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Indische Polizei schießt auf Hindus

Polizei und militante Hindus kämpfen um die Symbolstadt Ayodha/ 16 Tote bei Auseinandersetzungen 100.000 Menschen landesweit in Haft/ Auch Vizefraktionsführer der BJP wurde festgenommen  ■ Aus Neu-Delhi Michael Schied

Durch ein massives Aufgebot an Sicherheitskräften versuchte die indische Regierung gestern den Bau eines Hindutempels auf dem Gelände der Moschee in Ayodhya, mit dem um genau 9.44Uhr begonnen werden sollte, zu verhindern. Jedoch gelang es im Laufe des Tages zehntausenden der hinduistischen Marschierer, den Polizeiring zu durchbrechen und auf dem umstrittenen Gelände eine „Pooja“ (Gottesdienst) abzuhalten. Die Polizei setzte Tränengas ein, verhaftete zunächst mehrere tausend Demonstranten, wurde von der Bevölkerung Ayodhyas mit Steinen beworfen und eröffnete schließlich das Feuer, um die Masse abzudrängen. Bis zum Nachmittag gaben verschiedene Quellen die Zahl der Todesopfer zwischen fünf und 16 an. Nach Augenzeugenberichten kletterten manche Demonstranten auf den Turm der Moschee, gefolgt von Polizisten, die sie aus 15 Meter Höhe wieder hinunterwarfen. Im Innern des Heiligtums kam es ebenfalls zu Zusammenstößen. Berichte von Zerstörungen an der Moschee wurden zunächst nicht bestätigt.

Ayodhya glich nach Augenzeugenberichten in den letzten Tagen einer belagerten Festung. Die wichtigsten Grenzübergänge des Unionsstaates Uttar Pradesh, in dem Ayodha liegt, sind schon seit Tagen nahezu unpassierbar. Züge nach Ayodha und Umgebung wurden gestrichen. Über Indore, Jaipur und eine Reihe von anderen Städte wurden Ausgangssperren verhängt. Ein von der radikal-hindustischen „Vishwa Hindu Parishad“ (VHP) ausgerufener Generalstreik im nordwestlichen Unionsstaat Gujarat wurde weitgehend befolgt. Auch in dem südindischen Unionsstaat Karnataka soll es zu Unruhen gekommen sein.

Mittlerweile sind landesweit etwa 100.000 Personen im Zusammenhang mit dem Ayodha-Marsch verhaftet worden. Unter ihnen ist seit Montag auch der Ex-Außenminister und Fraktionsvorsitzende der BJP im Unterhaus, Atal Behari Vajpayee. Er hatte versucht, eine Gruppe von „kar sewaks“, wie die Anhänger des Hindutempels hier genannt werden, auf dem Weg nach Ayodha anzuführen.

Der Verlauf des Tages selbst wurde von allen Beobachtern als Wendepunkt in der Geschichte des unabhängigen Indiens angesehen. Die führende Tageszeitung 'Times of India‘ bezeichnete ihn gestern sogar als die „Stunde Null“. Allen ist klar, daß sich mit diesem Tag auch das Schicksal der Regierung V.P. Singh verbindet. Am 7.November wird im Unterhaus die Vertrauensfrage gestellt. Bis dann will „VPS“ Zeit gewinnen, um im Parlament eine Mehrheit präsentieren zu können. Wie er das jedoch bewerkstelligen will, fragt sich in Delhi fast jede/r. Er hat eine „sichere Bank“ von 188 Abgeordneten, benötigt jedoch 273 Abgeordnete. So liegt seine politische Zukunft in den Händen der Kongreßpartei von Rajiv Gandhi, die mit 195 Abgordneten die größte Fraktion stellt. V.P. Singh hofft, daß zumindest einige Kongreßabgeordnete sich der Stimme enthalten werden. Dafür wird er jedoch einen politischen Preis zahlen müssen.

Noch ist nicht klar, ob V.P. Singh dann möglicherweise durch einen anderen Vertreter seiner Janata-Dal- Partei ersetzt wird oder die Kongreßpartei als stärkste Fraktion einen Premier stellen wird. Auch Neuwahlen sind nicht auszuschließen. Verschiedene Politiker erklärten jedoch, daß die Situation im Land zu angespannt sei, um jetzt Wahlen abzuhalten zu können.

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