir davon gelesen haben. Die richterliche Unabhängigkeit und die Beurteilung jedes Einzelfalls sind Grundprinzipien bei der Anwendung des Strafrechts. Und ich habe nicht den Eindruck, dass Richter anders handeln, als es dieses Recht vorsieht.
Und was ist mit Körtings Erklärung, er habe seine Kritik gerade nicht auf Berlin gemünzt, sondern auf den Rest der Republik?
Das sehe ich anders. Mir scheint, Herr Körting redet so wegen der stark konservativ gefärbten Debatte im Bund. Der Senator greift die Richter an. Wer aber die Verteidiger des heutigen Jugendstrafrechts kritisiert, übersieht die Problemursachen. Ich bleibe dabei: Das jetzige Jugendstrafrecht reicht aus, und es wird in den allermeisten Fällen auch angemessen angewendet. Insbesondere in Berlin.
Was muss sich ändern im Umgang mit jugendlichen Intensivstraftätern?
Es gibt keine Alternative zu einer weit gefassten Integrationspolitik. Sie darf nicht nur auf Menschen mit migrantischem Hintergrund zielen, sondern muss den sozialen Zusammenhalt in den Mittelpunkt stellen. Junge Leute brauchen eine Perspektive, an der Gesellschaft teilzuhaben.
Innensenator Körting sagt, als letztes Mittel müsse jungen Erwachsenen das Gefängnis drohen.
Das geschieht ja längst. Da verstehe ich die derzeitige Debatte nicht.
Trotzdem kochen solche Diskussionen immer wieder auf. Droht da die Stimmung in Berlin zu kippen?
Die jetzige Debatte ist eine Koch-Wahlkampf-Nummer, und sie beeinflusst natürlich die Stimmung. Wir dürfen Probleme nicht wegreden, aber sie dürfen die eigentlichen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht verdrängen. Und die größte Herausforderung heißt Integration.
War es richtig von der Justizverwaltung, Oberstaatsanwalt Roman Reusch zurückzupfeifen, damit er nicht in einer Fernseh-Diskussion seine Meinung über straffällige Jugendliche verkündet?
Herr Reusch lässt keine Gelegenheit aus, für seine Privatmeinung Stimmung zu machen und wollte offenbar auf der Koch-Wahlkampf-Welle mitschwimmen. Wir zweifeln langsam an seiner Eignung als Oberstaatsanwalt.
Sollte Herr Reusch also in der Öffentlichkeit schweigen?
Auch Beamte dürfen sich in politischen Diskussionen äußern. Sie repräsentieren aber auch den Staat. Durch Herrn Reuschs Äußerungen entsteht der Eindruck, in Berlin würden Normen der Untersuchungshaft für Jugendliche nicht eingehalten. Herr Reusch redet so, als wende er in der Praxis bereits an, was er sich an Rechtsverschärfungen im Jugendstrafrecht wünscht. Das geht nicht: Beamte haben Recht anzuwenden, nicht zu erfinden. Es war deshalb richtig, Herrn Reusch zurückzupfeifen.
Urteilen Berliner Richter heute strenger als vor ein paar Jahren?
Wir haben in Berlin ein Intensiv- und Schwellentäterkonzept. Richtern liegen deshalb heute alle Informationen vor, um jeden Einzelfall ordentlich beurteilen zu können. Die Richter sehen, wieweit die kriminelle Karriere des jungen Menschen gediehen ist. Und sie können wählen, welcher Warnschuss für ihn der passende ist. Beispielsweise eine Bewährungsstrafe oder eine Erziehungsmaßnahme. Das zeigt auch die gestiegene Verurteilungsrate.
Und Haftstrafen?
Gefängnisaufenthalte sind ultima ratio. Deshalb erstaunt es mich so, dass derzeit nur über das Ausmaß strafrechtlicher Sanktionen debattiert wird. Über eine wichtige Frage wird nicht gesprochen: Warum steigt die Zahl der Intensivtäter, während die Gesamtzahl der Straftaten nicht steigt? Und damit sind wir wieder bei der eigentlichen Herausforderung: der Integration.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!