In eigener Sache: taz-Vorstand antwortet auf Kritik
Auch der Vorstand bedauere den Verlust der NRW-taz. Nur man könne nicht beschließen, "Geld zu haben, was wir nicht haben", erklärt taz-Vorstand Bernd Pickert in seiner Antwort. Es seien überdies viel weniger Abos gewonnen worden, als die taz-NRW suggeriere.
Liebe FreundInnen der taz,
in den zahlreichen Kommentaren und Mails, die uns zur Einstellung der taz-NRW erreicht haben, sind eine ganze Anzahl oft wiederkehrender Fragen enthalten, die ich gern noch einmal aus der Sicht eines Vorstandsmitglieds, das den Beschluss vom Montag mitträgt, beantworten möchte. Vorab: Wir teilen mit Ihnen - oder wenigstens: den allermeisten von Ihnen - die Trauer über den Verlust des NRW-Teils.
Die Presselandschaft und -vielfalt in NRW ist eine Katastrophe; die NRW-taz konnte dem durchaus etwas entgegensetzen - und gerade in einer Zeit, wo nach unserer Auffassung die journalistische Qualität des Regionalteils und seine politisch-publizistische Relevanz endlich auf gutem Niveau angelangt war, geht uns finanziell die Puste aus, den Regionalteil weiter zu finanzieren.
Das ist bitter und ärgerlich. Nur: Wir können als taz-Vorstand nicht beschließen, Geld zu haben, das wir nicht haben.
Auf die Gefahr hin, dass es ein bisschen kompliziert wird, will ich versuchen, unsere Kalkulation darzustellen:
Auf der Kostenseite war in NRW nichts mehr zu verändern - nach Schließung der lokalen Fensterseiten und Zusammenlegung der Redaktion am neuen Standort in Düsseldorf waren die Kosten nicht weiter zu senken. Das wäre weder der Redaktion, die ohnehin schon unglaubliches leistete, noch der Qualität der Ausgabe zuzumuten gewesen. Doch trotz dieser Einsparungen entstanden auch im Jahr 2006 weiterhin Verluste von über 300.000 Euro. Diese schrieben sich immer weiter fort: Im Mai 2007 etwa erwirtschaftete die taz-NRW Erlöse von 17.500 Euro, denen Kosten von rund 64.000 Euro gegenüberstanden.
Selbst wenn man die erhöhten Kosten der Rettungskampagne herausrechnet, bleibt ein Verlust von rund 30.000 Euro - in nur einem Monat. Das konnten wir nicht weiter finanzieren. Weder die Abozahlen noch die Anzeigenerlöse erfüllten zu irgendeinem Zeitpunkt die in den NRW-Teil gesetzten Erwartungen.
Die waren übrigens, insbesondere von Seiten des Vorstandes, überaus hoffnungsvoll gewesen: Wir hatten uns ja gerade deshalb für das tägliche Erscheinen eingesetzt und mit der Entwicklungs-KG ein Finanzierungsinstrument geschaffen, weil wir auf die Regionalisierung als Entwicklungsstrategie setzen wollten.
Umso seltsamer mutet es an, in vielen Kommentaren als Zentralisten aus Berlin beschimpft zu werden, die den Wert einer Regionalausgabe nicht verstehen würden. Schon auf der Genossenschaftsversammlung im September 2006 haben wir darauf hingewiesen, dass 2007 das Jahr der Entscheidung darüber wird, ob die NRW-Ausgabe weitergeführt werden kann oder nicht. Der Grund: Die Gelder der taz-Entwicklungs-KG, die seit dem Beginn des täglichen Erscheinens der taz NRW im Jahr 2003 über 2 Mio. Euro nach NRW investiert hat, sind aufgebraucht; die taz NRW musste im Eiltempo auf wirtschaftlich gesunde Füße kommen.
In gemeinsamen Sitzungen mit den MitarbeiterInnen der verschiedenen Abteilungen in NRW, des Marketings hier im Haus, der Anzeigenakquise in NRW uvm. haben wir versucht, Ideen für eine Kampagne zu entwickeln, die im Frühjahr laufen und ausreichend Abonnements bringen sollte, um einen Weiterbetrieb zu ermöglichen. Herausgekommen ist eine bunte, vielfältige und kreative Rettungskampagne die, im wesentlichen getragen vom schier unermüdlichen Engagement der NRW-Redaktion, zahlreiche angenehme Kontakte und einige neue Abonnements brachte. Den Sprung aber, den Vorstand und Aufsichtsrat als notwendig erachtet und seit Januar auch mit den KollegInnen in NRW als Zielvorgabe besprochen haben, 1.000 zusätzliche Abos zu gewinnen, hat die Kampagne nicht gebracht.
