Ingenieurin zum Equal Pay Day: "Transparenz ist das A und O"
Typische Frauenberufe müssten endlich aufgewertet werden, fordert die Ingenieurin Karin Diegelmann. Dann würden dort in Kürze viel mehr Männer arbeiten.
taz: Frau Diegelmann, in Deutschland verdienen Frauen durchschnittlich 23 Prozent weniger als Männer. Bekommen Sie auch weniger als Ihr Kollege?
Karin Diegelmann: Ja, aber das liegt nicht an der Lohnlücke, sondern daran, dass er älter ist und zwei Kinder hat. Ich arbeite in einem Bereich, der angelehnt ist an den öffentlichen Dienst, daher müssten Frauen und Männer gleich bezahlt werden. Das regelt der Tarifvertrag.
Wenn Tarifverträge offiziell nicht nach Geschlechtern unterscheiden, wie kann es dann sein, dass Frauen im öffentlichen Dienst schlechter bezahlt werden als Männer?
KARIN DIEGELMANN 49, ist Bauingenieurin. Außerdem leitet sie die Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt in Darmstadt und ist Mitglied im im Deutschen Ingenieurinnenverband (DIB). Der DIB hat TOP 25 gestartet: Bis 30. April werden die 25 besten Ingenieurinnen Deutschlands gesucht.
Der Tag: Zum vierten Mal findet der Equal Pay Day statt. Bundesweit starten Sozial- und Frauenverbände Aktionen gegen die Entgeltungleichheit. Der Equal Pay Day, jeweils am 25. März, findet zum vierten Mal statt.
***
Hintergrund: Frauen in Deutschland verdienen durchschnittlich 23 Prozent weniger als Männer. "Typische" Frauenberufe werden von vornherein in der Pflege und im Bildungsbereich schlechter bezahlt.
***
Die Politik: Die SPD-Bundestagsfraktion hat in dieser Woche Eckpunkte für ein Entgeltgleichheitsgesetz beschlossen. Es sieht unter anderem Transparenz und Entgeltberichte vor.
Das liegt unter anderem an den oft überholten Tätigkeitsbeschreibungen für die Eingruppierungen und an den Leistungszulagen.
Die Tätigkeitsbeschreibungen für Frauen sind so gemacht, dass sie eine geringere Bezahlung rechtfertigen?
In den Sekretariatsberufen von Unternehmen und Verwaltungen sind fast ausschließlich Frauen beschäftigt. Heute sind das aber vielfach anspruchsvolle Managementassistenztätigkeiten. Die Beschreibungen sind aber nicht angepasst worden, und die Jobs werden nach den alten Profilen schlechter bezahlt.
Sind Frauen selbst schuld, wenn sie das mitmachen?
Nein. "Typische" Frauenberufe, vor allem auch jene in der Pflege sowie im Gesundheits- und im Bildungsbereich, sind unabdingbar für unser Sozialsystem. Deshalb müssen diese Berufe dringend aufgewertet werden. Wenn die besser bezahlt würden, würden dort in Kürze viel mehr Männer arbeiten. Und zwar auf allen Ebenen und nicht nur in Leitungspositionen, wie das jetzt der Fall ist.
Berechnungen zeigen, dass eine sechsmonatige berufliche Unterbrechung, beispielsweise durch Elternzeit, eine Lohneinbuße von 9 Prozent ausmacht. Nach einem Jahr sind es schon 15 Prozent. Müssen Frauen künftig auf die Elternzeit verzichten, nur um finanziell den Anschluss zu halten?
Diese Lücke kann man leicht schließen. Indem Mütter und Väter verpflichtet werden, zu gleichen Teilen Elternzeit nehmen.
Das müssen vor allem die Unternehmen mitmachen.
Natürlich. Arbeitgeber müssten dann auch bei einem jungen Mann einberechnen, dass er wegen Elternzeit eine Weile ausfällt. Das ist ein Gewinn für alle: Mütter und Väter sind bei den Kindern, Unternehmen profitieren von den Potenzialen der Frauen und die leidige Lohnlücke entfällt.
Norwegen und Schweden veröffentlichen jährlich Gehaltslisten im Internet. Jeder kann sehen, was der Chef, der Politiker, der Kollege verdient. Ist das auch in Deutschland vorstellbar?
Transparenz ist das A und O. Wenn es die gibt, dann können Frauen auch jene Summe einfordern, die ihnen im Vergleich zu Männern verweigert wird.
Sie sind Ingenieurin geworden. Weil Sie wussten, dass es hier mehr zu holen gibt?
Meine Eltern hatten für mich einen typischen Frauenberuf vorgesehen: Lehrerin. Weil der ja schön mit der Familie vereinbar ist. Aber das machte mir keinen Spaß, ich sattelte einfach um. Zum Schrecken meiner Familie.
Nur jede zehnte Ingenieur ist eine Frau. Haben es Ingenieurinnen unter Männern schwer?
Ich habe gerade ein Haus gebaut, als Bauleiterin. Aber ich wurde ständig gefragt: Wo ist denn der Chef? Beim Titel Ingenieur wird nach wie vor ein Mann erwartet. Uns Frauen wird technisches Verständnis abgesprochen, wir müssen beweisen, wie gut wir sind. Hier muss mit den Rollenbildern aufgeräumt werden.
Viele Mädchen wollen heute lieber Friseurin werden als Mechatronikerin.
Hier ist Aufklärung gefragt, besonders in der Schule. Wenn ein Mädchen weiß, dass eine alleinerziehende Verkäuferin in Teilzeit sich und ihr Kind nicht ernähren kann, eine alleinerziehende Ingenieurin in Teilzeit aber schon, entscheidet sie sich vielleicht anders.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau