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Initiative für LokaljournalismusGeflüchtete beim Kaninchenzüchter

Das Projekt „Newscomer“ möchte Menschen mit Fluchtgeschichte in den Lokaljournalismus holen. Dafür gibt es nun ein Crowdfunding.

Ann-Kathrin Seidel und Thaer Abughoush vom Newscomer-Team Foto: Abbi Wensyel

Berlin taz | „Medien sind mein Schlüssel, um mich zu integrieren“, sagt Thaer Abughoush. Seit drei Jahren lebt der 26-Jährige mit jordanisch-palästinensischem 
Hintergrund in Deutschland. Der Student ist Gründungsmitglied des Projekts „Newscomer“, das Menschen mit Fluchtgeschichte und Lokaljournalist_innen zusammenbringen möchte. „Ich wünsche mir, dass in einer Lokalzeitung ein Newcomer über die Kaninchenzüchterversammlung berichtet“, sagt er im Newscomer-Crowdfunding-Video.

„Wir matchen und bringen zusammen“, beschreibt Jessica Schober, 28, freie Journalistin aus Hannover, das Modell, nach dem Newscomer arbeiten möchte: Zehn Reportertandems aus LokaljournalistInnen und Menschen mit Fluchtgeschichte sollen in der deutschen Provinz recherchieren.

Mit Lokaljournalismus kennt sich Schober aus. Als „Wortwalz“ wanderte sie durch die Deutschland und jobbte in Lokalredaktionen, die taz berichtete. Zuletzt begleitete sie das Kochkontainerprojekt „Kitchen on the run“, das in fünf Ländern Geflüchtete und Einheimische zusammengebracht hat. In dieser Zeit hat Schober viele Menschen getroffen, die selbst Lust hatten, zu schreiben und nicht nur zu übersetzen.

Die Journalistin will nicht noch mehr über Geflüchtete schreiben, sondern von ihnen lesen. „Da fehlt ein Blickwinkel, weil man zu gewissen Bereichen keinen Zugang bekommt.“ Sie konzipierte zunächst eine Straßenzeitung mit Texten von Geflüchteten, den „Refugee Reporter“. Doch ihr wurde bald klar: Es braucht nicht ein neues Magazin, sondern es wäre besser, bestehende Medien zu nutzen – und das fehlt bislang, gerade in der Provinz. „Es gibt Programme für Exilkolleginnen mit journalistischer Erfahrung, die bei bundesweiten Medien arbeiten, doch es gibt kaum Angebote auf dem Land“, erzählt Schober.

Erste Zeitungen haben schon zugesagt

Bei Newscomer können sich auch Interessierte bewerben, die in ihren Herkunftsländern noch nicht journalistisch gearbeitet haben – wie Thaer Abughoush, der seinen Zugang zum Journalismus über das Bloggen fand an. Auf seinem Blog Almanpress übersetzte er Nachrichten aus Deutschland ins Arabische – bis das Geld ausging. Nun will er selbst recherchieren: „Ich möchte lernen, als Journalist zu arbeiten und beim Newscomer-Tandem mitmachen“, sagt er.

Ein Teil des Newscomer-Teams hat sich schon zu Mentoring-Koordinatoren ausbilden lassen. Im Herbst wollen Thaer Abughaush, Jessica Schober, Patrick Bauer und Ann-Kathrin Seidel einen ersten Workshop in Duisburg abhalten und die Newcomer-Journalisten an passende Redaktionen vermitteln.

Sie hoffen auf die Rückendeckung von Verlagen, teilnehmende Redakteure wöchentlich für mindestens zwei Stunden freistellen. Zusagen gibt es bereits, etwa vom Pfaffenhofener Kurier, der Schwäbischen Post und der Sächsischen Zeitung. Auch Redakteure der Rhein-Main-Zeitung und der Mittelbayerischen sind interessiert.

Crowdfunding

Doch es fehlt noch an Geld, um das Projekt langfristig anzulegen. Trotz erster Unterstützung durch Stiftungen (Netzwerk Recherche e.V., dem Stipendienprogramm Ankommer und der Landesanstalt für Medien NRW) sei es schwer, eine strukturelle Förderung für integrative Projekte zu erhalten. Deswegen setzen die Newscomer auf ein Crowdfunding, um mindestens 10.000 Euro für Trainerinnen, Zugreisen und die Unterkünfte während der Workshops zu sammeln. Es läuft noch bis zum 2. Mai unter: www.startnext.com/newscomer.

Wie die Berichterstattung aussehen könnte, liest sich zum Beispiel in Kolumnen des syrischen Schriftstellers Aboud Saeed, die bei Vice und in der taz (Kolumne „Warum so ernst“) erschienen sind, in der Serie „Neue Heimat“ im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung oder bei #JetztschreibenWir im Tagesspiegel. Es sind Ansätze, die bei den Kolleginnen in den Regionalausgaben weitergedacht werden können – mit und ohne Kaninchenzüchter.

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