Indie aus Hamburg & Ostholstein: Wut und Romantik
Die Musiker der Hamburger Band Findus kommen vom Land. Auf ihrem Album „Vis a Vis“ erzählen sie von Mietenwahnsinn, Flüchtlingspolitik und Großbaustellen.
HAMBURG taz | Statt mit Bier wird mit Kaffee in Pappbechern angestoßen: „Prost, allerseits.“ Es ist elf Uhr morgens, eine höchst unfreundliche Zeit für Rockbands. Doch Timo, Stefan und Lüam, drei Fünftel der Hamburger Band Findus, sind schon hellwach, sie sprudeln förmlich vor Energie. Was gibt es zu feiern? Vielleicht das Leben. Oder die bevorstehende Veröffentlichung des dritten Albums namens „Vis a Vis“.
Wie man den Findus-Sound nun nennen möchte, ob Post-Punk, Indie, Pop oder irgendwas dazwischen, ob man Findus mit Kettcar, Turbostaat oder den Strokes vergleicht, das ist den Bandmitgliedern ziemlich egal. Nicht ohne Stolpersteine ist das neue Album entstanden, aber das würde man den vergnügten Erzählungen der Band nicht anmerken. Mitten im Entstehungsprozess verließ Gitarrist Moritz die Band. Nach einem kurzen Schock wurde im Freundeskreis gesucht und schließlich mit Danny Steinmeier Ersatz gefunden. Doch es gab da einen kleinen Haken. Der Bandneuling war Schlagzeuger, das Gitarrespielen musste er erst lernen.
70 Tage im Jahr auf Tour
Das ging glücklicherweise schnell, und so fanden Findus innerhalb weniger Monate wieder zur Funktionstüchtigkeit zurück. „Uns war wichtiger, dass wir einen guten Typen dabei haben, als dass wir den neuen Jimi Hendrix ins Boot holen“, sagt Sänger Lüam. Und Timo, Findus-Schlagzeuger, setzt hinzu: „Wir sind etwa 70 Tage im Jahr auf Tour, Tendenz steigend. Da muss man sich vor allem mögen und gut miteinander können.“
Wenn Findus über die Arbeit der Band sprechen, klingt das nach einem harmonischen Miteinander. Basisdemokratie wird groß geschrieben, per Zettel wurde abgestimmt, welche der dreißig gesammelten Lieder es auf das Album schaffen und welches der Titelsong wird. Für intensive Proben mieteten sich die Fünf drei Mal für eine Woche in Ferienhäuser in Dänemark oder an der Ostsee ein. Dort fanden sie Zeit und Ruhe zum Schreiben und Musikmachen, aber auch für Gespräche über Kunst und Ästhetik am Küchentisch.
Wurzeln in der Provinz
Kennengelernt und formiert haben Findus sich ursprünglich in Ostholstein. Dort haben die Brüder Kristian und Stefan, Gitarre und Bass, sowie Sänger Lüam ihre Wurzeln. Die Provinz und die gemeinsame Emanzipation davon schweißten zusammen, der jugendliche Wunsch nach Anarchie und Ausbruch trieb in den Bandkeller.
2009 erschien ihr erstes Album „Sansibar“, es folgten das zweite namens „Mrugalla“ und Touren mit Kettcar und Turbostaat. Heute sind Findus deutschlandweit unterwegs, und doch spielt die gemeinsame Sozialisation immer noch eine Rolle. Timo, ebenfalls ein Kind der Provinz, sagt, das Aufwachsen auf dem Dorf habe ihm etwas Wertvolles mit auf den Weg gegeben: „Wenn einen etwas nervt, dann muss man es selbst anpacken und verändern.“
Musik ist eine Art, etwas anzupacken, und so hat Politisches auch wie selbstverständlich Platz in den Songs von Findus. „Uns beschäftigen einfach die Dinge um uns herum“, erklärt Lüam, „wir nehmen uns nicht aktiv vor, politische Lieder zu machen.“ Ihre Wahlheimat Hamburg versorgt sie vielmehr täglich mit den Nachrichten, die es braucht, um politische Dringlichkeit zu verspüren. „Hamburg, du Mörder / dir fehlt die Wut“, schimpft Lüam etwa in „Vis a Vis“, dem Titelsong des neuen Albums.
Auch wenn im Vagen gehalten ist, was damit gemeint ist, kann sich doch jeder Hamburger unschwer etwas darunter vorstellen: Es wird sich viel beschwert, über Mietenwahnsinn, Flüchtlingspolitik und Elbphilharmonie, aber dann wird einmal geschluckt und mitgemacht: 450 Euro für’s WG-Zimmer, die Wochenenden werden in Bars statt auf Demos verbracht.
"Langeweile tötet"
Wirkliches Aufbegehren findet oft nicht statt oder verläuft schnell im Sand, wie die Proteste des letzten Winters. Findus wollen es nicht beim bloßen Anprangern belassen. Sie wissen, dass sie als hippe Mittzwanziger Teil der Entwicklungen sind, die ihnen nicht passen. „Langeweile tötet / mir fehlt die Wut“, heißt es dann auch selbstkritisch ein paar Liedzeilen weiter.
Aber auch vor Gefühlen und Zwischenmenschlichem als Themen für ihre Songs schrecken Findus nicht zurück. Mal werden persönliche Erfahrungen und Begegnungen in fragmentarische Momentaufnahmen, mal in kleine Erzählungen eingebunden. Der Song „Nachtwache“ etwa ist eine Geschichte über Krankenhausbesuche. „Scheiß auf die Nachtwache / ich besuche dich / in jedem Krankenhaus der Welt“, singt Lüam im Refrain. Das klingt nach Aufbruch, nach anarchischer Romantik und all den kleinen und großen Gefühlen und Momenten, die damit verbunden sind. „Nachtwache“ bleibt als Ohrwurm im Kopf.
Es ist der geschickte Wechsel zwischen politischen und persönlichen Themen, erzählerischem und metaphorischem Stil, der die Texte der Songs auf „Vis a Vis“ charakterisiert und ebenso stimmig wie abwechslungsreich macht. Mal wird, wie in „Buhmann“, vor sich hin sinniert: „Wann kommen wir wieder nach Hause / wer holt uns ab / und wer bringt uns raus?“ Nur um ein paar Zeilen später der Metaphysik einen Stinkefinger zu zeigen: „Wir zeigen, was wir haben / und suhlen uns im Dreck.“ Das neue Albums ist rund geworden. Das ist sicher auch der Arbeit mit den Produzenten und Tontechnikern Hauke Albrecht und Torsten Otto, die vorher bereits mit Bands wie Tocotronic, Die Happy oder Turbostaat gearbeitet haben, zu verdanken.
Findus: „Vis a Vis“ (Delikatess Tonträger)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style