piwik no script img

Indiens Autokonzern TataDie Kolonie schlägt zurück

Der indische Autokonzern Tata kauft die britischen Traditionsmarken Jaguar und Land Rover. Die Erfolgsgeschichte eines Unternehmens, das für den Aufschwung eines ganzen Landes steht.

Tata macht nur Billigautos? Von wegen - demnächst laufen feinste Royalmarken vom Band.

Das ist Tata

1868 von Jamsetji Tata als Handelsgruppe gegründet, hat Tata seinen Hauptsitz heute im Bombay House in Indiens Metropole Mumbay. Der Konzern operiert weltweit, unter anderem und vor allem in den Branchen Stahl, Automobile, Computertechnologie, Kommunikation, Energie, Tee und Hotels. Das Familienunternehmen wird in der fünften Generation von Ratan Tata geführt und beschäftigt fast 290.000 Arbeiter. Das Einkommen der Tata-Gruppe belief sich von 2006 bis 2007 auf 28,8 Milliarden US-Dollar. Der Börsenwert wird derzeit bei über 56,5 Milliarden Dollar notiert. Bevor der Konzern Jaguar und Land Rover erwarb, übernahmen die Inder aus Großbritannien im Jahre 2000 bereits das Traditionsunternehmen "Tetley Tee" und 2007 den Stahlriesen "Corus Steel".

Dem überzeugten Briten gefriert vor Schock das Blut in den Adern, wenn er nur daran denkt: Könnte ein neuer James Bond vielleicht singen und tanzen, mit dem Kopf wackeln und auf sattgrünen Wiesen herumtollen? Ginge das, nun da sich ganz Großbritannien in einer Art nationalem Selbstfindungsprozess befindet?

Alle Jahre wieder sucht ein ganzes Land den Agenten, der im Namen ihrer Majestät operieren darf. Es scheint, als wäre diese Frage nun aber schon im Vorfeld geklärt. Wenn der blonde Daniel Craig nicht mehr will, dann wird der nächste Bond wieder dunkelhaarig. Und dunkelhäutig. Den nächsten Bond muss folgerichtig Bollywoodstar Sharukh Khan mimen - schließlich haben die Inder, wie man weiß, die Null erfunden. Zeit also, die Doppelnull flugs in indische Hände zu übergeben.

Was noch nach irrer Zukunftsmusik klingt, hat doch Chance, Wirklichkeit zu werden. Denn Indien schlägt gegen den kläglichen Rest Empire endgültig zurück. Erst wurden die britischen Städte flächendeckend mit Curryhäusern überzogen, dann folgte die popkulturelle Eroberung durch das Massenmasalakino, und jetzt übernimmt der indische Konzern Tata auch noch die britischen Vorzeigemarken Jaguar und Land Rover für 1,5 Milliarden Euro. Goodness gracious me!

Seit dieser Woche gehören die Vehikel und damit auch die Insignien der britischen Macht nicht mehr dem US-Unternehmen Ford, was durchaus auch als unglücklich verlaufene Kolonialgeschichte betrachtet werden könnte, sondern Tata Motors aus Indien. Jenem Autobauer, der im Januar mit dem billigsten Auto der Welt Schlagzeilen machte. Jaguar, der Dienstwagen des britischen Premiers, und der Land Rover der Queen werden also ab jetzt von einem Unternehmen produziert, das bisher überwiegend für den Bau von Lastkraftwagen bekannt war. Es ist die Manifestation eines Rollenwechsels, die Tata als Gesicht der indischen Wirtschaft vorantreibt. Während der Stolz der britischen Industrie, die eleganten Automarken, an ausländische Besitzer wechseln, sammelt Tata ganz selbstverständlich Beteiligungen an Firmen aus der ganzen Welt - oder sackt sie mit seinem starken finanziellen Polster gleich ganz ein: die Traditionsmarke Tetley Tee, den Stahlkonzern Corus, das Ritz-Carlton in Boston. Mit den prestigträchtigen, wenn auch nicht immer verkaufsstarken Automarken Jaguar und Land Rover aber kommt die Einkaufstour zu ihrem Höhepunkt. Nun muss auch der letzte Sloane Ranger erkennen, dass Indien nicht mehr despektierlich als "Dritte Welt" bezeichnet werden kann.

Zwar holt sich Tata mit Jaguar und Land Rover einen Rattenschwanz an finanziellen Verpflichtungen ins Portfolio, doch können sie es sich gleichzeitig auch gelassen leisten, zu behaupten, dass erst mal alles beim Alten bleibt. Der Mischkonzern aus Mumbai ist ein gutes Symbol für den Wandel von Bittsteller zum Hausherr.

Den ersten Schritt dieses Wandels vollzog der Gründungsvater des Tata-Konzerns, Jamsetji, der sein Vermögen mit den Empress Mills gemacht hatte. Anfang des 20. Jahrhunderts baute er an der östlichen Küstenlinie Mumbais, dem sogenannten Apollo Bunder, das Taj Mahal Hotel. Als Inder durfte er nicht in einem anderen Luxushaus übernachten und beschloss daraufhin, einen Ort zu bauen, an dem auch Inder Zutritt hatten. Und das Taj in seiner Pracht wurde keine Verlegenheitslösung: Noch heute überstrahlt der Glanz des Hotels den aller anderen an dem prominenten Platz. Das gewisse Schnippchenschlagen scheint seit langem und tief in die Firmenphilosophie und -legende von Tata eingeprägt zu sein.

So erstaunt es in Indien nicht, dass gerade Tata die englischen Edelmarken übernommen hat. "Vom Minister bis zum Analysten sind alle ganz aus dem Häuschen", berichtet Olga Tellis, Chefredakteurin der indischen Tageszeitung Asian Age in Mumbai. Denn Tata genießt in Indien nicht nur Bekanntheit, sondern auch einen guten Namen. "Tata hatte immer den Ruf, offen und transparent zu arbeiten", sagt sie. Auch Gurcharan Das, Autor und Wirtschaftsexperte, schreibt in seinem Buch "India Unbound" über Tata, dass die Firma in Indien stets für ihre Integrität bewundert wurde - obwohl sie in vielen ihrer Geschäftsbereiche eine Monopolstellung hielt. Er schildert ein Zusammentreffen mit Jehangir Ratanji Dadabhoy Tata, bekannt als J.R.D., dem Onkel und Vorgänger des heutigen Firmenchefs Ratan Tata, genannt RNT. "Nein, lieber Junge", soll dieser gesagt haben, als es um die Frage seines Einflusses auf die Politik ging, "ich bin machtlos."

Diese gefühlte Machtlosigkeit mag freilich auch im streng reglementierten indischen Wirtschaftssystem vor 1991 als Untertreibung gelten, doch es ist gerade dieses Tiefstapeln, das Tata in Indien so beliebt macht - trotz milliardenschwerer Expansionen. "Wir sind nicht länger ein Unternehmen, das übersehen werden kann", sagt RNT zwar im Interview mit dem indischen Wirtschaftsmagazin Businessworld. Doch wichtiger als eine steigende Gewinnmarge sei ihm, dass er bedächtig einen geeigneten Nachfolger aussuchen kann. "Die Person muss unsere Werte erhalten, denn sie sind, um bildlich zu sprechen, die DNS, ja die Kronjuwelen der Gruppe. Man könnte das Spiel wie die anderen spielen, würde wahrscheinlich schneller wachsen und vielleicht wäre das sogar profitabler, aber dann wären wir wie jeder andere."

Es gehört eben zum Mythos von Tata, nicht wie jedes andere Unternehmen zu sein. Sicher ist, dass die Tata-Gruppe mit ihren fast 100 einzelnen Firmen und 289.500 Beschäftigten in 80 Ländern ein riesiger Organismus ist, der vom Bombay House in Mumbai aus gesteuert wird. Vor 1991 war Tata eher am einheimischen Markt orientiert. Die nun vorangetriebene, massive Expansion ins Ausland indessen hat nicht nur firmenphilosophische oder geostrategische Gründe. Denn mit dem überhitzten indischen Markt ist es für Firmen wie Tata nicht nur prestigeträchtiger, in ausländische Firmen zu investieren, oft ist es auch einfacher. Wo sonst finden sich so viele starke, aber heruntergewirtschaftete Marken wie in Europa? Und auf dem Binnenmarkt kennt man ja schon jetzt das Subjekt, für dessen Erforschung ausländische Firmen wie LOréal und Unilever, Volkswagen und Nokia ein Heidengeld ausgeben: den indischen Verbraucher.

Die gute Nachricht für die Tata-Gruppe ist, dass sie dem indischen Verbraucher auch näher ist als andere Firmen, ja sogar als Identifikationsfläche dient. Was sie schafft, das schafft auch Indien. So steht der Konzern mit all seinen Unternehmen als Symbol für das, was die Welt von diesem Land erwarten kann. Und das ist eben mehr als Singen, mit bunten Schals wedeln und Anrufe im Call Center akzentfrei entgegennehmen.

Als Rover bezeichnet man im Englischen übrigens auch solche Gefährte, die zur Erkundung fremder Planeten genutzt werden. Es scheint, als habe Tata mit Land Rover schon seinen England-Rover ausgesetzt. Ein singender James Bond in einem Marsfahrzeug wäre da doch bestenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!