Indische Teepflücker: Sklavenähnliche Abhängigkeit
Indien hat die Kolonialherrschaft seit über 60 Jahren hinter sich gelassen. Auf den Teeplantagen in Westbengalen hat sich nicht viel geändert.
BUNDAPANI ap | Es war eine üble Plackerei auf der Teeplantage, und mit dem mageren Lohn von umgerechnet 1,20 Euro pro Tag kamen die Arbeiter gerade so über die Runden. Doch nach der Schließung ihres Unternehmens im Anbaugebiet von Indiens berühmtem Darjeeling ist für die Menschen alles noch schlimmer geworden. Mit ihren Arbeitsstellen verloren Hunderte Beschäftigte auch Lebensmittelrationen und die medizinische Versorgung.
Der 59-jährige Ramesh Mahali kann inzwischen vor Schwäche kaum noch stehen. „Ich bin ein Bettler geworden“, sagt er. Seine Frau Puliya, die mit ihren 50 Jahren gut zwei Jahrzehnte älter aussieht, sitzt völlig ausgezehrt am Boden.
Hinter der Schließung von insgesamt fünf Plantagen in Westbengalen werden vor allem Managementfehler vermutet. Die meisten Konkurrenzbetriebe arbeiten noch. Doch hat die indische Teeindustrie insgesamt Einbußen hinnehmen müssen. Und die Folge der Pleite einzelner Firmen lenkt den Blick auf das Elend vieler Beschäftigten in dem traditionsreichen Zweig der indischen Landwirtschaft.
Zwei Monate benötigten die Behörden, bis sie auf die Lage auf der Plantage Bundapani aufmerksam wurden. Allein in dieser Zeit starben sieben Arbeiter, seither ist die Zahl der Toten weiter gestiegen. Die Hilfsorganisation Recht auf Nahrung geht von mindestens 69 Todesopfern auf Bundapani und den vier anderen geschlossenen Plantagen aus.
Mehr als 16.000 Menschen leben auf den Plantagen in den Duars-Ebenen unterhalb von Darjeeling in extremer Armut. Die Regierung brachte Soforthilfe in Form von Nahrungsmitteln und Medikamenten auf den Weg, was aber nicht ausreichte. Trotzdem starben in den vergangenen acht Monaten 14 weitere Menschen nur in Bundapani, entweder an Hunger oder wegen der unzureichenden medizinischen Versorgung.
Wenn die Plantagen nicht geschlossen worden wären, „wären diese Menschen nicht gestorben“, sagt Anuradha Talwar, eine Aktivistin von Recht auf Nahrung. „Diese Menschen sind in einer Lage, in der sie sich nicht einmal die grundlegenden Dinge zum Überleben leisten können.“ Zwei Kilogramm Reis bekommen die Arbeitslosen pro Woche. Diese Menge ist geringer als die Standardhilfen in Flüchtlingslagern.
Regierung hält sich zurück
Der Umgang mit den Arbeitern verdeutlicht, dass sich die indische Teeindustrie seit der Kolonialzeit kaum verändert hat. Die Regierung unternimmt nur wenig, um Plantagenbesitzer zu bestrafen, die ihre Arbeiter einfach sich selbst überlassen. Diese sind für ihr Überleben viel zu oft auf den guten Willen der Arbeitgeber angewiesen. „Das ist eine Art letztes Überbleibsel einer freimütig kolonialen Beziehung“, sagt Harsh Mander, Sondergesandter für Nahrung beim Obersten Gerichtshof in Indien.
Im Gegensatz zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft haben die Arbeiter heute das Recht zu gehen und Zugang zu einer kostenlosen Grundschulausbildung. Aber sie sind für Unterkunft und Nahrung von den Plantagen abhängig. Damit hat sich in der Praxis kaum etwas verändert.
Plantagen gibt es auch in anderen indischen Unionsstaaten, die Arbeitsbedingungen in Westbengalen gelten jedoch als die schlimmsten. Die meisten der 200 000 Arbeiter dort erhalten 95 Rupien – umgerechnet rund 1,20 Euro – pro Tag und damit nur zwei Drittel des staatlichen Mindestlohns. Sie liegen gleichzeitig unter der Grenze von umgerechnet etwa 1,60 Euro pro Tag, ab der die Vereinten Nationen von extremer Armut sprechen.
Um mit dem geringen Lohn überhaupt überleben zu können, erhalten die Arbeiter von den Großgrundbesitzern zusätzliche Hilfen wie Lebensmittel, Unterkunft und medizinische Versorgung im Wert von etwa 65 Rupien pro Tag. Mit der Schließung einer Plantage fallen diese Hilfen weg.
Der Eigentümer klagt
Nach den fünf Schließungen in Westbengalen gibt es viel Kritik. Die Eigentümer zögen den Stillstand in die Länge, heißt es. Sie hätten Klagen eingereicht, damit ihre Plantagen nicht unter einem neuen Besitzer wieder eröffnet werden können. Allein drei der Plantagen gehörten einem Mann: Robin Paul, einem Unternehmer aus Kolkata.
Der 71-jährige Sunil Bakhshi, der viele Jahre als Bürovorsteher für Paul arbeitete, sagt, er sei seit 2003 nicht mehr bezahlt worden. „Wir haben nicht genug zu essen“, erklärt er. „Man sagt uns, wir sollen unsere Arbeit machen, dann würden unsere Löhne schon bald bezahlt.“ Paul wollte sich zu den Vorwürfen auf Anfrage nicht äußern.
Die bengalische Ministerpräsidentin hat die Zentralregierung aufgefordert, die geschlossenen Plantagen zu übernehmen. Rechtlich wäre das möglich. Der Beauftragte für Arbeitsfragen in Westbengalen, M.D. Rizwan, erklärte, die Regionalregierung habe die Verhandlungen aufgenommen, um die Plantagen schnell wieder zu öffnen.
Die Arbeiter könnten nur warten, sagt Bakshi. „Wir sind hilflos.“
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