piwik no script img

■ In eigener SacheFaschistoide taz?

Heute veranstaltet Jerzy Kanal, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, eine Pressekonferenz. In der Einladung kündigte er an, daß er „zu den letzten Ereignissen und Presseveröffentlichungen, die teilweise antisemitische Tendenzen zeigten, Stellung“ nehmen wird. Konkret geht es dabei um Beiträge des „Tagesspiegel“ über Grundstücksgeschäfte und um die Berichterstattung der taz zum Fall „Jüdische Anwältin diffamiert Widerständler“.

Die taz schrieb am 25. Januar, daß ein führendes Mitglied der Gemeinde – unwidersprochen – die Familie des 1945 im KZ Sachsenhausen ermordeten Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi als „prominente Ariseurfamilie“ bezeichnen durfte. Wir dokumentieren im Wortlaut den Brief von Jerzy Kanal.

Abgesehen davon, daß der gesamte Artikel auf Tatsachenverdrehungen und Unwahrheiten beruht, was bei Frau Kugler üblich und mir aus eigener Erfahrung bekannt ist, sind die Äußerungen in ihrem Kommentar die schlimmsten Ansammlungen von antisemitischen Klischees, die mir in der deutschen Presse während der letzten 52 Jahre in die Hände kam.

In dem Kommentar empört sich die Autorin mit Ausdrücken wie „ein erschreckendes Beispiel für den Verlust von Sitte und Anstand in einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts“ – (sprich der Jüdischen Gemeinde zu Berlin) und gar „eine Schande für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland“. Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und ich persönlich werden beschuldigt, wir hätten uns nicht von der Beleidigung einer Familie von Widerständlern distanziert. Dies ist falsch. Wahr ist vielmehr, daß ich selbst – noch vom Krankenhausbett aus –, als ich von der Auseinandersetzung erfuhr, sofort Kontakte zu Herrn Klaus Dohnanyi aufnahm und das klärende Gespräch vom 15. Januar initiierte. Die erhoffte Klärung wurde in beidseitigem Einvernehmen herbeigeführt. Herr von Dohnanyi erfuhr seine Genugtuung, Frau Kugler offensichtlich nicht.

Was treibt diese Dame dazu, sich mit offensichtlich gespielter Empörung für Widerständler einzusetzen, während sie Opfer der NS-Willkürherrschaft diffamiert. Wohl das Bedürfnis, „eine Schande über die jüdische Gemeinschaft in Deutschland“ auszurufen. Wie sonst soll man sich den Gebrauch eines klassischen antisemitischen, des Stürmer würdigen Klischees wie „jüdische Schieber- und Spekulanten-Bande“ erklären, das zumal unerhörterweise mit dem Namen des Rabbiners Leo Baeck in Zusammenhang gebracht wird? Dieser Artikel ist für mich ein erschreckendes Beispiel des faschistoiden Kryptoantisemitismus einer linken Journalistin, wie er schon seinerzeit im Frankfurter Theaterstreit zum Vorschein gekommen war.

Ich hätte auf die Schmähungen von Frau Kugler nicht reagiert, wenn sie sich nicht diesen Artikel erlaubt hätte, den ich als gewollten Dammbruch bezeichne. Es ist heute scheinbar wieder möglich, in zugelassenen Zeitungen auf diese Weise Juden zu diffamieren. Wenn Normalität im Verhältnis zu Juden in Deutschland ungehemmte Hetze gegen Juden bedeutet, wollen wir eine solche Normalität nicht.

Daß die taz solchen Hetzartikeln ein Forum bietet, ist sehr bedauerlich. Jerzy Kanal

Anmerkung der Redaktion: 1. Der kritisierte Artikel basierte ausschließlich auf den Wortprotokollen der Repräsentantenversammlungen vom 19. November 1996 und vom 18. Dezember 1996 sowie der Mitschrift der Repräsentantenversammlung vom 15. Januar 1997. Verwendet wurden ebenfalls Informationen aus der gemeindeinternen Flugschrift „Samisdat“.

2. Im Kommentar wird nicht behauptet, daß Leo Baeck Teil einer „jüdischen Schieber- und Spekulantenbande“ war. Zu lesen war im Gegenteil, daß solch eine eventuelle Behauptung nicht nur antisemitisch und gelogen, sondern eine Schande für ganz Deutschland wäre. Allerdings, so hieß es im Kommentar weiter, sei es auch eine Schande für die jüdische Gemeinschaft, wenn ein stellvertretendes Vorstandsmitglied der größten jüdischen Gemeinde Deutschlands behaupten darf, daß die Familie von Dohnanyi eine „prominente Ariseurfamilie“ ist, ohne daß die restlichen Vorstandsmitglieder dieser Behauptung widersprechen. Die Redaktion

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen