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Archiv-Artikel

In der alpinen Endlosschleife

SKI-WM In den WM-Tagen von Schladming offenbart Österreich einen ratlosen bis reaktionären Umgang mit seinen Traditionen und dem historischen Erbe

Das erste Ergebnis der WM: Österreichs Selbstbild darf nicht länger dem ÖSV überlassen werden

VON JOHANN SKOCEK

Österreich hängt in einer Endlosschleife. Die selbstlobhudelnde Eröffnungsfeier der Alpinen Ski-Weltmeisterschaft in Schladming protzte mit den üblichen Österreich-Klischees: Retro-Skifahrer; kurzschwingende Skilehrer in der Gruppe; ein unter einem Hobbyreiter trippelnder Lipizzaner; Todesstrafenbefürworter Schwarzenegger sonderte Plattitüden über seine „Heimat“ ab – nur Mozart und die unglückliche Kaiserin Sisi fehlten noch im alpinen Stereotypenkabinett.

Das Skifest, das nach dem gestrigen Ruhetag heute mit der Super-Kombination der Frauen weitergeht, offenbarte von der ersten Sekunde an, welcher Wiederholungszwang in der Eigenwahrnehmung Österreichs steckt. Was hätte wohl Sigmund Freud zum Eröffnungsabend gesagt? Ihm zufolge wird das Land von Skidodeln bewohnt, die schlechte Musik hören und nicht reiten können. Provinzpolitiker betteln in holprigen Sätzen Ausländer an, doch als Touristen in dieses schöne, herzliche, gastfreundliche, gebirgige, mit biologischen Fairtrade-Liftanlagen erschlossene Land zu kommen. Tradition schön und gut, aber diese Flut an reaktionären Assoziationen zeugt von der Ratlosigkeit des Österreichischen Skiverbandes im Umgang mit seinem historischen Erbe.

Dabei hat alles so vielversprechend begonnen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die alpine Skiausrüstung der obsolet gewordenen Habsburger-Armee unters Volk verteilt. Neben dieser materiellen Grundlage sorgte der militärisch-formalisierte Skiunterricht, die Basis der „Österreichischen Skischule“, für den entscheidenden Popularisierungsschub für den Skisport. Der auf ihm ruhende Wintertourismus sicherte den Bauern und Hotels in den Alpentälern buchstäblich das Überleben. Und er empfahl sich als Ersatznahrung für die mit der Habsburgermonarchie zugrunde gegangenen Großmachtfantasien.

Der Präsident des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV), Peter Schröcksnadel, hat die materielle Grundlage für diese Ersatzhandlung gelegt und die WM nach Schladming geholt. Das ÖSV-Budget von 42 Millionen übertrifft jedes Budget eines vergleichbaren österreichischen Sportverbandes bei weitem, aber er spielt auch um einen höheren Einsatz. Nirgendwo sonst auf der Welt beansprucht der Skisport ein ähnlich großes Kapitel im Buch der nationalen Heldensagen. Der Aufmarsch der alten Skifahrer während der WM-Eröffnungsfeier diente der Rekapitulation alter Mythen, die vom Gedanken ausgehen, auf den Bergesgipfeln verwandle sich der Mensch zu einer besseren Ausgabe seiner selbst. In den Alpenvereinen wurde diese Ansicht kodifiziert und zur Glorifizierung des Skisports verwendet, der wiederum vom Patriotismus in Beschlag genommen wurde.

Niemand glaubt an diesen Wertetransfer übrigens fester als die Skiheroen selber. Der wichtigste Skisportler des 20. Jahrhunderts, der dreifache Olympiasieger von Cortina d’Ampezzo, Anton „Toni“ Sailer (1935–2009), bezeichnete sich selbst als einen Geburtshelfer des österreichischen Selbstbewusstseins nach dem Zweiten Weltkrieg. Er legte nach dem Skifahren eine Karriere als Filmschauspieler hin, die ihn bis nach Japan führte und dort zu einer verehrten Figur aus dem sagenumwobenen Land aus Schnee und Eis machte. Bis zu seinem Tod erzählte er, die Leistungsfähigkeit und den Selbstbehauptungswillen des Österreichers mit seinem Vorbild wieder aufgerichtet zu haben.

Inzwischen ist der naive Skisport der Fünfziger- und Sechzigerjahre zu einem durchgestylten, kapitalintensiven Spektakel mutiert. Die Gesetze der televisionären Dramaturgie verändern zwangsläufig die Wettkampfordnung, der alpine Skisport muss sich den Forderungen der Medienindustrie beugen. Sie zahlt und sie schafft an.

Bevor das Diktat der TV-Stationen und des angehängten Warenstraußes mit seinen politischen, kommerziellen und ideellen Profiteuren übermächtig wurde, wäre das Eröffnungsrennen, der Super-G der Frauen, wohl abgesagt worden. Tatsächlich wurde er wegen Nebels und schlechter Sicht nach vier Stunden Wartezeit gestartet und lange vor der Fahrt der letzten am Start stehenden Läuferin abgebrochen. US-Fahrerin Lindsay Vonn, der aktuell einzige echte Star der Branche, bezahlte den Einsatz mit einem entsetzlichen Sturz, der eine komplexe Knieverletzung und das vorzeitige Saisonende zur Folge hatte.

Aber die zynischen Geschäftsgrundlagen besagen, dass spektakuläre Stürze als Aufmerksamkeitserreger strahlenden Siegertypen wie der eigenwilligen Slowenin Tina Maze nicht nachstehen. Ebenso wichtig ist im überhitzten Wettkampf um Quote und Zuneigung jedoch der originelle, kreative Umgang mit den Bildern und Klischees der verschneiten Berge und idyllisierten Heimat. Ohne einen Schuss Ironie wird die Party mit den Sehnsüchten der Zuschauer und Sportler zur Pflichtübung. Leider fühlt sich die vom ÖSV den Österreichern zugemutete Präsentation der Ski-WM genau so an. Das erste Endergebnis steht schon nach wenigen Tagen fest: Österreichs Selbstbild darf nicht länger dem ÖSV überlassen werden. Oder das Land wird zum Murmeltier, das immer wieder denselben Tag durchleben muss, ohne es selbst zu merken.