Initiative „Selbstbestimmte Sonntage“: Konsum statt Gott
Kaufhäuser beklagen den Boom von Onlineshops. Die Lösung des Problems: reguläre Öffnungszeiten an Sonntagen! Oder?
W ie schön wäre es, die Leere einer Sonntagsdepression mit exzessiven Lebensmitteleinkäufen, frischen Platten und neuen Klamotten, die eine Persönlichkeitstransformation versprechen, zu füllen? Nicht durch den erdrückenden Stillstand auf den Straßen daran erinnert zu werden, dass es da draußen nichts gibt? Die Kirche im Dorf zu lassen und nicht die Ladenöffnungszeiten? Samstagabends im Supermarkt nicht horten zu müssen, weil man weiß, dass selbst im Falle einer Apokalypse der Folgetag Chancen auf Klopapiervorräte und Tiefkühlpizzanachschub bieten wird?
Dieser Wunsch ungeduldiger Konsumhungriger könnte bald in Erfüllung gehen, denn Offline-Kaufhäuser fordern in ihrer Initiative „Selbstbestimmter Sonntag“ flexiblere Ladenöffnungszeiten – um die Onlinekonkurrenz einzuholen. Ihre Begründung: Da Onlineshops durchgängig „geöffnet“ seien, sollten andere Geschäfte sonntags auch gierige Kund_innen begrüßen dürfen.
Es gibt eine Menge Gründe für verkaufsoffene Sonntage, aber der Vergleich mit dem Onlinehandel ist keiner davon. Ich kann zwar rund um die Uhr meinen virtuellen Einkaufskorb füllen, doch beliefert werde ich sonntags nicht, sondern muss ohnehin auf die regulären Werktage warten. Und was ist mit den vielen Bestellungen, die Menschen nachts – ganz gleich, ob nüchtern, be- oder schlaftrunken – aufgeben? Selbst wenn das Kaufhaus in meinem Kiez an einem Dienstag um 3 Uhr geöffnet hätte, würde ich im Pyjama nicht vor die Tür gehen.
Verödung der Innenstädte
Onlineshops sind für Offlineläden in erster Linie deshalb so bedrohlich, weil ihr Sortiment geiler ist: mehr Größen, mehr Farben, mehr Modelle, mehr Vergleich und meistens günstiger, darauf kommt es doch wirklich an. Mir doch egal, ob die spießige Provinzfußgängerzone sonntags mit geöffneten Läden lockt, wenn die Läden alle nichts für mich haben.
Die Verödung der Innenstädte nutzen die Vertreter_innen der Initiative tatsächlich als Argument. Doch was, wenn diese auch dann stattfindet, wenn die Türen der Geschäfte offen stehen? Für das Imageproblem von Stadtzentren können Onlineshops wenig. Da bringt auch das Schmollen von Kaufhäusern nichts, die sich aufgrund der Öffnungsrestriktionen ausgeschlossen fühlen.
Niedersachsens Grüne fordert stattdessen einen Stopp der Höher-schneller-stärker-Mentalität und somit einfach Einschränkungen der Arbeitszeiten in Onlineshops. Hä, soll das heißen, dass dann außerhalb der Geschäftszeiten Webshops deaktiviert werden? Zum Glück nicht.
Faire Löhne statt freier Sonntag
Aber Menschen, die am vermeintlichen Ruhetag Pakete packen und Callcenter-Anrufe entgegennehmen, sollen lieber freibekommen. Das trennt uns einen weiteren Schritt vom grenzenlosen Konsum und der Verdrängung eines christlich geprägten Kalenders. Außerdem wird in vielen Branchen ohnehin sonntags gearbeitet.
Doch ein Funken wichtiger Kritik steckt in ihrem Lösungsvorschlag: Für wen wäre der „selbstbestimmte Sonntag“ überhaupt so befreiend? Für die Menschen, die das Gemotze und Gegrabbel kaufwütiger Kundschaft aushalten müssen, sicherlich nicht. Bekämen diese denn dann wenigstens einen Sonntagsbonus und an anderen Wochentagen frei? Können sie sich aussuchen, ob sie am Sonntag arbeiten möchten?
Um verkaufsoffene Sonntage wirklich genießen zu können, brauche ich die Gewissheit, dass ich meine Gier nicht auf dem Rücken von Verkäufer_innen auslebe, sondern nur auf den Grenzen meines eigenen Dispos. So, wie ich mir auch wünsche, dass die Menschen, die meine Onlinebestellungen bearbeiten, anständig bezahlt werden – denn das ist meistens nicht der Fall. Dafür nehme ich auch gern nur das zweitbeste Angebot.
Obwohl ich Onlineshopping überfüllten Läden immer vorziehen werde, fände ich es richtig gut, wenn Spätis, Supermärkte und andere Geschäfte sonntags regulär offen wären. Für mehr Zeitvertrieb beim Bummeln, Brot am Nachmittag für spätes Frühstück, Zugang zu Snacks, Last-Minute-Geburtstagsgeschenken und die Gewissheit, dass draußen vielleicht doch was los ist.
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