Das Ziel wurde leider wesentlich deutlicher verfehlt, als es die von den NRW-Kollegen ins Spiel gebrachte Zahl von 817 Neuabos suggeriert. Zur - laut NRW-Redaktion intransparenten, ihnen allerdings wohlbekannten - Berechnungsgrundlage: Wir rechnen mit so genannten "Abos über Trend", das heißt: Wir gucken uns die überregionale Abo-Entwicklung generell an, vergleichen sie mit der in NRW und schreiben alle Abos, die dort mehr gebucht werden als der bundesweite Trend vermuten lassen würde, der Existenz eines attraktiven Regionalteils zu.
Da die Aboentwicklung der taz insgesamt leider seit geraumer Zeit stagniert, sind die Über-Trend-Zahlen in NRW sogar besser als die absoluten Zahlen zusätzlich gewonnener Abos (aber eben nicht identisch mit Neuabos, weil dann auslaufende Abos und Kündiger nicht mitberücksichtigt sind). Ein Stagnieren in NRW bei gleichzeitigem Rücklauf der gesamten taz-Abonnementauflage kann also zu einer rechnerischen Steigerung der NRW-Abos über Trend führen - und das hat ja auch Sinn, wenn man wissen will, ob ein NRW-Teil von den LeserInnen goutiert wird oder nicht.
Kurz: Die "intransparente" Über-Trend-Berechnung war die einzige, die überhaupt einen wirtschaftlichen Erfolg der NRW-Ausgabe messbar machte. Denn: In NRW belieferte die taz in der 45. Kalenderwoche 2003, also vor Beginn des täglichen Erscheinens des NRW-Teils im Dezember, 9.478 AbonnentInnen.
Ziel der Entwicklungs-KG war es, diese Zahl im größten deutschen Bundesland binnen fünf Jahren um 5.000 zu steigern und auch entsprechend lange zu investieren. Da die KG das allerdings nicht konnte, weil sie wegen der Abschaffung der Steuerersparnis seitens der großen Koalition nicht 5, sondern nur rund 3 Millionen Euro Kapital akquirierte, schraubten wir die Kosten so herunter, dass auch mit 3.000 zusätzlichen Abos (bis Anfang 2009) ein wirtschaftlicher Betrieb gewährleistet gewesen wäre.
Unser Ziel war es, im Jahresdurchschnitt 2007 schon einmal auf durchschnittlich 1.500 Abos über Trend zu kommen, also 500 mehr als jene rund 1.000, die es 2006 waren. Um das zu erreichen, mussten bis Jahresmitte 1.000 zusätzliche über Trend gewonnen werden - daher die Zielvorgabe. Wenn wir das Ziel erreicht hätten, wäre trotzdem auch im kommenden Jahr noch einmal die gleiche Steigerung um weitere 1.000 Abos über Trend notwendig gewesen. Tatsächlich haben wir drei Jahre nach Einführung des täglichen Regionalteils, in absoluten Zahlen gerade einmal rund 150 Abos zusätzlich in NRW verkauft (45. Kalenderwoche 2006: 9.616 Abos). Das entsprach aufgrund der nationalen Aboentwicklung trotzdem rund 1.000 Abos über Trend.
Zum Ende der Rettungskampagne vor Beginn der Sommerferien waren wir bei einem Höchststand von 9.854 Abos, zuzüglich rund 900 neu gewonnener 5-Wochen-Probeabos, bei denen wir hoffen durften, dass ein Teil zu Vollabos umgewandelt werden würde. Das hätte eine Steigerung der Abos über Trend um - hoffnungsvoll gerechnet - rund 400 ergeben. Und das ist denn doch einfach viel viel viel zu wenig, und von den notwendigen 1.000 einfach zu weit entfernt - selbst wenn es in Vorstand und Aufsichtsrat angesichts des großen Engagements vieler in NRW eine deutliche Bereitschaft gab, die Zahlen überaus wohlwollend auszulegen.
Wir mussten ja auch daran denken, wie es weitergeht: Eine weitere NRW-Rettungskampagne im nächsten Jahr wäre niemandem mehr zu vermitteln gewesen - und wir hätten auch die gar nicht mehr finanzieren können. Wir sind genauso traurig wie Sie, dass wir aus der Entwicklung nur den einen Schluss ziehen konnten, das Erscheinen der NRW-Ausgabe einzustellen.
Wir werden uns bemühen, alles dafür zu tun, dass den KollegInnen aus NRW, die sich nicht nur in den letzten Wochen, sondern seit vielen Jahren unter schlechten Bedingungen für die taz aufgeopfert und hervorragende Arbeit geleistet haben, in dieser misslichen Situation ein fairer Umgang zuteil wird. Und wir wünschen uns, dass Sie uns, trotz Ihrer Enttäuschung, als LeserInnen und FreundInnen erhalten bleiben. Denn am Ziel einer von den großen Kapitalgruppen und Medienkonzernen unabhängigen linken Qualitätszeitung in Deutschland hat sich nichts geändert - an den Schwierigkeiten, das zu bewerkstelligen, aber eben auch nicht.
Herzlich
Bernd Pickert
Auslandsredakteur und Mitglied des Vorstandes
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