Innensenator Ehrhart Körting: Der Herr der Straße
Kaum ein Innensenator war so lange im Amt wie Ehrhart Körting. Und alle sind daran gescheitert, den 1. Mai zu befrieden. Körting gelang es immerhin, die Krawalle einzudämmen. Aber wie?
Der harte Kern der Szene trägt schwarz. Schwarze Hosen, schwarze, über den Kopf gezogenen Kapuzenpullis, die Augen von Sonnenbrillen verdunkelt. In einem nie dagewesenen Tempo bewegt sich der aus 10.000 Menschen bestehende Zug der "revolutionären 1. Mai-Demonstration" von der Kottbusser Brücke zum Spreewaldplatz. Dort fliegen die ersten Steine und Flaschen. Diesmal fackelt die Polizei nicht lange: Die Beamten greifen hart durch. Die Szene sei auf Krawall gebürstet, hatten die Medien in den Vortagen orakelt. Die Szene enttäuscht die Medien nicht. Zum 24. Mal in Folge artet der Kreuzberger 1. Mai in einer Straßenschlacht aus.
Schwarz trägt auch der Innensenator. Schwarze Hose, schwarzes Hemd, schwarzer Anorak. Nicht, weil er auf Krawall aus ist, zieht sich Ehrhart Körting (SPD) so an. Er will in der Walpurgisnacht und am 1. Mai schlicht nicht auffallen, wenn er sich an den Brennpunkten ein Bild von der Lage macht. Als Polizeipräsident Dieter Glietsch vor ein zwei Jahren am Rande der 1. Mai-Demo erkannt wurde, wäre die Stimmung beinahe eskaliert.
Am Samstagmittag ist Körting auf der Bornholmer Brücke, in deren Nähe die Zivilgesellschaft gegen einen Neonazi-Aufmarsch demonstriert. Er schüttelt Polizisten die Hände und redet seinem Partefreund Wolfgang Thierse ins Gewissen, dass das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Demonstrationsfreiheit auch für rechtsextreme Minderheiten gilt. Thierse setzt sich später trotzdem mit anderen Politikern auf die Straße. "Unter Verschleierung seiner wahren Absichten ist er in den abgesperrten Bereich gelangt", sagt Körting später tadelnd. Zuzutrauen wäre ihm, dass er die Aktion insgeheim gut findet. Aber das würde er niemals zugeben. Drei rechtsextreme Kameradschaften hat Körting in seiner neunjährigen Amtszeit verboten. Auch die NPD hält er für eine verfassungsfeindliche Partei - doch die konservativ regierten Bundesländer und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) sehen das anders.
Anschließend spaziert Körting über das Myfest in Kreuzberg. Als die Polizei am Kudamm eine Versammlung von Rechtsextremen auflöst, ist er zugegen. Und am frühen Abend trifft er sich am Oranienplatz mit Abgeordneten von SPD und Linkspartei zum Bier. "Fünf von sechs für die Polizei brisanten Veranstaltungen sind so verlaufen, wie die Presse es nicht wollte", verkündet er, bestens gelaunt. "Obwohl die Medien den Krawall hochgeschrieben haben, haben die Menschen haben ihr Ding gemacht." Nie sei die Situation eskaliert. Auch die Polizei habe sich gelassen verhalten. "So stelle ich es mir vor, wenn auf der Straße unterschiedliche politische Auffassungen ausgetragen werden".
Kurz darauf erreicht Körting doch noch die Nachricht, dass es am Spreewaldplatz nach Abschluss der "revolutionären 1. Mai-Demo" zu Krawallen kommt.
Aber das ändert an der Gesamtbilanz nichts. Dieser 1. Mai ist gut verlaufen. Es gab deutlich weniger Ausschreitungen als im Vorjahr - allen Unkenrufen zum Trotz. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, hatte sogar vor Toten gewarnt. CDU-Landtags- und Bundestagsabgeordnete hatten Körting unterstellt, aus Rücksicht auf den Koalitionspartner Linkspartei linksextremen Gewalttätern freien Lauf zu lassen. Die Morgenpost warf die Frage auf, ob der 67-Jährige für das Amt des Innensenators noch agil genug sei. Selbst die Berliner Zeitung orakelte: Sollte sein neunter 1. Mai eskalieren, könnte es Körtings letzter sein.
Der Innensenator hat sich nicht beirren lassen. Er ist nicht von Konzept der ausgestreckten Hand abgewichen, trotz des Rückschlags im Vorjahr. Am 1. Mai 2009 waren die eingesetzen Polizisten kurz nach Abmarsch der "revolutionären 1.Mai-Demo" aus dem schwarzen Block mit einer lange nicht mehr dagewesenen Aggressivität konfrontiert worden. Später in der Nacht wurden sogar Molotowcocktails auf Polizisten geworfen. Es sei bewusst darum gegangen, Polizisten zu verletzen, so die Analyse in Sicherheitskreisen.
"Wir waren uns zu sicher", räumt Körting ein Jahr später ein. "Nachdem sich die Lage 2007 und 2008 beruhigt hatte, haben wir nicht mit so einem Gewaltexzess gleich zu Anfang gerechnet." Die Leute sollten aber nicht glauben, noch einmal "wilde Sau" spielen" zu können. Deshalb kündigte er für diesen 1. Mai ein entschlossenes Vorgehen gegen Gewalttäter an. "Das heißt aber nicht, dass die Polizei martialisch aufmarschiert, so lange es friedlich ist".
Genau diesen Rückfall in alte Zeiten scheinen die politischen Gegner der rot-roten Landesregierung zu wollen. Dabei unterschlagen sie geflissentlich, dass seit 1987 sämtliche Innensenatoren am 1. Mai kläglich gescheitet sind - und bis auf eine Ausnahme alle ein schwarzes Parteieibuch hatten: Wilhelm Kewenig (CDU), Erich Pätzold (SPD), Dieter Heckelmann (CDU), Jörg Schönbohm (CDU), Eckart Werthebach (CDU). Letzterer hatte nach seinem Waterloo am 1. Mai 2001 lauthals in Richtung der linken Szene gedroht: "Wir werden sie auf die Lichtung treiben. Der Spuk wird schnell vorbei sein." Zum Glück stürzte die große Koalition rechtzeitig über den Berliner Bankenskandal. Anders als seine Vorgänger, deren Halbwertzeit auf dem Posten im Durchschnitt zweieinhalb Jahre betrug, hält sich Körting nun schon seit neun Jahren in dem Amt. Nur der SPDler Kurt Neubauer (1967 bis 1977) war als Innensenator länger am Ruder.
Körtings großer Wert sei, dass er so ein unaufgeregter Innenpolitiker sei, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland, ein Kenner der Berliner Innenpolitik. "Körting macht eine rationale Innenpolitik, unter Verzicht auf große Worte und martialische Töne." Das Komische dabei ist: Nicht nur beim linksalternativen und rot-roten Wählermilieu kommt Körting an. Sondern auch bei Otto und Olga Normalverbraucher, die eher als Fans einer Law und Order-Politik gelten.
Er versuche eine Mischung von innerer Sicherheit und Liberalität zu pflegen, beschreibt Körting seinen Politikstil. Er hat dafür gesorgt, dass die Polizei aus den Schützengräben gekommen ist und bei der Berliner Bevökerung an Vertrauen zurück gewonnen hat. Erst dadurch - und durch das von einem Kreuzberger Netzwerk initiierte Myfest - gelang es, die Mai-Krawalle mehr und mehr einzudämmen.
Wenn er etwas verabscheue, sei es Gewalt, sagt Körting. Ewig anhaften wird ihm der Satz, der ihm am Abend des 1. Mai 2009 entfuhr, als es gleich zu Beginn der Demo Steine auf Polizisten hagelte: "Das ist wie bei Sexualdelikten. Ist die Frau erst mal ausgezogen und vergewaltigt, dann fällt es anderen leichter, auch mitzumachen." Körting nahm den Vergleich kurz darauf nach harscher Kritik zurück.
Auch dafür, dass er linksextreme Gewalttäter in der Tradition des SPD-Nachkriegsvorsitzenden Kurt Schumacher mit "rot lackierten Faschisten" verglich, wurde er gescholten. Jeder historische Vergleich hinke, verteidigt er sich. Was er dann damit sagen wollte? "Wenn ein Linksextremer einem Rechtsextremen mit den Stiefel ins Gesicht tritt, ist das um nichts edler, weil er ein Linker ist."
So deutliche Wort würde man sich von ihm allerdings auch wünschen, wenn Polizisten ihr Mütchen an Demonstranten kühlen und auf wehrlose Menschen ohne ersichtlichen Anlass eintreten oder prügeln. In diesen Fällen wird Körting merkwürdig stumm und verweist meist auf laufende Ermittlungen.
Von Leuten, die die Verhältnisse nicht kennen, wird der Innensenator manchmal gefragt, wie es sein kann, dass in Kreuzberg am 1. Mai jedes Jahr die Luft brennt. "Das ist ein Ritual, bei dem jeder Spätpubertierende meint, sich abreagieren zu können", antwortet er dann. Das genau sei es, was er den Linksextemisten zum Vorwurf mache: "Das sie mit ihrer Gewalt Maulhurerei bei Leuten, die die Folgen überhaupt nicht absehen, den Eindruck erwecken, sie dürften sich mal richtig austoben."
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